Es lebe die Scheinheiligkeit!

Wahrscheinlich sind viele von ihnen froh, dass sie ihr Image auf Trumps Kosten polieren können und gleichzeitig so weitermachen dürfen wie bisher. Die USA kündigen ein wirkungsloses Klimaabkommen und die Welt versucht ihre schönste Fassade zu wahren.

„Nicht mit uns – Weiter so!“ lautet die Essenz des Auftritts von Angela Merkel und Li Keqiang, Deutschlands und Chinas obersten Regierenden, um den Pariser Weltklimavertrag zu stärken. Die Realität ist eine andere und wird auch eine andere bleiben: Der Vertrag ist mausetot.

Als ob in der gegenwärtigen Konsum-Kultur das 2-Grad-Ziel nicht schon illusorisch genug wäre, möchte das Pariser Klimaabkommen die globale Erwärmung sogar auf 1,5 °C begrenzen: Rund 700 Mrd. Tonnen CO2 können noch ausgestoßen werden (A roadmap for rapid decarbonization), bevor die Menschheit statt bisher 5 Tonnen weit weniger als eine Tonne CO2 pro Erdenbürger emittieren dürfte.

Friert man die gegenwärtigen Emissionen (knapp 40 Mrd. Tonnen pro Jahr) auf dem Stand von 2016 ein, wäre unser Budget bereits in 20 Jahren erschöpft. Wenn man – wie im Abkommen geplant – die Emissionen bis 2050 auf 5 Mrd. Tonnen CO2 zurückführen möchte, bedeutet dies eine jährliche Abnahme der Emissionen von 6,3 % – das gab es in Deutschland nicht einmal, als nach der Wiedervereinigung die Ost-Industrie zusammenbrach und riesige Effizienzsteigerungen realisiert werden konnten, sondern nur 2009, als im Gefolge der Finanzkrise die Wirtschaftsleistung um über 5 % schrumpfte. Zur Hebung der Stimmung ersann man damals die Verschrottungsprämie.

Wenn nun Jubelgeschrei ausbricht weil in jüngster Zeit die weltweiten CO2-Emissionen nicht mehr scharf anstiegen, dann ist das leicht verfrüht.

  • Erstens: Sie sind nicht deutlich gesunken (0,7 % – das Neunfache wäre nötig).
  • Zweitens: Gerade in Europa sind die Emissionen gestiegen, obwohl seit Jahrzehnten hoch entwickelt: Ein Witz! Obwohl die Möglichkeiten zu individueller Mobilität in Deutschland schon seit geraumer Zeit enorm sind, vernichtet genau die Zunahme des Verkehrs die Einsparungen etwa aus der Energiewende. Wenn selbst in Deutschland die CO2-Emissionen 2016 gestiegen sind, wie kann man dann Szenarien glaubwürdig finden, die für Entwicklungsregionen eine baldige Trendumkehr für möglich erachten. Bedenkt man, dass Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten ca. 15 % seiner CO2-Emissionen ins Ausland verlagert hat, werden solche Szenarien noch irrealer.
  • Drittens: In China sanken die Emissionen – das könnte leider auch ein statistisches Artefakt sein. Nicht weil Chinas Führung ökologisch tickt, sondern weil Städte im Smog versinken, werden Alternativen vorangetrieben. Das Ergebnis ist nicht dasselbe: Wachstum bleibt heilig, der entstehende Dreck wird besser gefiltert und versteckt, und Konsum und Mobilität wird zum Status für eine Milliarde Menschen. Chinesen, Inder, Bangladeshis … alle ticken ähnlich wie wir und bei uns wird seit zwei Generationen konsumiert, koste es was es wolle.
  • Viertens: In Indien sind 46 % der Bevölkerung jünger als 25, in Bangladesh 50 %, in Afrika 60 % – das Konsumentenpotential ist gigantisch und nicht nur wir Deutschen wollen SUVs. VW, BMW … dürfen sich freuen.

Wollte man das Klimaabkommen umsetzen, müssten 80 % der Kohle, 50 % der Gas- und 30 % der Ölreserven in der Erde bleiben. Wer glaubt tatsächlich, dass die USA ihre Kohlereserven im Boden lassen und Russland seine Gas- oder Saudi-Arabien seine Ölreserven? Wer glaubt, dass das von Trump abhängt?

Wer glaubt tatsächlich, dass Rohstoffkonzerne, die den Gewinn ihrer Eigentümer maximieren sollen, ihre Bodenschätze nicht aus der Erde holen wollen? Sie werden sich mit Händen und Füßen gegen Beschränkungen wehren, lobbyieren, Präsidenten schmieren, Kriege führen, selbst wenn Photovoltaik so billig wie Dreck würde. Deren Angst-Rhetorik funktioniert längst nicht nur in den USA.

Claudia Kemfert (Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin) zeichnet deren Lobbying in ihrem neuen Buch „Das fossile Imperium schlägt zurück“ detailliert nach. Ohne eine sehr große und sehr politische Umweltbewegung wird es nicht gelingen, Klimaschutz von der Worthülse zu einer Realität zu machen.

Aus einem weiteren Grund ist ein Erfolg des Pariser Klimaabkommens undenkbar: wegen des weltweiten Wettbewerbs. Jedes Freihandelsabkommen steht dem Geist eines Klimaabkommens diametral entgegen. Weniger Emissionen bedeutet weniger Containerschiffe, weniger Transportkilometer, mehr regionale Wertschöpfungskreisläufe. Standortwettbewerb erzwingt Konkurrenzfähigkeit, erzwingt, dass die Staaten zu Erfüllungsgehilfen und Handlanger privater Konzerne werden.

Was hat mehr Wucht: Die Drohung mit der Schließung eines Werkes mit 3000 Beschäftigten aufgrund zu hoher Umweltauflagen oder die Drohung mit einem Anstieg des Meeresspiegels um 1,4 Meter in 100 Jahren?

Weil diesem weltweiten Treiben kein Ende gesetzt wird, heucheln die Gestaltungseliten des Planeten unisono. Wahrscheinlich sind viele von ihnen froh, dass sie ihr Image auf Trumps Kosten polieren können und gleichzeitig so weitermachen dürfen wie bisher.

Die EU-Kommission verhandelt Freihandelsabkommen mit Japan, Australien, Neuseeland, Chile und vielen anderen, Angela Merkel gibt TTIP noch längst nicht verloren: Entregionalisierung bleibt Programm, um größere Industriestrukturen zu fördern, die den Verbrauchern (was für ein ätzender Begriff) mit billigeren Produkten mehr Konsum ermöglicht.

In den Industriestaaten sind viele Voraussetzungen erfüllt, die Emissionen tatsächlich zu senken, die entfesselten Wachstumskräfte zu bändigen und eine Zukunft mit Maß und Ziel zu befördern. Wären die Vermögen und Einkommen gerechter verteilt, müsste schon heute kein Mensch mehr in Armut leben.

Es sind soziale und ökologische Basisbewegungen wie Attac, Bund Naturschutz, Campact oder Ende Gelände, die den Parteifürsten (einschließlich den Grünen) erst die nötige Chuzpe geben können, auch unbequeme Forderungen zu stellen und Entscheidungen zu treffen. Kinderwerbung und Werbung in öffentlichen Räumen zu verbieten, Automobilkonzernen den Weg zu weisen und Konsumpraktiken öffentlich zu diskreditieren ist erst möglich, wenn es eine gesellschaftliche Stimmung dafür gibt – wenn es ein Stück weit „Hip“ ist, aus der Reihe zu tanzen.

So lange Konsum der Dreh- und Angelpunkt ist, wird auch gegen den Klimawandel nichts helfen. Wie wäre es, sich über Konsumpraktiken öffentlich lustig zu machen, vor allem über solche, die eher Stress als Spaß versprechen und lediglich aus Statusdenken oder Gewohnheit getätigt werden? Eine Woche Bahamas – nur Workaholics machen so was. Audi Q7 und 500-Euro-Hndy, aber keine Zeit, der Frau (dem Mann?) im Haushalt zu helfen? Zum Sport mit dem Sportwagen? Die Kinder mit Konsolen ruhig stellen statt gemeinsamer Outdoor-Erlebnisse?

Eine andere Stimmung ist nötig – das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Kulturwandel, der unsere alltäglichen Haltungen und Handlungen verändern muss, von dem Niko Paech oder Harald Welzer unentwegt schreiben.

Quelle: | https://heise.de/-3733658

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