Angst vor der Materie!


Warum wir unsere Angstmechanismen weiterentwickeln müssen, ein paar Überlegungen dazu in sechs Abschnitten.

1. Ein Blick zurück nach vorn

2. Tuis im Demokratiemanagementfieber

3. Der neoliberale Umbau der Gesellschaft

4. Wie geht es weiter?

5. Was sind eigentlich Tuis für Wesen?

6. Conclusio


1. Ein Blick zurück nach vorn

Vor circa 35 Jahren, also mit Beginn des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft, habe ich mal einen inzwischen verschollenen Text mit dem Titel “Angst vor der Materie“ geschrieben und der ging meiner Erinnerung nach etwa so:

Im evolutionären Prozess der Menschheitsentwicklung, in dem durch die Entwicklung des Neocortex eine Metastruktur sich in die Menschwerdung implementiert hat, war der Mensch dazu fortschreitend in der Lage, ein komplexes, ausdifferenziertes Angstsystem in seinen Körper-Geist-Komplex einzubauen. Ohne dieses leistungsfähige Angstsystem wäre es bei dem vielen Unbill, dem der Mensch – wie alle anderen Tiere auch – ausgesetzt war, nicht möglich gewesen, zu überleben. In direkten Gesellschaften, in denen das Überleben des Menschen davon abhängig ist, wie es ihm gelingt, mit direkten, von seiner vorgefundenen Umwelt verursachten Gefahren umzugehen, kam es zentral darauf an, auf konkrete Gefahren unmittelbar zu reagieren. Näherte sich ein Tiger, so musste der Mensch in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, ob er fliehen, angreifen oder stillhalten sollte.

Worauf es über Jahrtausende bei der Entwicklung dieses Angstsystems ankam, war die unmittelbare, möglichst bereits zu automatisierende Reaktion auf wahrgenommene Gefahren. Wie wir einerseits wissen, andererseits uns aber heute – in unserer schnelllebigen Zeit – kaum noch vorstellen können, arbeitet die Evolution langsam und sehr konservativ, das heißt, einmal entwickelte Mechanismen werden bei Veränderungen der Umwelt sehr sehr langsam verändert. Wir haben also ein deutliches Moment der Trägheit, mit dem wir immer – trotz aller grundsätzlichen Veränderbarkeit aller Systeme – umgehen müssen und den wir bei unserem Veränderungswillen mit ins Kalkül zu ziehen haben.

Damit haben wir zwei Aspekte benannt, die ins Zentrum unserer heutigen Probleme führen, den Aspekt der Direktheit und den Aspekt der Trägheit. Wenn wir also die Homöostase als ein grundsätzliches, der Natur innewohnendes Stabilitätsprinzip verstehen, also einer Synthese aus These und Antithese, dann können wir den intermittierenden Prozess von Direktheit und Trägheit als einen naturgegebenen dialektischen Prozess begreifen. Fällt ein Teil dieses grundsätzlichen offenen Gleichgewichts-Prozesses weitgehend aus, dann kollabiert das ganze System, weil ein wesentlicher Faktor der Selbstregulation nicht mehr funktionsfähig ist.

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungen wird leicht verständlich, warum wir Menschen auf die Gefahren, denen wir heute ausgesetzt sind, nicht angemessen reagieren können.

Mit der kopernikanischen Wende und dem daran anschließenden naturwissenschaftlichen Durchdringen unserer Lebenswelt von einer nicht mehr anschaulichen, direkten Warte her, wurde unsere Wahrnehmung schizophreniert:

Seit dem erleben wir täglich Dinge, die anders sind, bzw. funktionieren, als wir sie unmittelbar wahrnehmen.

Zu den immer schwerer wahrnehmbaren Risiken kommt eine unheilvolle Dynamisierung der Menge an Gefahren hinzu, die von den Massenmedien in der Elitegesellschaft gezielt gesteuert werden. Wir haben also zum einen mit dem Problem zu kämpfen, was Ulrich Beck in seinem Buch “Risikogesellschaft” 1986 einmal so beschrieben hat: „Wo sich alles in Gefährdungen verwandelt, ist irgendwie auch nichts mehr gefährlich“ (S. 48) und andererseits können wir die Gefahren, die sich z.B. aus der zerstörten Umwelt ergeben, kaum noch unmittelbar wahrnehmen, weil die Zerstörung von uns nicht unmittelbar wahrgenommenwerden kann, schon alleine deshalb, weil die Supermärkte, in denen wir täglich unseren Bedarf decken, uns suggerieren, als wäre alles was wir wünschen, immernoch jederzeit verfügbar. Dass dies für 95% der Weltbevölkerung nicht der Fall ist, können wir ohne direkte Wahrnehmung gar nicht wirklich verstehen, sondern nur abstrakt zur Kenntnis nehmen. Wir verstehen einerseits die Prozesse, die ablaufen nicht und werden andererseits auch durch den imperalistischen Risiko-Export in ferne Länder von der unmittelbaren Wahrnehmung ferngehalten. Als ich Anfang der 60er Jahre tausende von Fischen im Main an mir vorbeitreiben sah und das Main-Freibad in Frankfurt geschlossen wurde, weil der Main so stark verschmutzt war und das Baden eine Gefahr für Leib und Leben bedeutete, hat sich diese direkte Wahrnehmung tief in meiner Erinnerung eingegraben und ich hab mir geschworen, dass man etwas gegen diesen Wahnsinn  tuen müsse, als sich in späteren Jahren dieser Wahnsinn in China abspielte, war meine Wahrnehmung davon kaum noch affiziert, es war weit weg und diese Umweltzerstörung hat mich kaum noch getroffen, allenfalls auf einer abstrakten, intellektuellen Ebene. Der Risikoexport in ferne Länder hat funktioniert, die Revolutionsprophylaxe war gelungen.

Zugegebenermaßen hat sich dieser zunehmende Abstraktionsprozess natürlich durch die ziellose, anarchistische Vermehrung der technisch-naturwissenschaftlichen Veränderungen ergeben, zu einem wesentlich größeren und strategisch implementierten Teil war diese Entwicklung aber der Ausdruck einer von den Eliten und ihren Helfershelfern, den Tuis, in Gang gesetzten, äußerst wirkungsmächtigen Herrschaftsmaschinerie.

Jede Phase der Geschichte prägt eine gesellschaftliche Angstsignatur aus, die ein Abbild des Umgangs der Gesellschaft mit unmittelbaren, existentiellen Ängsten der einzelnen Menschen ist und diese Angstsignatur ist steuerbar.

Um zu verstehen, wie es zu der undurchsichtigen, anonymen und komplex anmutenden Angstsignatur der Jetztzeit gekommen ist, hilft — wie immer — ein Blick in die Geschichte.

In direkten Gesellschaften ging die angsterzeugende Gewalt von einer unfassbaren, dunklen Macht der Natur aus und es liegt auf der Hand, dass die Entwicklung von Religionen und der damit verbundenen Durchgötterung der Natur als ein erster Versuch gelten kann, die unbestimmte, unkalkulierbare Gewalt von Naturereignissen handhabbar zu machen, diese Macht also einzuhegen.

Mit der Sesshaftwerdung und der Entstehung von Eigentum und Überbau ging die Macht, die von der Gewalt der Natur ausging, teilweise auf eine Elite über, die sich als vermittelnde Instanz zwischen Mensch und Natur stellte und so in der Lage war, an der Macht der Natur zu partizipieren.

Mit der Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Strukturen und dem zunehmenden Abstraktionsprozess des unmittelbaren Tauschs durch die Erfindung des Geldes, haben sich auch diese Machteliten immer mehr verselbstständigt. Wer über genügend Mittel verfügte, konnte sich vom Unbill der Naturmächte immer mehr entfernen. Es waren die einfachen Bauern, deren Ernten durch die Gewalt der Natur zerstört wurden, die Herren, die hohen Priester und die Könige hatten immer reichlich zu essen und zu trinken.

Die antike Idee der Demokratie, bei der zumindest alle zur Gesellschaft gehörenden Glieder (Frauen und Sklaven gehörten “natürlich” nicht dazu) am gesellschaftlichen Willensprozess beteiligt wurden, kann als einer der ersten Versuche gewertet werden, die Macht der inzwischen sich verselbstständigenden Entscheidungseliten einzuhegen. Hier ging es also um die Partizipation aller zur Gesellschaft gehörenden Glieder, zumindest soweit es um Entscheidungen ging, die sie selbst betrafen. Alle Glieder sollten mitbestimmen, und zwar unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status, der schon früh über den Vermögensstand, also das Eigentum bestimmt war. Gemeinwohl und individuelle Freiheit kamen so ins Spiel, als eine Befreiung von existenziellen Ängsten, wie sie in direkten Gesellschaften sich entwickelt hatten.

Allerdings zeigte sich schon bald, dass die Idee eines “aufgeklärten Monarchen”, der sich für das Gemeinwohl und die Freiheit der Gesellschaftsmitglieder selbstlos einsetzt, nicht viel mehr als ein frommer Wunsch war und Machteliten nach Möglichkeit weder ihre Macht noch ihr Vermögen teilen wollten.

Daraus entwickelte sich die dialektische Bewegung gesellschaftlicher Prozesse. Die Antwort auf das ungezügelte Bestreben von Menschen, immer mehr Macht anzuhäufen, war der Widerstand von denen, die unter der Macht zu leiden hatten. Anders als in den Zeiten, in denen die Menschen der dunklen, undurchschaubaren Macht der Natur mit ihren oft willkürlich wirkenden Schreckensereignissen ausgeliefert waren, war die Macht von Menschen hinterfragbar, weil sie von Menschen gemacht war und von Menschen geändert werden konnte. Mit der sukzessiven Ablösung von der direkten Macht der Natur gingen die unhinterfragbaren existenziellen Ängste der Menschen zurück und die hinterfragbaren Ängste gewannen an Gewicht. Was Menschen über andere Menschen verfügten, konnte bezweifelt werden, weil Machtstrukturen aufgedeckt werden konnten.

Wo Herr und Knecht benennbar ist, ändert sich die Qualität von Ängsten, entsteht Widerstand, verändert sich die Gesellschaft. Interessanterweise werden heute existentielle Ängste wieder zunehmend undurchschaubarer und unhinterfragbarer, strukturelle Gewalt der Machteliten wird zunehmend wieder zu nicht veränderbarer Naturgewalt. Diese Art von Ängsten tötet die in der Kulturgeschichte vor allem seit der Aufklärung errungene Zweifelfähigkeit und damit eine der größten Errungenschaften der Kulturgeschichte ab. Dass alles auch ganz anders sein könnte, schenkte uns zunächst gedankliche und oft in der Folge auch reale Freiheit; nur durch den Zweifel sind und waren wir in der Lage, neue Möglichkeitsfelder zu finden bzw. zu generieren.

Was wir heute erleben ist eine Traumatisierung durch Nichtverstehen der unmittelbaren, aber abstrakt zu erfassenden Gefahrenpotentiale, denen wir ausgesetzt sind. Das Traumatisierungsmodell, das wie aus dem evolutionären Prozess der Menschwerdung kennen, ist der Umstand, dass Menschen in einer Stresssituation zunächst das Bindungssystem in dem sie emotional, psychisch eingebunden sind, aktivieren, d.h. wir suchen nach einer uns zugewandten Person, die uns Trost, Schutz und Hilfe anbietet. Ist keine Bindungsperson vorhanden, reagieren wir mit dem Impuls zu fliehen oder zu kämpfen. Ist die Bindungsperson jedoch gleichzeitig der Verursacher der Stresssituation kann es zu einer Bindung an den Täter mit der Übernahme seines Wertesystems kommen, was wir „Stockholm-Syndrom“ nennen und oft beobachten können, wenn wir z.B. von „Arbeitgebern“ schlecht behandelt werden, sie aber nicht als unmittellbaren Aggressor erkennen sondern mit einer übergroßen Wertübernahme vom Aggressor reagieren. Auf schlimmere Beispiele für Traumatisierungen möchte ich hier nicht eingehen, weil es mir um die Konsequenzen aus der täglichen und deshalb verharmlosten Traumatisierung geht.

Sind weder Flucht noch Kampf erfolgreich oder möglich, befindet wir uns in einer von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Ausweglosigkeit geprägten Situation, die zu Schock und Starre führt und unser Verhalten einfrieren lässt.

In dem Schockzustand funktioniert die Wahrnehmung und die Wahrnehmungsverarbeitung nicht mehr wie gewohnt: Es kommt zu Abspaltungen von Wahrnehmungsinhalten (Fragmentierung der Sinneserfahrungen) und Ausblendung von Wahrnehmungen (Dissoziation). Dieser Zustand der „traumatischen Zange“ lässt sich ansatzweise auf die abstrakte Gefahrensituation übertragen, ist aber strukturell dennoch nicht gleichzusetzen, weil der Handlungsausfall durch Nichtverstehen und Abstraktheit verursacht wird und die direkten Sinneserfahrungen nicht mehr zum Einsatz kommen. Deshalb immer wieder das Revolutionsmantra: „Wir haben nichts zu verlieren außer unseren Ketten.“ Was so natürlich nicht stimmt, aber den fehlenden Mut sich zu wehren und zu verändern aufbauen soll.

Worum es also geht ist eine neue Qualität von Erfahren, Verstehen, Denken!

Soweit mein Text, den ich leider nur aus der Erinnerung wiedergeben kann.

Heute, 35 Jahre später, sehen wir viel deutlicher, wie sich die Herrschaftsmechanismen verändert und verfeinert haben. Es ist redlichen Intellektuellen wie Rainer Mausfeld zu verdanken, die jenseits von Ideologemen und den mannigfachen Denkverboten der herrschaftsstabilisierenden political correctness, analysieren, dass wir die Aktivitäten der weltweit operierenden Tuis und ihrer Geldgeber besser verstehen können.

2. Tuis im Demokratiemanagementfieber

„Wir stehen in dem Zerfall einer Demokratie,
die bei uns eigentlich noch gar nicht da war.
Wir verrotten, ohne daß eine Substanz verrottete,
die gewesen wäre.“ (Karl Jaspers, Antwort, S.5)

Drei Entwicklungen, bzw. Mechanismen können wir erkennen, die den Tuis ihre Arbeit erleichtert haben: Der eine Mechanismus kann als die Entleerung der Formen vom Inhalt benannt werden. Also der Umstand, dass wir nicht mehr hinter die schönen und glatten Fassaden unserer postfaktischen Zeit zurückgehen, sondern die designten Verpackungen und die markigen Werbesprüche bereits als die in die Tat umgesetzten Inhalte wahrnehmen. Wir differenzieren nicht mehr zwischen dem schönen Schein der Absichtserklärungen und deren fehlender Umsetzung. Nur ein schaler Beigeschmack bringt uns bisweilen zum Zweifeln und zu dem Gedanken, dass auch alles ganz anders sein könnte, als es uns die Marketingabteilungen der Parteien und Unternehmen weiszumachen versuchen. Wir leben in einer Fassadendemokratie, weshalb es in der Fassadendemokratie auch so wichtig ist, die korrekten Worte zu benutzen, denn wenn die Worte wegfallen, bricht das ganze Kartenhaus aus Illusionen zusammen.

Den zweiten Mechanismus, den wir manchmal in Erinnerung an alte Zeiten einer kritischeren Gesellschaft wahrzunehmen glauben, ist das Verdikt der neoliberalen Eliten, dass nur der berechtigt sei, Kritik und Zweifel anzumelden, der auch in der Lage sei, gleichzeitig alternative Lösungen vorzuschlagen. Mit diesem Mechanismus wurden der Kritik und dem Zweifel, als dem eigentlichen Movens zu einer menschenwürdigeren Gesellschaft, der Garaus gemacht.

Der dritte Mechanismus, der sich besonders nach dem Untergang alternativer gesellschaftlicher Systeme, z.B. in der DDR und der Sowjetunion, manifestieren konnte, ist die Alternativlosigkeit der kapitalistischen Weltordnung – vor allem in seiner neoliberalen Spielart. So können wir mit Noam Chomsky sagen: „Solange die Wirtschaft unter privater Kontrolle steht, ist es egal, welche Formen das System annimmt, weil sich mit der Form nichts erreichen läßt. Selbst wenn es politische Parteien gäbe, an denen sich die Bürger engagiert beteiligen und Programme ausarbeiten, von denen sie überzeugt sind, hätte das bestenfalls marginalen Einfluss auf die Politik, weil die Macht anderswo verortet ist.“ (Noam Chomsky, Anatomie der Macht, 2004, S. 88)

Damit ist der Bogen geschlagen zu den undurchdringlichen Ängsten einer direkt ausschließlich von den Gewalten der Natur abhängigen Gesellschaft, es ist den Tuis gelungen, unser Gesellschaftssystem quasi mit naturgesetzlichen Ingredienzien auszustatten. Wir können uns gar nicht mehr gegen gesellschaftliche Zwänge wehren, weil sie angeblich Ausdruck der unveränderbaren Natur von Mensch, Natur und Gesellschaft sind. Der homo oeconomicus ist an allem schuld und daran läßt sich nichts ändern, weil alles der Natur des Menschen entspricht. Die Verortung, von der Noam Chomsky spricht, muss aufgedeckt werden, nur so kann die Alternativlosigkeit, von der unsere Wirtschaft mit nahezu naturgesetzlichem Zwang belegt wird, aufgebrochen werden.

Das oben genannte Jaspers-Zitat von 1967 gibt hier einen guten Einstieg in das Thema, weil wir heute auch aus wertkonservativen Kreisen immer wieder hören, dass man etwas gegen den Niedergang der Demokratie tun müsse. Diese Klage geht von der Vorstellung aus, wir hätten z.B. in der Zeit nach 1949 in Deutschland eine Demokratie gehabt und diese Demokratie gehe nun Stück für Stück zu grunde.

Offensichtlich gab es in Deutschland nicht wenige, die tatsächlich den Verfassern des Grundgesetzes, dem parlamentarischen Rat, Glauben geschenkt haben, wenn er im Artikel 20 des Grundgesetzes festlegte: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“

Mit Jaspers können wir fragen „Wie aber sieht das in der Realität aus?“ und vor allem können wir fragen, wenn es wirklich so ist, dass die Demokratie untergeht, wieso realisieren wir dann nicht den Absatz 4 des Artikels 20 GG „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand“?

Pauschale Urteile verleiten oft dazu, keine Unterschiede mehr zu sehen. Schon in den Jahren des Zweiten Weltkriegs gab es in den USA strategisch planende Menschen, die den Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg nicht nur als Chance sahen, einen profitablen Absatzmarkt für die in den USA seit längerem stattfindenden Überproduktionen zu entwickeln, sondern auch mit den Lockungen der Konsumgüter-und Unterhaltungsindustrie eine Barriere gegen den drohenden kommunistischen Feind aufzubauen. Zerstreuung, Vereinzelung, Meinungsmanagement das waren die Waffen der Wahl, um gegen den kommunistischen Feind im Osten zu schießen.

Die soziale Marktwirtschaft, die die Gründungsväter der Bundesrepublik samt ihrer Berater aus den Vereinigten Staaten, in das Grundgesetz schrieben, war nicht das Kind einer edlen Gesinnung, die sich nach dem Ende des Faschismus nun wieder voll entfalten konnte, sondern das klare antikommunistische Kalkül, durch eine soziale Marktwirtschaft eine sichere Revolutionsprophylaxe in der Hand zu halten. Der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung sollte weitestgehend verschleiert werden – aber wie ? – natürlich durch gerecht anmutendes Teilen. Hatte der Unternehmer den größten Mercedes, hatte der Arbeiter den kleinsten, hatte der Unternehmer die größte Villa hatte der Arbeiter die kleinste, rauchte der Unternehmer die dickste Zigarre, rauchte der Arbeiter die billigste etc. etc., das war eine Verteilung, mit der man leben konnte, schließlich ging es darum, genug zu verdienen, um sich und seine Familie behaglich ernähren zu können, keine Zukunftsängste haben zu müssen, weil man ja als fest Angestellter quasi mit dem Betrieb verheiratet war und das es einen kleinen Unterschied zwischen dem Arbeiter und dem Chef geben musste, das war doch mehr als gerecht.

So wie in den 50er und 60er Jahren hätte es gemütlich weitergehen können, die dunklen Jahre des Faschismus waren vergeben und vergessen, spätestens seit der Fußballweltmeisterschaft in Bern 1954 war Deutschland wieder wer und die Wirtschaft brummte, schließlich wollte man ja Wohlstand für alle. Die Schwestern und Brüder aus der DDR sollten Neid erfüllt per Westfernsehen zusehen, wie der Kapitalismus alle Menschen glücklich machte. Und schließlich gab es in der DDR genug Menschen, die den Systemunterschied schnell erkannten und die Mangelwirtschaft lieber gegen die Überflusswirtschaft eintauschen wollten. So war der Brain-Drain bis zum Mauerbau 1961 gewaltig, die soziale Marktwirtschaft war nicht nur eine hervorragende Revolutionsprophylaxe sondern sie hatte eine so hohe Attraktivität, das der junge Arbeiter- und Bauernstaat innerhalb weniger Jahre total ausblutete, wertvolles know how, Engagment und Kreativität verließ die DDR.

Aber wie es in der Menschengeschichte immer ist, was man mit Gewalt durchdrückt, findet niemals Akzeptanz schon gar keine Motivation mitzumachen. Der Bau der Mauer – dem antifaschistischen Schutzwall – war zwar der hilflose Versuch, dem Ausbluten der DDR entgegenzuwirken aber mit dem ersten Stein, war zugleich der sichere Untergang besiegelt. Da halfen auch Tuis des Zentralkomitees der SED nicht weiter, auch diese Tuis waren zwar die Transformationsriemen menschenverachtender Herrschaftsstrukturen und gleichzeitig diejenigen, die Herrschaftsstrukturen verfeinerten und diversifizierten, aber auch sie waren Menschen und machten Fehler, weil es immer einen kleinen Riß in totalitären Regimen mit universalistischen Ansprüchen gibt, durch die das Licht der Freiheit dringt.

Tuis sind für totalitäre Systeme besonders dann überlebensnotwendig, wenn diese Systeme nicht mit offenen Karten spielen, sich ein Mäntelchen umlegen, dass von Freiheit und Partizipation spricht und nicht von Unterdrückung und Zwang, obwohl die Realität genau nach diesen Prinzipien funktioniert. Dies trifft auf den Kapitalismus, besonders in seiner neoliberalen Spielart, zu, aber auch auf den demokratischen Zentralismus, wie wir ihn in den sozialistischen Projekten des 20sten Jahrhunderts erlebt haben.

Man spielt immer mit dem Feuer, wenn man Begriffe für eine Fassade benutzt, die einen anderen Impakt haben, als den, den man mit ihnen verschleiern will. So war es im Fall des demokratischen Zentralismus der SED und so kam es in der kapitalistischen Demokratie der BRD. So bedeutet ja eigentlich Demokratie „die Herrschaft des Volkes“, wir leben im Westen aber seit dem Ende der Goldbindung des Dollars unter der wachsenden Herrschaft der Banken und der Finanzwirtschaft und diese Herrschaft wird immer nur demokratisch verbrämt. Die großen Konzerne zahlen so gut wie gar keine Steuern, die Steuerlast trägt der Mittelstand und die große Zahl der abhängig Beschäftigten.

Wir leben heute im größten Finanzkasino aller Zeiten. Während die Bilanzsumme der FED 2007 noch 800 Milliarden Dollar betrug, vervielfachte sie sich in den darauffolgenden 10 Jahren auf 4000 Milliarden Dollar. Die Zentralbanken haben in diesen 10 Jahren 700 mal die Zinsen gesenkt, das Geld war sehr billig, kam aber nicht der Realwirtschaft zugute, sondern floss fast ausschließlich in den Finanzmarkt, so dass der nächste Finanzcrash um ein vielfaches größer sein wird, als 2007/2008. Es herrscht ein riesiges Ungleichgewicht zwischen den in der Welt existierenden Finanzwerten und der Menge an realen Werten in der Welt. Wenn die Finanzblase platzt, wird sich wieder ein Gleichgewicht herstellen.

Die Herrschenden besitzen über die Banken, die Politik und die Medien die Macht des Agenda settings, das sie durch ihre Tui Eliten exekutieren lassen. Aber diese arbeiten mit Begriffen wie Demokratie, die für sie und ihre Auftragsgeber hoch gefährlich werden können, mag das Meinungsmanagement noch so gut sein.

Selbstverständlich ist die Demokratie, soweit es sich um eine Elitenwahloligarchie handelt, die kostengünstigste Version den Widerstand und den Zorn der Massen von den Mächtigen fernzuhalten, außerdem besteht durch entsprechendes Meinungsmanagement die Möglichkeit begründeten Protest z.B. gegen Wohnungsspekulationen, schlechte Einkommen und sonstige nicht zufriedenstellende Arbeitsbedingungen gezielt auf Sündenböcke und den Verweis auf eine ausufernde Bürokratie umzuleiten. Nichts desto trotz Politiker mögen aufgrund der umfangreichen Lobbyarbeit der Machteliten noch so willfährig sein, sie wollen auch ihre Pfründe sichern, das geht nur über Wiederwahl, also sind sie besonders vor Wahlen Wackelkandidaten und müssen dringend von externen Tuis und ihren think tanks unterstützt werden. Think tanks sind viel näher an den Machteliten als es Politiker trotz der entsprechenden Drehtüreffekte jemals seien können, sie wissen was das Herz bzw. den Geldbeutel der Mächtigen bewegt, so dass sie auch viel besser als alle anderen Gesetzesvorlagen für die armen Politiker erarbeiten können. Wo das auch nicht mehr reicht versucht man es mit Freihandelsabkommen, bei denen man über Schiedsgerichte die Politik gleich ganz außen vorhält.

3. Der neoliberale Umbau der Gesellschaft

Bis Mitte der 70er Jahre gab es einen wetgehenden Konsens in der Gesellschaft, dass die Wirtschaft den Interessen der Gesellschaft zu dienen habe, der neoliberale Umbauprozess hat diesen Konsens in sein Gegenteil verkehrt. Plötzlich wurde die vernunftgemäße Anerkennung der Naturgesetzlichkeit des „freien Marktes“ zum Credo der politischen und wirtschaftlichen Lenker der Gesellschaft. Plötzlich wurden alternativlos alle gesellschaftlichen Verhältnisse der Marktlogik unterworfen, egal ob es sich um politische und soziale Institutionen oder private soziale Beziehungen handelte. Konkurrenzkampf, Flexibilisierung in der Arbeitswelt, Liberalisierung der Marktbeschränkungen, Privatisierung von hoheitlichen Aufgaben des Staats oder die Problematik von ökologischen und ressourcenintensiven Themen wurde in die Wirtschaftslogik von Wachstum, Ware und Profitraten eingebunden. Durch die massive Abschöpfung von Kapital aus dem Produktionsprozess ging eine massive Stärkung des immer virtueller werdenden Finanzmarktes einher. War in den 70er Jahren die Relation zwischen produzierenden Bereichen und Finanzmarkt einigermassen ausgeglichten, hat sich das Volumen des Finanzmarktes immer mehr vom produzierenden Bereich entfernt. Seit dieser Zeit vagabundiert immer mehr Kapital im Weltmarkt auf der ständigen Suche nach Anlagemöglichkeiten. Vor etwa 20 Jahren wurde das Kapitalvolumen so groß, dass sich immer weniger Investitionsmöglichkeiten in der Realwirtschaft ergaben, damit einher ging die zunehmende Liberalisierung des Finanzmarktes, so dass immer mehr Kasinoprudukte, die nichts weiter sind als Wetten im großen Maßstab, die Finanzwelt beherrschten. Plötzlich sollten auch Kleinverdiener im Finanzmarkt investieren und die Verlockungen waren groß, plötzlich das „große Geld“ zu verdienen, all dies lief unter dem Stichwort der Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse.

Dass dieser Umbau so lautlos von statten ging, lässt sich nur über die gezielte Nutzbarmachung neuronaler Grundstrukturen auf breiter Front verstehen. Der Rückgang von Denk- und Reflexionsfähigkeit lässt sich nicht einfach nur konstatieren, sondern muss von seinen Wurzeln her untersucht werden.

Sehen wir deshalb noch einmal zurück in die Anfangstage der Menschheit. Hier treffen wir auf ein sich entwickelndes Angstsystem des Körper-Geist-Komplexes, das durch direkte Wahrnehmung aktiviert wurde und aufgrund der Undurchschaubarkeit der Natur immer in HabAchtStellung war. Nichts ist wirkungsvoller als diffuse, nicht klar erkannte Ängste, Ängste schalten alle Metasysteme aus, verengen den Blick auf die drohende Gefahr, Kritik, Zweifel, andere Möglichkeitsfelder fallen aus, Flucht, Kampf oder Unsichtbarmachen als Reaktionen, mehr kommt nicht vor.

Kulturgeschichte wurde erst durch die Handhabbarmachung der existentiellen Ängste möglich, plötzlich ging es nicht mehr um die Angst vor der Materie, sondern um die Untersuchung, die gedanklich experimentelle Erkenntnis der Materie. Viele der von der Natur in Vorzeiten verursachten Ereignisse – z.B. Blitz, Donner, Hagel mitten im Sommer – waren für die Menschen unverständlich und nicht veränderbar, man stand ihnen ohnmächtig gegenüber, dagegen war nicht zu revoltieren, es war eine höhere Macht mit der man es zutun hatte, weil man es nicht begreifen konnte, konnte man dagegen auch nicht revoltieren.

Auf diese spezifische Form von Angst treffen wir auch heute wieder, wir fühlen uns ohnmächtig gegenüber all den Gefahren, die hinter jeder Ecke auf uns lauern. Der Finanzmarkt hat den Rang eines Naturereignisse, so undurchschaubar ist er, die Umweltzerstörung ist von ihrer Größenordnung her völlig unfaßbar, dagegen ist nichts zu tun, wie Heidegger schon sagte, „nur ein Gott kann uns noch helfen“, nnur ein Gott, der auf Augenhöhe ist mit den gewaltigen Umweltzerstörungen.

Auch die Herrschenden und Tuis in Davos zeigen sich zunehmend ratloser, ob der Größe der Probleme, die längst den Charakter von Naturereignissen angenommen haben, obwohl die Ursachen klar benennbar sind und nur im öffentlichen Diskurs nicht mehr vorkommen. Von Prämissen und Paradigmen spricht niemand in Davos, diese haben den Rang von Naturkonstanten, die nicht hinterfragbar und veränderbar sind, davon ausgehend sind die Probleme so gewaltig, dass auch die Herrschaften in Davos, samt ihrer speichelleckenden Tuis ratlos sind. Pointiert spricht auch Ernst Wolff vom Finanz-Tsunami, um den Mechanismus aufzudecken, mit dem von Menschen gemachte Ereignisse in den Rang von Naturereignissen erhoben werden. Das kennen wir ja schon von Ernst Jünger, der im Zusammenhang mit den Schrecken des 1. Weltkriegs von “Stahlgewittern” sprach.

Seit Ende der 70er Jahren können wir den schleichenden Umbau der Gesellschaft hin zu einer neoliberalen, menschenverachtenden, globalisierten Weltwirtschaft beobachten. Von den kleinsten Details, z.B. einem informellen Gespräch eines Vorgesetzten auf dem Flur bis zu den größten Umweltzerstörungen und Ressourcenprassereien können wir die gleichen neoliberalen Transformationsprozesse am Werk sehen. Der Kapitalismus hat die immanente Tendenz zur Durchökonomisierung aller Lebensverhältnisse, wodurch alle sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen radikal zerstört werden.

Im Zentrum des real existierenden Neoliberalismus steht die Konterrevolution aller durch die Aufklärung erkämpften Konzepte von Freiheit, Vernunft und Selbstbestimmung, auch wenn seine Rhetorik etwas ganz anderes verspricht. Wirtschaftswissenschaftler wie Ludwig von Mises und Friedrich August Edler von Hayek haben die Zielsetzungen der Aufklärung systematisch bekämpft und als illusionäre Phantasiegebilde diskreditiert. Nur die Kräfte eines vom Staat unbehelligten freien Marktes sollten für alle Probleme auf dem Planeten Lösungen anbieten können und so das Glück der Menschheit sicherstellen. Damit war im Keim bereits die Zündschnur an alle “Utopien” einer gerechten und sozialen Marktwirtschaft gelegt.

Die fröhliche, moralische Verrottung der Machteliten, die natürlich noch durch das Zusammenbrechen des Ostblocks zusätzlich befeuert wurde, hat bei der Erbengeneration der WirtschaftsWunderUnternehmer nach 1945 jede moralische Schranke bei der Ausbeutung von abhängig Beschäftigten beseitigt. Seit dem gilt nur noch der Grundsatz, was für die Wirtschaft gut ist, ist auch für die “normal”, arbeitende Bevölkerung gut. Aber was sich in der Wirtschaftswunder-Nachkriegswirtschaft tatsächlich noch als “trickle down effect” in der sozialen Marktwirtschaft wahrnehmen ließ, ist längst nur noch eine Legende aus ferner Zeit, niemals zuvor in der Geschichte war der Abstand zwischen Kapitaleignern und abhängig Beschäftigten so groß wie heute, was der Wirtschaft gut tut, schadet den Menschen, denen, die in ihr beschäftigt sind und deren Mehrwert längst ausschließlich vom Kapital vereinnahmt wird, vom Teilen kann keine Rede mehr sein.

Physische und psychische Verkrüppelung sind auf ganz breiter Front die Ergebnisse dessen, was der Wirtschaft gut tut.

Vor allem das Fehlen einer gesellschaftlichen Utopie und sei es auch nur das Paradies im Himmel nach dem Tod, läßt die Seelen der Menschen verkümmern, niemand kann sich noch eine andere Welt, als die des neoliberalen Kapitalismus vorstellen, eher noch den Untergang des Planeten. Adornos Satz aus den Minima Moralia “Es gibt kein richtiges Leben im falschen” ist auf erschreckende Weise total geworden, nirgendwo gibt es einen Zufluchtsort, an dem wir ein richtiges Leben noch führen könnten und sei es auch nur in unserer Phantasie, niemand kann sich mehr dem Systemzwang entschlagen, es seie denn durch den Tod und selbst der wird nur noch unter wirtschaftlichen Interessen der Begräbnislobby betrachtet.

Der Doppelstrom der Zeit, der in der Geschichte oft für ein Gleichgewicht zwischen Schub- (vergangenheit) und Zugkräften (Zukunft) gesorgt hat, ist nicht mehr vorhanden, die Zukunft als positive Zugkraft fällt aus, das System bricht zusammen, implodiert durch seine eigenen Prämissen, der „Trümmerhaufen“ wächst und wächst (wenn man das Bild des „Angelus novus“ von Walter Benjamin bemühen möchte).

Kaum ist es möglich zu entkommen. Die Herrschenden und die Tuis haben es soweit gebracht, dass wir selbst es sind, die das System ständig reproduzieren, sie haben einen Selbstregulationsmechanismus in Gang gesetzt, der sich selbst perfektioniert, damit haben sie in der realen Gesellschaft bereits geschafft, was sie in der KI-Welt des Silikon Valley noch ins Werk setzen müssen., den Selbstperfektionierungs- und Optimierungsprozess des Menschenzombies, der sich vor lauter Angst, etwas falsch zumachen, immer weiter – vorauseilend – vervollkommnet.

In Facebook gibt es Millionen von Meinungen, die sich sekündlich auch wieder ändern können, simple Stoffwechselprodukte (Rainer Mausfeld) des Gehirns ohne jeglichen Tiefgang. Wir leben in einer ganz und gar freien Gesellschaft, jeder kann an jedem Ort und zu jeder Zeit seine eigene Meinung haben.

Eine Entlastung, über die Meinung hinaus, nicht weiter nachdenken zu müssen, wird gleich mitgeliefert: “Was geht mich mein dummes Geschwätz von Gestern an.” Auf Meinungen ist kein Verlass, schnell kommt eine andere Marketingbude und dreht den Konsumenten in Sekundenschnelle um und er behauptet genau das Gegenteil von dem, was er eben noch als absolut überlebenswichtig empfunden hat.

OK – um den Transformationsprozess der Gesellschaft zu einer neoliberalen, kapitalistischen Demokratie “nachhaltig” zu gestalten, bedarf es also eines stärkeren Tobaks als den der Meinungsmanipulation. Wie heißt dieser Tobak? Selbstverständlich Angsterzeugung nach allen Regeln der Kunst und derer gibt es durch die enorme Entwicklung der Sozialwissenschaften und der Psychologie im 20sten Jahrhundert enorm viele.

In unseren sogenannten westlichen Demokratien – dem Exportschlager der letzten Jahrzehnte – ist es nicht mehr en vogue mit direkter physischer Gewalt zu operieren, auch weil sie den großen Nachteil hat, Gegengewalt in Form von Widerstand zu erzeugen, womit Prozesse intiiert werden, die nicht mehr leicht beherrschbar sind. Wer mal auf einer Demonstration war, bei der der Aggressor in Form von Polizeigewalt auftritt, weiß wie leicht Gewalt eskalieren kann, man denke nur an die Auseinandersetzungen während des G20 Gipfels in Hamburg 2017. Dem gegenüber ist strukturelle Gewalt wesentlich wirkmächtiger, weil sie wesentlich systematischer und nachhaltiger diffuse Ängste erzeugt und damit den Aggressor in die eigene Person verlegt, Macht unsichtbar wird, indem sie „Binnenängste“ etabliert und sich das Individuum ohne Gruppenzugehörigkeit ständig selbst vergewaltigt. Muss es einen da wundern, dass in unserem sogenannten Gesundheitssystem, was in Wirklichkeit ja eher ein Krankheitssystem ist, so viele Depressive, suicidgefährdete Menschenzombies herumschwanken? Also Menschen, die gesellschaftlich nicht mehr als Menschen sondern als Zwitterwesen zwischen Mensch und Maschine abgesehen werden. Dieses menschenverachtende Verhalten gipfelt letztlich in der Tatsache, das diese Millionen von Menschen, die das Gefühl haben, nicht mehr in der Gesellschaft gebraucht zu werden, alt, verbraucht und ausgesaugt sind, das sich diese Menchen im „freiwilligen Suicid“ auch gleich noch selbst entsorgen.

Auch bei den Gesetzesvorlagen treffen wir immer häufiger auf Gesetzesattrappen, die nur aufgrund ihrer äußeren Form wie Gesetze aussehen, aber an den entscheidenden Stellen nichts korrekt und vor allem konkret regeln, sondern der Justiz jede Menge Möglichkeiten offen lassen, die Gesetze entsprechend der Herrschaftsinteressen auszulegen. Die Politologin Ingeborg Maus hat diese Gesetzesattrappen genau beschrieben, bei denen sich zum Beispiel immer wieder Formulierungen finden, wie „es liegt im Ermessen von“ (z.B. Sicherheitskräfte). Diese schwammigen Formulierungen werden oft als etwas Positives dargestellt, wonach Richter den Spielraum haben sollen nach Einzelfällen zu entscheiden, gerade in Wirtschaftsprozessen wird aber dann doch meist in Richtung von konkreten Wirtschaftsinteressen der Machteliten entschieden. Im Endergebnis haben wir es immer mehr mit einer Refeudalisierung des Rechts zu tun, weil das Recht von demokratischen Prozessen entkoppelt und reprivatisiert wird. Demokratisches Recht verlangt einfach nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, womit gemeint ist, das Gesetze so präzise abgefasst werden, dass man sich klar orientieren kann und rechtliche Tatbestände plan- und verstehbar sind, Willkürentscheidungen, wie wir sie aus feudalen Zeiten kennen, vertragen sich nicht mit der Demokratie.

Im Demokratiemanagement der Tuis ist einer der zentralen Faktoren die gezielte Kanalisierung von Protesten und hier lässt sich leicht wieder der Bogen schlagen zu den unmittelbar wahrnehmbaren Ängsten der Menschen. Der Flüchtling der einer 4 köpfigen Familie mit Hartz IV die lang ersehnte Wohnung wegnimmt ist unmittelbar als Feind wahrnehmbar, die Wohnungsspekulation der Machteliten ist zu abstrakt, eine unscheinbare Immobilienholding mit unverdächtigen Niederlassungen in jedem Land und mit Hauptsitz in einem Briefkasten auf den Cayman Islands taugt nicht zum wahrnehmbaren Aggressor. Der Mechanismus, die unbestimmte Angst in benennbare Furcht zu verwandeln, so dass Widerstand möglich wird, fällt aus. Zudem kann unbearbeitbare, vage Angst sehr leicht in „Binnenangst“ transformiert werden, so dass wir uns selbst zum größten Feind werden. Die Meritokratie macht uns zu Versagern, die selbst an ihrem Schicksal schuld sind. Deshalb ist es immer wieder wichtig auf den Umstand des leistungslosen Einkommens der Besitzeliten hinzuweisen, die oft nur qua Geburt über große Vermögen verfügen und keine eigenen Leistungen vorzuweisen haben.

Niemand würde heute noch auf die Idee kommen, dass Demokratie – also die zivilgesellschaftliche Partizipation an allen gesellschaftlichen Prozessen – und der Komplex des Industrie- und Konzernkapitalismus aus prinzipiellen Gründen nicht miteinander vereinbar sind. Das ist der Erfolg der letzten 30 Jahren, in denen Tuis und rund 6500 think tanks weltweit ihre Arbeit optimiert haben.

Der Kampf gegen strukturelle Gewalt verlangt Analyse- und Denkfähigkeit. Denkfähigkeiten, die über die Fähigkeiten von Tuis und think tanks weit hinaus gehen muß, um zu bestehen. Problem: Die Analyse- und Denkfähigkeiten wurden planmässig beseitigt und das begann schon durch den Umbau der Schulen zu reinen „Geistesvernichtungsanstalten“ (Thomas Bernhard) und setzte sich fort im Bolognaprozess durch den Umbau der Universitäten, deren Exzellenzcluster nur noch für die Wirtschaft taugliche, optimierte Marionetten des Großkapitals produzieren. Diese Marionetten sind allerdings auch nur noch als eine Übergangstechnologie anzusehen, bis KI-Systeme die Machtstrukturen der Herrschenden wesentlich perfekter, zielgerichteter und pragmatischer sicherstellen können.

Der demokratische Kapitalismus ist ein Widerspruch in sich (Chomsky, Dewey e.a.) weil er die Ermächtigung der abhängig Beschäftigten, an gesellschaftlichen Prozessen zu partizipieren, prinzipiell zu verhindern weiß. Radikaldemokratische Strukturen wären nur durch die Abschaffung des Konzernkapitalismus möglich – aus prinzipiellen Erwägungen heraus ist der Kapitalismus nicht aus sich selbst heraus reformierbar, er ist nur abschaffbar. Dagegen ist aber die kannibalistische, fest etablierte Weltordnung (Jean Ziegler) ein mächtiges Bollwerk. So können wir Demokratie eigentlich nur noch als ein Synonym für strukturelle Gewalt verstehen, die sich der Techniken von Propaganda, Meinungs- und Demokratiemanagement bedient.

Was ist unter struktureller Gewalt zu verstehen? Strukturelle Gewalt ist – wie schon gesagt – deshalb so wirkmächtig, weil sie ALLE gesellschaftlichen Bereich durchdringt vom belanglosen Pausengespräch im Flur bis zum Weltkrieg (gem. der Definition von Papst Franziskus), geführt gegen Menschen und Umwelt, es wirken immer die gleichen Strukturen. Das Ziel struktureller Gewalt ist die planmäßige Zersetzung emanzipatorischer Bewegungen, einer eigenen Meinung, eines freien Willens, die Zerstörung von Denkwerkzeugen der Kritik und des Zweifels, möglichst umfassende Abhängigkeit von Kapital und „Arbeitgebern“, nicht zu vergessen die Verschuldung, die zu enormer Unfreiheit führt, vor allem dann, wenn zur Tilgung der Schulden keine zukunftssicheren Arbeitsverhältnisse mehr als Grundlage dienen, sondern nur noch kurzfristige Einzelaufträge oder befristete Arbeitsverhältnisse.

Es zeugt von einer unglaublichen Scheinheiligkeit, wenn von der Politik beklagt wird, dass es in Deutschland immer weniger Familien und Kinder gibt, bzw. wenn der Einzelne nichts für seine Altersversorgung tut. Es liegt doch auf der Hand, dass diese Entwicklungen, wenn nicht gewollt so doch aufgrund der neoliberalen Spielregeln, billigend in Kauf genommen werden. Wir können uns aus früheren Zeiten und Jahrhunderten noch erinnern, dass heiraten nur durfte, wer eine feste Anstellung hatte, mit der er eine Familie ernähren konnte, der sprichtwörtliche Ernährer ist ausgestorben und das Modell einer zukunftssicheren Anstellung wird als für die Moderne überholtes Modell verächtlich gemacht. Dabei geht es hier sicher nicht darum, überkommenen kulturellen Rollenklischees von Mann und Frau das Wort zu reden, hier geht es nur um exitentielle Ängste, die von den Herrschenden systematisch zur Entpolitisierung und damit zum Machterhalt eingesetzt werden, in dem sie die Zukunft unsicher machen.

Interessanterweise wird die Zukunftsvergessenheit des Durchschnittsbürgers gerade von denen in Politik und Wirtschaft ins Feld geführt und beklagt, die diesen existentiellen Ängsten durch konfortable Vertragsgestaltungen gar nicht ausgesetzt sind. Für prekär Beschäftigte ist es eine Art von Überlebensstrategie nicht nach der Zukunft zu fragen, denn sie ahnen instinktiv, dass die Zukunft keine rosigen Zeiten für sie bedeutet.

Vor 40 Jahren galt es als besonders impertinent, wenn vollgefressene Wirtschaftsbosse sich bei Tarifverhandlungen vor die Belegschaft stellten und lauthals verkündeten, dass doch alle den Gürtel etwas enger schnallen müßten. Heute stellen sich die Bosse nicht mehr selbst hin, sondern lassen über ihre speichelleckenden Tuis der prekär beschäftigten Belegschaft ausrichten, dass sie ihren Hintern mal aus der liebgewordenen Komfortzone bewegen sollten, wenn sie nicht gefeuert und am nächsten Tag durch einen der Tausenden vor den Fabriktoren Wartenden ersetzt werden wollen.

Es gehört zu einem der menschenverachtendsten Narrative des neoliberalen Machtgehabes, wenn von der Freiheit des abhängig Beschäftigten gefaselt wird, dass jeder doch sein Schicksal selbst in der Hand habe, niemand gezwungen sei bei der Firma soundso zu arbeiten und Tausende sich die Finger danach ablecken würden, wenn sie so einen tollen Job hätten, wie der gerade in den Senkel gestellte. Es ist perfide, den sich ständig verändernden, neoliberalen Arbeitsmarkt als einen Fortschritt, als eine Errungenschaft der Gegenwart darzustellen, so sind Minijobs, befristete Tätigkeiten, Leiharbeit und viele andere Spielarten ein Ausdruck der unglaublich befreienden Flexibilisierung der Gesellschaft. Prekär Beschäftigte, also Menschen, die mit ihrer Vollzeitarbeit ihre existentiellen Grundbedürfnisse nach Essen, Trinken und Wohnen nicht befriedigen können, haben die einmalige Chance mit vielen kleinen Nebenjobs ihren Horizont ständig zu erweitern und im Leben voran zu kommen.

Die Meritokratie ist eine niederträchtige Ideologie, die, in der Nachfolge protestantischer Ethik (Max Weber), den Erfolg bzw. Mißerfolg im Leben nicht nur ausschließlich pekuniär bewertet, sondern auch in das individuelle Vermögen jedes einzelnen Menschen verlagert, danach gibt es Menschen, die erfolgreich sind, weil sie sich anstrengen, was sich daran bemisst, dass sie viele Güter und Macht anhäufen und es gibt Heerscharen von erfolglosem Abschaum, der für sein Schicksal selbst verantwortlich ist, sich nicht genügend anstrengt, deshalb auch gerechterweise nicht genügend verdient oder gar noch von der Gesellschaft alimentiert werden muss und nach Aussage des ehemaligen Investmentbankers Emmanuel Macron nichts anderes ist als ein NICHTS.

In jede unserer Poren ist die meritokratische Ideologie eingedrungen, deshalb hasst sich der “Abschaum” inzwischen selbst, nach dem Motto: “Hättest Du Dich genügend angestrengt, müsstest Du jetzt auch nicht für kleines Geld als Krankenschwester alten Leuten den Hintern abwischen.” Kann sich jemand vorstellen, wie die Seele einer Krankenschwester aussieht, die sich bei jedem Einsatz, leise diesen Satz selbst zuflüstert? Aber natürlich, sie braucht diesen Job, sie ist alleinerziehend und das Krankenhaus war so großzügig und ermöglichte ihr flexible Arbeitszeiten, mehr Geld und weniger Arbeitszeit (die ihr und ihrem Kind zu gute käme) natürlich nicht, denn die Krankenhausleitung steht ja unter dem privatwirtschaftlichen Erfolgsdruck ordentliche schwarze Zahlen zu schreiben. Das ist Neoliberalismus an einem Beispiel gezeigt, aber leider gibt es Millionen weiterer Beispiele.

Mit dem Neoliberalismus hat der Kapitalismus seine Maske fallen lassen, hat er noch zu Zeiten des Wettstreits der Systeme, den ein oder anderen DM-Schein herausgerückt für soziale Belange, sieht er jetzt, nach dem Siegeszugs des Kapitals, keine Veranlassung mehr dazu. Gesellschaftliche Selbstbestimmung, innerer und äußerer Friede, Freiheit von gesellschaftlichen Ängsten, Dinge die für eine Demokratie, besonders in Zeiten der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, also seit 1948 – unter dem Druck des katastrophalen Vernichtungsgeschehens des 2. Weltkriegs verfaßt – selbstverständlich seien sollten, können inzwischen – wenn wir einen realistischen Blick in die Welt wagen – nur noch als eine Mär aus alten Zeit angesehen werden.

Glaubt denn jemand, wenn er der bereits genannten Krankenschwester nur mal die ersten zwei Artikel der UN Charta vorliest,

Artikel 1
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Artikel 2
Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

dass diese Krankenschwester sich nicht total verarscht vorkommt und die Erklärung als schlechten Scherz auf Kosten der Besitzlosen ansieht.

Im Neoliberalismus gibt es keine Würde, da gibt es nur Kapitalinteressen, wer in Unternehmerkreisen wirklich die Würde seiner Mitarbeiter zur Handlungsgrundlage macht, wird verspottet und belacht. Zeigt er sich daraufhin weiter als beratungsresistentes Weichei wird er kurzerhand von den Machteliten in Banken und Großkonzernen, mit Hinweis auf die Kriterien von Basel zwei bis unendlich, enteignet. Sozialen Unternehmern muss das Handwerk gelegt werden, da könnten die Mitarbeiter anderer Unternehmen ja noch auf dumme Gedanken kommen. Menschliche Arbeitskraft darf nur unter dem Aspekt der Kapitalverwertbarkeit betrachtet warden, nicht umsonst wird nur noch vom “human capital” gesprochen, in Bilanzen taucht es sogar im Wert von zugekauften Firmen unter den Aktiva auf.

4. Wie geht es weiter?

Nach der Auflösung des Warschauer Pakts hatten die Machteliten hüben wie drüben die einmalige historische Chance, die Welt insgesamt zu befrieden, sie haben diese einmalige historische Chance aus niederem, kurzfristigem Gewinnstreben heraus verstreichen lassen. Ja sie haben sogar das Gegenteil massiv angeschoben. Beispiel gefällig? Ich sage nur 800 weltweite amerikanische Militärbasen, mit den zentralen Drehscheiben Ramstein und Stuttgart – von Ramstein – als Relaisstation – wird der nukleare Erstschlag seit Jahren geplant und im Ernstfall gesteuert, von den täglichen Drohnenmorden auf der ganzen Welt ganz zu schweigen. ‚Warum sollen wir uns also Sorgen machen – die Menschheit ist in weiten Teilen sowieso so verkommen, dass man ihr ruhig das Licht endlich ausknipsen kann.‘

Im „Kalten Krieg 2.0“ spielen die Tuis eine zentrale Rolle, ohne die Intellektuellen, die ihre Fähigkeiten seit Jahrzehnten an die Machteliten verhöckert haben, wäre der „neoliberale turn“ überhaupt nicht möglich gewesen, da er brilliante Köpfe und think tanks (wie gesagt mehr als 6500 think tanks sind auf der Welt bekannt, fragen wir besser nicht nach den unbekannten – oder vielleicht doch) im Auftrag der Mächtigen benötigte, um völlig lautlos die Menschen zu Marionetten seiner Herrschaftsinteressen zu machen.

In früheren Zeiten, in denen die Machteliten nach außen hin deutlich ruppiger und unbedachter vorgingen, wäre in unserer heutigen Lage, aber mal dringend eine Revolution fällig gewesen, denn die Probleme und deren Verursacher gehören glasklar auf dem Tisch gelegen.

Die Tuis verderben die ganze Veränderung zu einer menschenwürdigeren Gesellschaft, weil sie die Veränderungsenergie in die falschen Bahnen lenken, deshalb ist es dringend notwendig einen Rückbauprozess der Tuis in Intellektuelle zu starten.

5. Was sind eigentlich Tuis für Wesen?

Im Unterschied zu Mandarins sind Tuis Wesen, die gegen Bezahlung ihren Verstand vermieten. Ohne die Tuis wäre das System der kapitalistischen, neoliberalen Elitendemokratie bisher überhaupt nicht überlebensfähig gewesen, denn nur sie sind aufgrund ihrer skrupellosen Weißwäscherei zum universalen Meinungsmanagement fähig. Sie sind jederzeit bereit, Sätze zu beweisen wie „Der Regen fließt von unten nach oben“ oder „Bei Pflanzen kommt die Frucht vor der Blüte“. Brecht, der dem Intellektuellen die Aufgaben der Lehre zuordnete, da die Gesellschaft ihm vom Broterwerb befreit hatte, wollte mit der anagrammatischen Umstellung des Wortes „Intellektueller“ in das Wort „Tellekt-Uell-In“, das untrügliche Kainsmal im Akronym „TUI“ herstellen. Beim TUI muß das Wissen der Ware weichen, obwohl er weiß, dass das Wasser den harten Stein brechen würde, wenn er das Wasser nicht vergiftet hätte. Nachzulesen in seinem Theaterstück “Turandot oder der Kongress der Weisswäscher” und in seinem erst posthum veröffentlichten Tuiroman.

Worauf kommt es an? Es kommt auf einen Rückbau der Tuis zu Intellektuellen an. Tuis müssen herausgerissen werden aus dem vierten Kreis der Macht, in dem sie sich seit Jahrzehnten tummeln.

In der Machtstrukturforschung findet man angelehnt an das „Power Strukture-Modell“ von C. Wright Mills und seinen Überlegungen zu den Machtstrukturen der Eliten ein idealtypisches Modell aus konzentrischen Kreisen, in denen die Machteliten angesiedelt sind.

Bernd Hamm hat das in seinem Artikel: „Das Ende der Demoratie … wie wir sie kennen“ in dem Band „Fassadendemokratie und tiefer Staat“, 2017, S.28, wieder aufgegriffen. Meine Beschreibung der vier Kreise, orientiert sich an diesem Artikel.

K1: Im innersten Kreis der Macht, der weltweit aus wenigen Personen, Familien und Clans besteht, findet sich die globale Geldelite, die über Vermögenswerte verfügt, die deutlich jenseits von 1 Milliarde Euro liegen.

K2: Im zweiten Kreis der Macht finden wir die CEOs internationaler Konzerne und Finanzdienstleister, die an der Spitze von den größten Finanzunternehmen stehen. Wobei hier die Übergänge natürlich fließend sind, Larry Fink der CEO von Blackrock  kann sowohl zum K1 wie zum K2 Kreis gezählt werden. Der Unterschied liegt darin, dass K2 Wesen tatsächlich steuern und das Vermögen der K1 Wesen vermehren und damit auch ihr eigenes Vermögen vermehren.

K3: Im dritten Kreis der Macht finden wir die weltweit wichtigsten und einflussreichsten Politiker, die Spitzen der Militärs und die wichtigsten Berater, die oft zugleich auch an den Spitzen der think tanks stehen, in denen nach allen Regeln der Kunst die opportunen Sprachregelungen ausgetüfftelt werden. Hier wird schon richtig gearbeitet, hier werden zum Beipiel die ganzen Umverteilungsprozesse von Unten nach Oben gesteuert, welche gesellschaftlichen Einrichtungen welches Budget erhalten und wie das Theaterstück Demokratie jeweils am besten aufzuführen ist, damit es seine Funktion, die Massen ruhig zu halten, auch optimal realisieren kann. Hier gehören auch die mächstigen Medienmogule hinein, die die Werkzeuge für das Meinungsmanagement zur Verfügung stellen.

K4: Den vierten Kreis der Macht könnte man auch als den Speckgürtel der Machteliten bezeichnen. Nur wenige Tuis schaffen es in den dritten Kreis der Macht, oft steht ihnen da ihre Denkfähigkeit und ihre Herkunft, sowie Ausbildung im Weg. Aber im vierten Kreis der Macht finden wir alle Funktionsträger und deren Gehilfen, alle diese Wesen lieben es im Dunstkreis der Macht sich aufzuhalten, gut bezahlt zu sein und einen angenehmen Wohlstand zu genießen. Sie hinterfragen die Wertmaßstäbe, die sie unters Volk bringen sollen, höchstens nach dem fünften Bier und am nächsten Tag haben siie alles vergessen und funktionieren wieder fehlerlos. In diesen Speckgürtel gehören Wissenschaftler, Mitarbeiter von think tanks, Rechtsanwälte, gleichgeschaltete Schriftsteller und Medienstars, Vertreter von NGOs, und Kirchen, die der Macht und nicht dem Gemeinwohl verpflichtet sind.

Im vierten Kreis der Macht finden wir auch Heerscharen von kleinen leitenden Angestellten, Lehrern und sonstigen Beamten, die die Sache der Eliten aus einem Anflug von Überidentifikation und Angst (ihre gesicherte Existenz zu verlieren), als einzig vernünftigen Weg in die Gehirne ihrer Untergebenen zu pressen versuchen. Diese Parvenüs sind gefährlich, weil sie kein wirkliches Einsehen in ihr Tun haben, zur Macht dazugehören wollen und den direkten Zugang zu den sogenannten Normalmenschen haben und deshalb im Detail sehr viel Unheil anrichten können, durch ihr manipulatives Arbeiten. Z.B. geht die Abrichtung von Menschenzombies, den Zwitterwesen, die sowohl Mensch wie Maschine sind und als Rädchen in den Strukturen der Macht funktionieren sollen, auf ihre Kosten, sie befähigen nicht die Menschen, die ihnen anvertraut sind, zum kritischen Selbstdenken und analysieren, sondern zum Kadavergehorsam gegenüber Machteliten, die ihnen sagen wo es lang geht.

Aber in diesen vier Kreisen der Macht kann man nur zuverlässige Wesen mit dem entsprechend passenden Stallgeruch brauchen, auf diese Art kam es zu einer riesigen Prekarisierung der Akademiker, die im Unterschied zu vor 40 Jahren heute genauso zu den Verlierern der Geschichte gehören wie „normale“ Arbeitslose. Welcher Akademiker übersteht ohne psychischen Schaden, nachdem er sich im Bolognaprozess so heftig angestrengt hat, aber leider nicht über die passenden Eltern und die Mitgliedschaften in schlagenden Verbindungen verfügt, das er sich nach Abschluss seiner vielen Ausbildungsschritte ein Leben lang als Taxifahrer durchschlagen muß.

Weil alles so komplex und undurchsichtig geworden ist, kommt der Rolle des Intellektuellen im 21. Jh. eine zentrale Rolle für die planetarische Zivilgesellschaft zu, weniger um die bereits immerwieder gescheiterten Elitenmodelle neu aufleben zu lassen, mehr um die Menschen dazu zu befähigen, endlich wieder selbst zu denken und nicht alles zu glauben, was man ihnen vorsetzt. Immer nach dem Grundsatz: “An allem ist zu zweifeln”.

Der Zweifel kappt den Transmissionsriemen der Bewußtseinsindustrie und behindert dadurch die ungetrübte Freude der Machteliten zu herrschen. – Sand im Getriebe – All die schönen SoftpowerKulturKriege sind ohne TUIs nicht möglich. Auch der Kampf gegen die Errungenschaften der Aufklärung, wird vor allem von den Tuis geführt, abtrünnige Tuis, die sich nach ihrer Pensionierung wieder zu Intellektuellen rückverwandeln, sind in der Lage die Fahne der Vernunft wieder zu hiessen und instrumentelle Vernunft, als Meinungs-, Herrschafts- und Demokratiemanagement zu entlarven.

Eine radikaldemokratische, zivilgesellschaftliche Avantgarde fragt immer nach den Prämissen, nach den zugrundliegenden Wertmaßstäben, nach Erkenntnis, all diese Aktivitäten gehört zur gesellschaftlichen, demokratischen Praxis und nicht in den Elfenbeinturm. Konkrete Utopie hat ihre Funktion nicht im konkreten Gegenentwurf, sondern in der Wertskala, die den Weg zu anderen Möglichkeitsfeldern eröffnet.

Wenn wir verstehen wollen, warum wir in einer Gesellschaft mit beständigem Wissenszuwachs leben und gleichzeitig dieses Wissen in unserem täglichen Handeln missachten, dann kann das eigentlich nur an überkommenen Paradigmen liegen, die tief in unserer Existenz verankert sind und stärker wirken als theoretische Einsicht. Wie kommen wir heraus aus diesem Dilemma?

Professoren, wie Noam Chomsky in USA oder Rainer Mausfeld in Deutschland genießen einen hohen gesellschaftlichen Status – Aussagen, die sie machen, werden ungleich mehr beachtet als solche von Otto Normalbürger und sie haben den zusätzlichen Vorteil, dass für sie genauso gilt, was für Sartre in Frankreich, aber auch für Brecht in der DDR galt: “Voltaire verhaftet man nicht.”

Der Neoliberalismus hat in seinem Klassenkampf „von oben“ zweifellos das „daddelnde“ Prekariat „von unten“ geschaffen und so seine Herrschaft erstmal gesichert, aber irgendwann wird der Bogen vielleicht auch überspannt oder jemand erfindet eine RevolutionsApp und plötzlich sind in Ramstein nicht mehr nur 5000 Unverdrossene die als einsame Rufer in der Wüste demonstrieren, auch weil sie sich von ihren Enkeln nicht sagen lassen wollen, dass sie gegen den 3. Weltkrieg nichts unternommen haben, sondern mehrere Millionen Follower.

Zweifellos ist das revolutionäre Subjekt nicht mehr die Arbeiterklasse, sondern jeder abhängig Beschäftigte in der planetarischen Zivilgesellschaft, der nichts anderes zu verkaufen hat als seine Arbeitskraft, auch hinsichtlich neuer sozialer Utopien muß sich vieles ändern, z.B. ist der Sozialismus 2.0 wohl eher eine Postwachstumsgesellschaft, die von einer strikten Resssourcenwende und einer grundsätzlichen Umverteilung von Kapital und Arbeit gekennzeichnet ist. All dies ist ohne redliche Intellektuelle, die den Fakten und nicht der Vernebelung dienen, nicht ins Werk zu setzen, einmal weil sie nicht wie Tuis verführen, sondern die Menschen mit Argumenten bewaffnen (Régis Debray) und weil sie über das notwendige kulturgeschichte und technologische know how verfügen, um den Neustart der Welt zu ermöglichen.

6. Conclusio

Vielleicht solltes es einem nicht ganz so bange sei, wenn man an die inzwischen entstandenen alternativen Medien und an Wissenschaftler wie Rainer Mausfeld denkt, dessen neues Buch, “Angst und Macht” ich hier jedem dringend zur Lektüre empfehle. Das Buch endet mit einer klaren Botschaft an alle, die noch nicht aufgegeben haben, diese möchte ich gerne zum Schluß zitieren:

„Der Neoliberalismus hat zu einem zivilisatorischen Regress einer Entzivilisierung von Macht geführt, als dessen Folge unsere Gesellschaft und unsere gesamten Lebensgrundlagen zerstört werden. Ein wirksames zivilisatorisches Gegenmittel kann nur von unten kommen und muss von unserer Entschlossenheit und unserer unbeirrbaren Überzeugung geleitet sein, dass es keine Form gesellschaftlicher Macht geben darf, die nicht demokratisch legitimiert ist. Ein solches Projekt hat zu seiner notwendigen Voraussetzung, zunächst die mit dem Neoliberalismus zum Extrem getriebene soziale Fragmentierung und Atomisierung zu überwinden und auf der Grundlage eines egalitären Humanismus – also einer Anerkennung aller Menschen als Freie und Gleiche ungeachtet ihrer faktischen Differenzen – Solidarität und Gemeinsinn als Fundamente gesellschaftlichen Handelns zurückzugewinnen.“

 (Rainer Mausfeld, Angst und Macht, 2019, S.102)

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