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Ein Gespräch mit dem Künstler & Sozialisten: William Morris

william-morris-forestWilliam Morris (1834 – 1892) gilt vielen als verschrobener Phantast, der sich in ein mittelalterliches Arkadien zurückgeträumt hat und seine Firma eher wie eine Bruderschaft mit brüderlichen Idealen als mit harten kapitalistischen Gesetzen führen wollte. Morris war jedoch nach unserem Dafürhalten ein wahrhafter Visionär, ein undogmatische Sozialist und Humanist, aber auch ein großer Realist, der keine Scheuklappen aufsetzte, der sehr genau sah, wohin die Arbeitsteilung der industriellen Revolution, der Verlust handwerklichen Wissen und Könnens, das industrielle Fertigen und die Zerstörung, wie die Entfremdung von der Natur führen würden, nämlich genau dort hin, wo wir heute stehen. William Morris war ein Mensch, der die Natur liebte, nicht im Sinne eines Blut- und Bodenmythos, nicht als etwas, das dem Menschen zur Unterwerfung und Ausbeutung überantwortet ist, sondern als Lebensgrundlage und Quelle von Schönheit, als Seinsbereich, der entscheidend für Empfindungen des Glücks oder Unglücks ist. Insofern kann man William Morris als den Urvater aller grün-alternativen Linken ansehen. Warum? Das könnt Ihr in dem nachfolgenden Gespräch zwischen ÖkoRadiX und William Morris näher erfahren.

William Morris KopfOekoRadiX (OR): Mr. Morris, herzlichen Dank für Ihren Besuch in unserer Redaktion. Den meisten unserer Leser sind Sie – überspitzt formuliert – heute nur noch als ein genialer Designer floraler Tapeten im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts bekannt, dabei könnte man doch bei einem ganzheitlichen Blick auf Ihre Person, Ihr Leben und Ihr Werk wie im Spiegel eines großen Künstlers, alle Aspekte und Probleme unserer Gegenwart perfekt erkennen und für eine Analyse der Jetztzeit nutzbar machen. Aber vor allem auch Ihre vielen Ideen zu Leben – Schönheit – Kreativität und Gesellschaft sind heute aktueller denn je.

William Morris (WM):  Wenn Sie das so sagen, dann freue ich mich natürlich darüber …

OR: Bekanntlich sieht man ja oft den Wald vor lauter Bäumen nicht, deshalb kann der Blick in die Geschichte doch sehr hilfreich sein, besonders dann, wenn alte und neue Zeiten, wie in der Mitte des 19. Jahrhundert, aufeinanderprallen und alle Probleme bereits im Kleinen auftauchen. Für uns Heutige ist z.B. unsere Entfremdung und unser Umgang mit der Natur zu einem großen Problem geworden, in Ihrem Lebenswerk, Mr. Morris, spielt die Natur ja eine ganz herausragende Rolle. Der Header zu diesem Beitrag zeigt z.B. Ihren Wandteppich „The forest“, der heute im Londoner Victoria & Albert Museum zu bewundern ist. Können Sie unseren Lesen kurz erzählen, was Sie zu diesem Motiv bewogen hat?

WM: Zunächst muß ich betonen, daß der Wandteppich, der im Workshop Merton Abbey meiner Firma „Morris & Co.“ 1887 gewebt wurde, nicht nur von mir, sondern auch von meinem Freund Philip Webb und meinem Designer John Henry Dearle entworfen wurde.
Philip hat die Tierfiguren kreiert, John hat das florale Design entworfen und ich hab die Blumen im Vordergrund und den äußeren Rahmen beigesteuert.
Der Wandteppich zeigt die innere und äußere Ruhe, in der die Natur verharrt, im Unterschied zu unserer von der Natur entfremdeten Geschäftigkeit, die dieses in sich ruhende Gleichmaß nicht mehr kennt. Insofern ist der Teppich Schönheit und Mahnung zugleich, wie alle Werke von „Morris & Co“, der Firma, die ich ab 1875 allein zu managen hatte.

OR: Aha, ich habe verstanden, die Natur spielt in Ihrem Werk die zentrale Rolle und dient nicht nur als ornamentales Beiwerk. Wenn man auf Ihr politisches Engagement sieht, dann fällt einem sofort auf, daß es bei Ihnen eine enge Verzahnung zwischen gesellschaftlich/wirtschaftlichen Themen, wie Produktivkraftentwicklung, Gewinnstreben, Kapital, Produktionsmitteleigner auf der einen Seite und einem einfachen, naturnahen, von Schönheit bestimmten, Leben auf der anderen Seite gibt.
Bis zu Ihrem leider sehr frühen Tod 1896 (im Alter von 62 Jahren) habe Sie sich selbst immer als Sozialisten, bisweilen auch als Kommunist bezeichnet, wobei wie schon gesagt einfache Lebensweise und Harmonie mit der Natur neben einer gerechteren, menschenwürdigeren Welt für sie im Zentrum ihrer sozialistischen Aktivitäten lag und damit sich doch stark vom sozialistisch, dogmatischen Mainstream schon in der damaligen Zeit unterschieden hat.
Schönheit war für sie z.B. eine Kategorie, ohne die eine sozialistische Gesellschaft nicht auskommen kann. Friedrich Engels nannte sie unter anderem deshalb etwas abschätzig einen „Gemütssozialisten“ und man fragt sich noch heute, was dagegen einzuwenden ist, wenn ein Sozialist mit „Gemüt“ ausgestattet ist.
Denkt man länger und tiefer nach und bezieht die ganzen Fehlentwicklungen des Sozialismus im 20. Jh. mit ein, dann könnte man doch sagen, der gedankliche Impakt der hinter dieser Aussage von Engels steht, ist bis heute das Problem jeder sozialistischen Bewegung gewesen.

WM: „Ich verstehe unter Sozialismus … eine Gesellschaft, in der alle Menschen unter gleichen Bedingungen leben, in der es zu keiner Verschwendung kommt und volle Klarheit darüber herrscht, daß die Beeinträchtigungen der Rechte eines einzelnen die Beeinträchtigung der Rechte aller bedeutet. … Wir wollen mit den Mitteln sozialer Demokratie zu einem anständigen Leben gelangen. Wir wollen wirklich lebendig sein und bleiben. Darauf bestehen wir, hier und jetzt. Gewiß, wer behauptet, daß die Frage von Kunst und Kultiviertheit gegenüber der des Lebensunterhalt den Vorrang habe … hat nicht begriffen, was Kunst bedeutet bzw. daß sie ihre Wurzeln im aufstrebenden und angstfreien Leben hat. …  Es ist die Provinz der  Kunst, die das wahre Ideal eines erfüllten und vernünftigen Lebens vor (uns) aufrichtet, eines Lebens, zu dem notwendigerweise die Wahrnehmung und die Schöpfung von Schönheit, die Freude an wahren Vergnügen gehört – und zwar ebenso notwendig wie das tägliche Brot.“

OR: Mir scheint, daß sie von der Kunst einen wesentlich umfangreicheren Begriff haben, als wir es normalerweise in unserer bürgerlichen Vorstellung von Kunst gewohnt sind. Für unsere Leser ist es vielleicht nicht uninteressant zu verstehen, daß sich für Sie – als praktischen Sozialisten – der Sozialismus als Konsequenz aus ihren künstlerischen Vorstellungen ergeben hat. Sie setzen da ein Menschenbild voraus, daß wir heutigen wohl mit dem Ausspruch von Joseph Beuys von 1967 beschreiben würden: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Diese Vorstellung der Kunst als „soziale Plastik“, als lebender Organismus zielt auf eine allumfassende Gesellschaftsordnung, in der Freiheit für das Individuum, Gleichheit der Rechte und Brüderlichkeit in einem gemeinsamen Wirtschaften im Mittelpunkt stehen.
Könnte man deshalb sagen, daß für Sie Sozialismus ein Gesamtkunstwerk ist?

WM:  Ja, das könnte man auf jeden Fall sagen.

socialist_league_morrisOR: In der Socialist League, die Sie zusammen mit der Tochter von Karl Marx und einigen anderen Mitstreitern aus der „Social Democratic Federation“ Ende 1884 gegründet haben und deren Zielsetzung von Anfang an ein revolutionärer, internationaler Sozialismus war, haben sie eine politische Bewegung ins Leben gerufen, die im England vor der Jahrhundertwende doch recht einflußreich war, obwohl sie nicht sehr viele Mitglieder besaß.
Lag das an den vielen hellen und engagierten Köpfe der damaligen sozialen Bewegung in England, die sie zu einer Mitarbeit motivieren konnten? Sie sollen ja z.B. auch Annie Besant, die spätere Theosophin und Widersacherin Rudolf Steiners dazu bewegt haben, sich mit den Schriften von Marx zu beschäftigen und in der Socialist League aktiv mitzuarbeiten.

WM: Um der Wahrheit die Ehre zu geben, so war nicht ich es, der Annie Besant mit dem Marxismus bekannt machte, sondern Edward Aveling, dem ersten englischen Übersetzer der Schriften von Karl Marx, der sie sehr stark in ihrem Denken beeinflußt hat. Ende der 80er Jahre  hat sie ja dann in Paris Madame Blavatsky und die Theosophie kennengelernt und ihre marxistischen Brücken leider abgebrochen.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß meine erste deutsche Übersetzerin meines utopischen Romans „Kunde von Nirgendwo“, ja die Frau von Wilhelm Liebknecht war, der in Berlin eine Arbeiter Bildungsschule gegründet hatte, an der Rudolf Steiner von 1899 bis 1904 unterrichtete. Jener Rudolf Steiner, der dann einige Jahre später im Widerspruch zu Annie Besant in Deutschland die  Anthroposophie ins Leben gerufen hat, so schließen sich die Kreise und so können sie sehen, wie all diese hellen Köpfe ein sehr ganzheitliches und mit menschlicher Kreativität stark verbundenes Menschen- und Gesellschaftsbild hatten.
Viele meiner/unserer Thesen sind in andere soziale Bewegungen eingegangen, die im 20sten Jh. bedeutend wurden und damit meine ich nicht die offiziellen sozialistischen Versuche, die in Massenmord, Tränen und Menschenverachtung geendet sind.

OR: Könnte man sagen, daß  Sie heute eher ein alternativer Öko wären, als ein Sozialist?

WM: Ich würde vermuten, ein ökoradikaler Linker. All meine Ideen zu Nützlichkeit, Einfachheit und Angemessenheit statt Luxus sind heute eher in anderen gesellschaftlichen Bewegungen angesiedelt, als bei dogmatischen Sozialisten, wenn ich das richtig sehe. Das Etikett „Sozialist“ war mir nie wichtig, was mir jedoch sehr wichtig war, war die moralische Verantwortung von Designern und Herstellern für die Produktion von Qualitätswaren. Design als demokratisches Mittel für soziale Veränderungen war mir wichtig, die Korrespondenz von häßlichen gesellschaftlichen Strukturen mit der Häßlichkeit der Architektur und dem Gegenbild einer harmonischen, schönen Gesellschaft mit einer schönen Innen- und Außenarchitektur, der ganzheitliche Entwurfs- und Herstellungsprozeß unter einer ästhetischen, sozialen und umweltorientierten Betrachtungsweise war mir wichtig. Der schonende nicht verschwenderische Umgang mit den Ressourcen, kein Raubbau der Natur nur aufgrund von kurzfristigen Profitinteressen, technische Entwicklung für die Menschen und nicht für Kapitalinteressen und die Naturnähe der Menschen, die weder von ihrer äußeren noch von ihrer inneren Natur entfremdet leben müssen, all das war mir wichtig.

OR:  Nun 120 Jahre nach Ihnen werden solche Thesen nach wie vor von zivilgesellschaftlichen Bewegungen vertreten, die leider keine besonders machtvolle Lobby in der Politik haben. Politik wird heute stärker denn je von Kapitalinteressen bestimmt und die Ideen eines einfachen, angemessenen Lebens inmitten von ehrlichen Materialien und Schönheit in Natur und Haus scheinen Lichtjahre entfernt zu sein vom virtuellen Mainstream der Gegenwart.

WM: Nun, wie ich in meiner Schrift „Wie wir leben und wie wir leben könnten“ bereits 1886 geschrieben habe, liegt das Hauptproblem darin begründet, das Reformen nichts bringen, weil sie die Prämissen unserer Gesellschaftsordnung nicht verändern„Das Wort Revolution … hat in den Ohren der meisten Menschen einen schrecklichen Klang … selbst wenn wir darauf hinweisen, daß wir das Wort in seinem etymologischen Sinn benutzen, daß wir darunter die Veränderung der Grundlagen der Gesellschaft verstehen, sind die Menschen bei der Vorstellung von so großen Veränderungen erschreckt.“ Reformen bewirken nicht viel, weil sie die Übel auf diesem Planeten nicht an der Wurzel anpacken.

Morris-woodpeckerOR: Ich verstehe, wenn man Ihre Schriften liest und diese auf unsere heutigen Verhältnisse überträgt mit entsprechenden Beispielen, dann meinen sie in etwa folgendes:
Wir verschwenden unsere Ressource Lebenszeit für den Erwerb von Geld, mit dem wir uns dann Dinge kaufen können, die wir für ein erfülltes Leben gar nicht brauchen, die wir aber kaufen müssen, um das Wachstum und den Profit anderer zu sichern.
Ebenso verschwenden wir in sinnloser Weise die Ressourcen dieses Planeten, kostbare unwiederbringliche Schätze dieses Planeten, werden ausgeplündert, nur dafür, daß wir jedes Jahr ein neues Handy kaufen können, aber auch für das Wachstum der Wirtschaft kaufen müssen, nur um dann den kostbaren Rohstoff nach einem Jahr auf den Müll zu werfen. Dem Kreislauf der Natur ist er jedenfalls unwiederbringlich entzogen.
Die Anarchie der Warenproduktion bedeutet das Herstellen einer völlig sinnlosen Überproduktion zum Zweck des vollkommen unkontrollierten Kriegs der Märkte und der Verdrängung.
Verdrängungswettbewerb geht mit seiner anarchischen Warenproduktion immer zu Lasten des Ökosystems und darin schließen sie ausdrücklich menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Mensch und Tier mit ein!
Für einen vernunftgemäßen, sinnvollen, nachhaltigen Konsum, in dem wir nicht mehr verbrauchen, als unsere Ökosystem immer wieder just in time herstellen kann, also nicht erst 500 Jahre später (vielleicht!) brauchen wir andere Prämissen, als die, die dem kapitalistischen Wirtschaften zugrunde liegen.
Niemand wird bestreiten wollen, daß  es im Kapitalismus um Profitmaximierung und Akkumulation von Kapital geht, dies funktioniert nur durch Verdrängung und Wachstum, das bedeutet, der Kapitalismus ist von seinen Grundsätzen her gezwungen, immer neue Märkte für sein Wachstum zu erschließen und auf bestehenden Märkten in einem rigorosen Verdrängungswettbewerb, Mitbewerber als Feinde zu liquidieren.
In diesem bösen Spiel ist der Mensch, der nichts als seine Ressource „Lebenszeit“ in Form von Arbeit geben kann, ein Spielball dieser vollkommen von ökonomischen Erwägungen bestimmten Kriegs. Er muß seine Arbeitskraft am Markt so anbieten, wie sie aufgrund der Nachfrage der Kapitaleigner bezahlt wird nicht danach welche Werte sie schafft.
Diesem Kreislauf können wir uns partiell nur entziehen, in dem wir die Prämissen unseres Konsums kritisch hinterfragen und uns neue/alte Maßstäbe erarbeiten, was wir für unser tägliches Leben wirklich brauchen, anstatt uns diese Maßstäbe durch eine immer mehr perfektionierte Werbeindustrie vorgeben zu lassen.
Sie haben ja das Diktum aufgestellt, man solle „nichts im Haus haben, was man nicht nützlich findet oder für schön hält.“ Das setzt allerdings einen kritischen, gebildeten Verstand voraus, der sich nicht dem Diktat der Werbeindustrie überläßt! Ihre Vorstellung, daß Menschen sich eine Welt der einfachen, schönen Dinge schaffen sollen, setzt sehr, sehr viel voraus und ist vor allem nur auf der Grundlage von Bildung zu erreichen. Wir werden im Laufe des Gesprächs sicher nochmal auf ihre 4 Forderung für eine andere Gesellschaft zurückkommen.
Nun sie sagen im übertragenen Sinne, daß die Produktivkraftentwicklung auf diesem Planeten dafür verwendet werden soll, daß alle Menschen auf diesem Planeten ein menschenwürdiges, glückliches Leben führen können, ohne nur eine einzige Sekunde mehr von diesem Planeten zu verbrauchen, als er uns sowieso schon im Übermaß zur Verfügung stellt.
Das manche Länder im Jahr zehnmal mehr verbrauchen, als der Planet uns liefern kann, wir also auf ganz direkt irreversible Weise Ressourcen wirklich verbrauchen, ohne sie in angemessenen Zeiten von der Natur wieder herstellen zu lassen (wir können nicht Millionen von Jahre warten, bis die Natur wieder neues Erdöl hergestellt hat! – bis dahin sind wir längst ausgestorben) kommt durch all diese falschen Grundlagen zustande. Habe ich sie da richtig verstanden.

WM:  Ich hätte meine Ideen nicht besser zusammenfassen können, wenngleich viele der katastrophalen Entwicklungen, die sie angesprochen haben, ja zu meiner Zeit noch nicht soweit fortgeschritten waren, ich habe z.B. gehört, daß 60% der Umweltschäden, mit denen sie heute zu kämpfen haben, erst in den letzten 30 Jahren entstanden sind.

OR: Nun Mr. Morris unsere Leser werden sich fragen, ob ihre politischen und künstlerischen Ansichten vielleicht auch ihrer Herkunft geschuldet sind und Arbeiter, Arbeitslose, Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, ganz andere Zielsetzungen verfolgen, wie sie. Arme Menschen mögen es meist garnicht gerne, wenn wirtschaftlich reiche Menschen, wie Sie, ihnen die Revolution und das einfache Leben predigen, von dem sie mehr als genug haben.  Um diese Frage besser beantworten zu können, gestatten sie mir bitte einen kurzen Durchgang durch ihre Biografie:

Woodford-HallEs ist sicherlich nicht falsch, wenn wir sagen, daß sie aus einem großbürgerlichen Elternhaus stammen, wenn wir den stattlichen georgianischen Landsitz Woodford Hall in Essex anschauen, der in einem 40 Morgen (100.000 qm) großen Park lag und den die Familie zwischen 1840 und 1848 bewohnte und von dem aus Ihr Vater jeden Tag mit der Kutsche nach London an die Börse gefahren ist, scheint mir da kein Zweifel möglich.

Elm-HouseSie wurden aber ursprünglich in einem „etwas kleineren“ Haus 1834 in Elm House in Walthamstow bei London geboren, ihr Vater war Börsenmakler bei Sanderson in der Londoner City und hatte durch Beteiligungen an Kupferminen einen beträchtlichen Reichtum erworben und hinterließ deshalb nach seinem Tod 1847 der Familie ein großes Vermögen.
Diese finanzielle Grundlage ermöglichte es ihnen viele ihrer großartigen Ideen überhaupt erst in Gang zu setzen. Man könnte die Vermutung wagen, daß ihr soziales Engagement auch dem Schuldbewußtsein über die Art und Weise wie dieses große Vermögen zustande gekommen war, geschuldet ist. Sie wollten mit diesem Geld die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und die Ausplünderung der Natur nicht weiter fortsetzen, sondern für soziale Gerechtigkeit sorgen. Ist das so in etwa richtig.

WM:  Ja das könnte man verkürzt vielleicht so sagen.

MarlboroughCollege-300x164OR: Nach ihrer Schulzeit im liberalen Internat Marlborough College, ebenfalls eine nicht gerade ärmlich zu nennende Atmosphäre für einen heranwachsenden jungen Mann des englischen Bürgertums (noch dazu scheint der pädagogische Stil im Marlborough College eher freiheitlich als orthodox militärisch gewesen zu sein), gingen sie als 19 Jähriger 1853 zum Studium der Theologie ans Exeter College der University of Oxford. Man sagt die 2 Jahre Privatunterricht bei Referend Frederick Guy zwischen dem Marlborough College und dem Studium hätten sie zu der Wahl des Studienfachs bewogen.

Bereits im ersten Semester freundeten sie sich mit dem 7 Monate älteren Edward Burne-Jones an, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. In Oxford wurden sie dann stark  von den Ideen John Ruskins beeinflusst und schlossen neben Burne-Jones mit Dante Gabriel Rossetti, Ford Madox Brown, und Philip Webb Freundschaften.

Von links nach rechts: Edward Burne-Jones, William Morris, Dante Gabriel Rossetti, Philip Webb, Ford Madox Brown, Jane Burden Morris
Von links nach rechts: Edward Burne-Jones, William Morris, Dante Gabriel Rossetti, Philip Webb, Ford Madox Brown, Jane Burden Morris

Mit ihrer Volljährigkeit – damals wurde man ja noch mit 21 volljährig –  kamen sie 1855 in den Genuß eines üppigen Jahreseinkommens aus dem Vermögen ihres verstorbenen Vaters, daraufhin beschlossen sie auf einer Reise nach Nordfrankreich mit Edward Burne-Jones, auf der sie sich intensiv mit der gotischen Architektur der Kathedralen beschäftigen, das Theologiestudium aufzugeben und „zukünftig ganz der Kunst zu leben“. Burne-Jones sollte Maler werden und Sie wollten Architekt werden. Von Ihren wirtschaftlichen Verhältnissen her, gab es da ja auch kein Problem mehr.
Kaum nach England zurückgekehrt, nahmen sie eine Lehrstelle in dem Architekturbüro von Georg Edmund Street in Oxford an, die sie allerdings auf Drängen Rossettis bereits 1856 wieder aufgaben, weil Rossetti meinte, sie müßten unbedingt Maler werden.
Die Freundschaft, die sie in diesem Architekturbüro mit Philip Webb schließen, bleibt allerdings bis zu ihrem Lebensende bestehen.

Jane MorrisEbenfalls in Oxford lernten sie ihre zukünftige Frau Jane Burden, die Tochter eines Lohnkutschers und Stallknechts, kennen, die sie gegen den Widerstand Ihrer Familie 1859 heirateten. Uns Heutigen ist Jane Morris vor allem durch die vielen Bilder, die Dante Gabriel Rossetti von ihr malte und durch ihre eigene Photokunst, die sie um die Jahrhunderwende (wenn sie gestatten – nach ihrem Tod) betrieb, bekannt.

Mit Burne-Jones haben sie dann nach Ihrer Oxforder Zeit in einer Art von Wohngemeinschaft in London zusammengehaust und gemeinsam ein Atelier betrieben.

Nach ihrer Eheschließung machten Sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Familien-Wohnsitz und erst dadurch wurde ihnen das ganze Elend viktorianischer Architektur und Wohn-un-kultur bewußt.
Schließlich haben sie gemeinsam mit ihrem Freund, Philip Webb ein Haus genau nach ihren Vorstellungen von einem schönen und zweckmäßigen Wohnhaus in einem Obstgarten in Kent entworfen, das sogenannte Red House in Bexley Heath.

Red House

red_houseIn Red House kommen Ihre beiden Töchter zur Welt, Jane Alice, genannt Jenny im Januar 1861, und Mary, genannt May im März 1862. Mit May arbeiten Sie viel in der Social League zusammen und May wird auch nach Ihrem Tod die Herausgeberin Ihrer Werke, Jenny arbeitet als Designerin bei „Morris & Co.“ und entwirft viele Stoffmuster.

Man könnte sagen, Red House ist für ihr künftiges Schaffen die Initialzündung, in Red House versuchen sie zum ersten Mal Ihre Prinzipien von Schönheit (Rhythmus und Proportion natürlicher Formen) mit einfachen, ehrlich handwerklich hergestellten Materialien und Zweckmäßigkeit der Räume miteinander zu verbinden.

WM: Ja das stimmt, hier haben sich meine lebenslangen Grundsätze von Gediegenheit  des Gebrauchs und der Materialien, Angemessenheit der Formen und Größen, sowie Einfachheit der Lebensführung entwickelt. Jede Art von Design und Architektur sollten diesen Grundsätzen entsprechen.

OR: Mir scheint, daß in dem Diktum der „einfachen Lebenführung“ in Verbindung mit der „Gediegenheit der Materialien“ ein ganz wichtiger wirtschaftlicher Zusammenhang benannt ist, den Heutigen überhaupt nicht beherzigen, ja gar nicht erst in Erwägung ziehen. Natürlich ist klar, daß handwerklich, manufakturmäßig hergestellte, regionale Materialien zunächst teurer sein müssen, als industriell gefertigte Materialien, es seie denn, wir gehen von Sklavenlöhnen in China aus, wo man mit 1 Euro Vollkosten schon sehr weit kommt, was wir aber prinzipiell ablehnen müssen. Nun diese gediegenen Materialien, wenn sie fair hergestellt sind , sind teuer. Ein Problem wächst aus diesem Tatbestand aber erst heraus, wenn wir zu dieser Qualität auch gleichzeitig Quantität wollen. Wenn wir also uns nicht einen handwerklich fair gefertigten Schrank aus gediegenem, heimischen Vollholz für unser Leben anschaffen wollen, sondern viele Schränke und möglichst alle zwei Jahre neue, dann kommen wir in einen Kreislauf des verschwenderischen Überflusses, der in letzter Konsequenz unsere Lebensgrundlagen auf dem Planeten zerstört.

Morris CombiWM: Ich hätte es nicht besser sagen können. Deshalb habe ich ja auch provokant formuliert, daß der größte Feind der Kunst der Luxus ist. „Kunst kann in einer luxuriösen Atmosphäre nicht gedeihen.“ Und wenn ich Kunst sage, dann meine ich diesen umfassenden Gebrauch des Wortes, über den wir schon gesprochen haben und der für eine Veränderung der Gesellschaft notwendig ist. „Kein Mensch, der mit der Zerstörung und Verschandelung alter Gebäude einverstanden ist, hat ein Recht zu behaupten, er liebe die Kunst. Er begeht ein unentschuldbares Verbrechen. Er kann sich seinerseits auch nicht kritisch und anklagend gegen Zivilisation und Fortschritt wenden, weil er sich selbst brutaler Ignoranz schuldig macht.“

OR: Aha jetzt verstehe ich, sie haben ja in ihrem Aufsatz „Die Schönheit des Lebens“ geschrieben: „Die natürliche Verwitterung der Oberfläche eines Gebäudes ist schön, ihre Beseitigung katastrophal“. Deshalb wurde wohl  Red House als ein unverkleideter Backsteinbau ausgeführt. Das Haus steht heute noch und man sieht, wie Recht sie mit ihren Vorstellungen eines würdevollen Alterns von handwerklich hergestellten Materialien im Vergleich zu Industriematerialien hatten.

WM: „Bitte, vergessen sie auch nicht, daß jeder der einen Baum mutwillig oder gedankenlos niederlegt … kein Anrecht darauf hat, sich als Kunstkenner aufzuspielen. … Ich frage sie,  wie verhalten sie sich gegenüber Bäumen auf einem Bauplatz? Versuchen sie, sie zu retten und ihr Haus den Bäumen anzupassen? Begreifen sie welche Schätze Bäume darstellen? Welche Augenweide Bäume verglichen mit jenen gräßlichen Hundehütten sind, mit denen sie wahrscheinlich dieses Grundstück überbauen werden? … Reiche Leute sind nicht gezwungen in häßlichen Häusern zu wohnen. Trotzdem tun sie es. … Wir wollen für unsere Häuser mehr den Schein als das Sein selbst.“ Das ist keine Architektur von glücklichen Menschen für glückliche Menschen. „Unter solchen Bedingungen gibt es keine Architektur, deren Haupteigenschaften Einfachheit und Gediegenheit sind. … Wir sollten ein Gefühl von Vergnügen verspüren, wenn wir daran denken, daß der Bauherr ein Stück seiner Seele in den Bau hineingegeben hat, das den Betrachter noch begrüßen wird, lange nachdem der Bauherr schon tot ist. Aber was für Gefühle rufen neuerbaute Häuser tatsächlich bei uns hervor – nichts als die Hoffnung, sie in ihrer erniedrigenden Häßlichkeit möglichst bald wieder zu vergessen.“

OR: Sie sprechen mir aus dem Herzen. Wenn ich mich recht erinnere, kam ja auch die Idee zu Ihrer Firma „Morris & Co.“ durch Red House zustanden, da Sie natürlich auch bei der Inneneinrichtung die selben Maßstäbe angewandt sehen wollten, wie bei der Architektur und dabei scheiterten als Sie das  verfügbaren Angebot an Einrichtungsgegenständen begutachteten. Deshalb kamen Sie dann zusammen mit ihren Freunden auf die Idee „Die Firma“ zu gründen, um die ihren Vorstellungen gemäße Inneneinrichtung selbst herzustellen.

WM: Was mir immer sehr wichtig war, daß Produkte, die von Menschen hergestellt werden, eine gewisse Qualität haben müssen, daß Materialien, Strukturen, Farben und Muster aufeinander abgestimmt sind und einen Sinn ergeben. Farben und Materialien sollten möglich der Natur entnommen sein, bzw. in naturnahen Prozessen hergestellt werden und nicht durch industrielle Prozesse, deshalb waren mir z.B. auch auch immer natürliche Pflanzenfarben wichtig.
Die Firma, die ja zunächst nach den Gründern „Morris, Marschall, Faulkner & Co.“ hieß, hat ein von den Theorien John Ruskins beeinflußtes, revolutionäres Konzept erfüllt, alle Aspekte menschlicher Arbeit sollten in einem Gesamtkonzept zusammenkommen. Die Grundidee war, jeder Handwerker sollte sich im Laufe seiner Arbeit zum Künstler entwickeln. Eine industrielle Arbeitsteilung, der eine Entfremdung vom hergestellten Produkt einhergeht, haben wir abgelehnt. Mein Vorsatz für die Firma war: Einfachheit, Gediegenheit, Nützlichkeit und Schönheit aller Produkte.

morris-study-2OR: Wenn ich die Situation im viktorianischen England des 19. Jh. richtig einschätze, haben Sie als gebildetes Mitglied der oberen Mittelschicht, schon allein mit der Gründung der Firma einen revolutionären Akt vollzogen, da es für einen Gentleman damals undenkbar war, sich mit der arbeitenden, handwerktreibenden Bevölkerung zu fraternisieren. Darüber hinaus war ja wohl das Fundament Ihrer Bemühungen die Idee, daß Alle Menschen, egal welcher sozialen Schicht sie angehören, ein gutes, ein glückliches Leben haben sollten, aus diesem Grund haben Sie ja dann in späteren Jahren auch industrielle Fertigungsweisen nicht rundweg abgelehnt.  Soweit industrielle Fertigung die Menschen von erniedrigendem und versklavenden Broterwerb befreien konnte, haben sie diese durchaus befürwortet, jedoch waren Sie, wenn ich es richtig sehe, ein strickter Gegner eines sinnentleerten, entfremdeten Arbeitstags, der nur dem Profitinteresse des Kapitaleigners diente. Das Leben eines Menschen als Arbeits-Maschine, als Rädchen in einem undurchschaubaren Fertigungsverfahrens wollten Sie vor allem durch Ihre sozialistischen Aktivitäten abschaffen.

WM: Ja das stimmt, die industriellen Arbeitsbedingungen in der Mitte des 19. Jh. in England waren mir ein Graus. Die Zersplitterung des industriellen Arbeitsprozesses störte mich am meisten, ich war der Überzeugung, daß die Arbeitsteilung das Wohlergehen der Arbeiter massiv verhinderte und der Kunst insgesamt schadete.
Als ich mit meiner Familie 1865 wieder nach London in das Haus am Queen Square 26 zurück gezogen bin und unsere Red House schwerenherzend wieder verkauft habe, konnte ich der Firma in diesem sehr großen Haus in London gute Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, die auch das Arbeiten viel angenehmer machten und einen ganzheitlichen Arbeitsprozeß ermöglichten.
Darüber hinaus war es mir gelungen George Warington Taylor als Geschäftführer der Firma zu gewinnen, dem es tatsächlich gelang, die Firma auf wirtschaftlich gesunde Füsse zu stellen. Leider ist der Arme bereit 1870 an Schwindsucht gestorben, die Firma hatte ihm kaufmännisch viel zu verdanken.

Kelmscott Manor

Kelmscott Manor CotswoldsOR: Nun Mr. Morris, wir müssen etwas abkürzen, um unsere Leser durch die Länge des Gesprächs nicht zu sehr zu beanspruchen. Zu Beginn des Jahres 1871 suchten Sie für sich, Ihre Familie und Mr. Rossetti ein Haus auf dem Land, die Umstände, wie es dazu kam, führen jetzt zu weit und müssen einem späteren Gespräch vorbehalten bleiben. Als Sie Kelmscott Manor (in der Nähe von Lechlade in Gloucestershire am Rand der Cotswolds) gefunden und zusammen mit Rossetti angemietet hatten, gingen Sie zunächst auf eine längere Studienfahrt nach Island, wo Sie Ihre Kenntnisse über isländische Legenden erweiterten, die diese später zur Grundlage Ihrer Romane und Dichtungen machten. Bis 1874 wohnte Dante Gabriel Rossetti mit Ihrer Frau und den Kindern die meiste Zeit in Kelmscott, als er jedoch 1874 aufgrund zunehmender Verschlechterung seiner Gesundheit nach London zurückkehrte, wurde der „bescheidene“ elisabethanische Herrensitz zum realen und geistigen Zentrum ihres Lebens, daran hat sich bis zu Ihrem Lebensende auch nichts mehr geändert. Sie habe ja sogar später ein Haus, was sie mit Ihrer Familie in London bewohnt haben, in Anlehnung an Ihren Landsitz in „Kelmscott House“ umbenannt. Auch die Druckerei, die Sie 1891 in London gründeten, haben Sie „Kelmscott Press“ genannt.KelmscottManorWM: Ja das stimmt. Kelmscott Manor war für mich „der Himmel auf Erden“, es war der Inbegriff des mythischen Sehnsuchtsorts inmitten einer unberührten, lebendigen englischen Landschaft. Auch der Weiler Kelmscott war wunderbar und ein Ausdruck intakter und autarker ländlicher Gemeinschaft. Dieses Leben in Kelmscott hat mich so beeindruckt, daß ich den Landsitz zum Schauplatz meines utopischen Romans „News from Nowhere“ gemacht habe, wir sprachen bereits darüber.
In der Zeit nach 1874 entwickelte ich meine Forderungen, die für alle Menschen und ihre Arbeitsbedingungen gelten sollten, weiter, natürlich besonder für die Lohnsklaven des Profits:
1. Gesundheit für einen unversehrten Körper, 2. Bildung für einen aktiven, freiheitlichen Geist mit Interesse an Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, 3. genügend Freizeit für einen angemessene körperliche und geistige Beschäftigung und 4. eine schöne Umwelt, um darin glücklich zu leben.

OR: 1877 begann Sie mit Ihrer intensiven Vortragstätigkeit, die Sie bis zu Ihrem Tod beibehielten. Immer wieder haben Sie betont, daß die angewandten Künste in Form von alltäglichen Gegenständen wesentlich wichtiger seien, als die schönen Künste, weil Sie die Menschen in Ihrem täglichen Leben viel mehr bestimmen würden. Das Dekorum der Gegenstände sollte nach Ihrer Überzeugung nur soweit erlaubt sein, als es entweder der Nützlichkeit oder der Bedeutung des Objekts entspräche, ein Dekorum, das mindere Herstellungsqualitäten verbergen sollte, lehnten Sie strikt ab.
Über dies sollten alle Gegenstände möglicht in einer direkten Verbindung zur Natur stehen, um pädagogisch darauf einzuwirken, daß der Mensch seine Beziehung zur Natur nicht verliert, sondern im Gegenteil eine Harmonie mit ihr anstrebt. Ein Aspekt,  der in unserer heutigen Zeit mit seinen vielfältigen virtuellen Realitäten von besonderes Bedeutung ist. Unermüdlich versuchten Sie Designern deren gesellschaftliche Verantwortung bewußt zu machen und sie aufzufordern Produkte zu entwerfen, wie herzustellen, die der Natur und der Geschichte ebenso gerecht würden, wie den aktuellen Anforderungen der Zeit.
Folgerichtig haben Sie sich dann auch verstärkt für den Erhalt alter Bauwerke und deren autentisch angemessene Restaurierung eingesetzt, Architektur war Ihnen die höchste aller Künste und Bauwerke sollten zum Leben und Erleben für nachfolgende Generationen erhalten bleiben.

Merton Abbey

L_L_Pocock_Pond_at_Merton_AbbeymertonabbeyAn dieser Stelle sollten wir auch noch erwähnen, daß Sie mit dem Umzug des Werkstattbereichs 1881 in eine alte hugenottische Seidenweberei namens „Merton Abbey“ einen riesigen Schritt in Richtung Ihrer Vorstellungen von einem ganzheitlichen, nicht entfremdeten Produktionsprozesses gegangen sind. Hier konnten Sie den Betrieb nach ihren ethischen Vorstellungen führen,  soweit dies finanziell  irgend möglich war. Die Angestellten wurden deutlich besser bezahlt, die Arbeitszeit war erheblich kürzer, die Arbeitbedingungen und die Ausbildung waren wesentlich besser als üblich. Die Manager von Merton Abbey wurden sogar am Gewinn beteiligt, was absolut ungewöhnlich war. Hier kamen sie Ihrer Idee einer ländlichen Arbeitskommune wirklich am nächsten.

Wer heute „Merton Abbey“ besuchen will, kann neben einem kleinen Museum auch den Pub in den ehemaligen Räumlichkeiten direkt am Fluß besuchen und auf das Wohl von William Morris ein kühles Pint of Bitter trinken und dazu leckeres Pub-Food genießen.
Nun Mr. Morris unsere Zeit ist für heute um, wir müssen leider zum Ende kommen, obwohl man die Unterhaltung mit Ihnen endlos fortsetzen könnte, welches Resümee würden Sie heute aus Ihrer Lebenstätigkeit ziehen.

williammorris_merton_abbeyWM: Nun, wenn ich das aus heutiger Sicht richtig beurteile, habe ich sicher manche Bewegung mit meinen Ideen beeinflußt, das „Arts  & Crafts Movement“, die „Darmstädter Künstlerkolonie“, die „Wiener Werkstätten“, den „Deutschen Werkbund“ und vielleicht auch das „Weimarer Bauhaus“, um nur ein paar Beispiele zu benennen, leider haben aber all diese Bewegungen immer nur einen Teil meiner ganzheitlichen Vorstellungen für sich nutzbar gemacht.
Mir ging es aber bei meinen Bestrebungen auch um viel grundsätzliche Dinge als um Design, z.B. um eine Aussöhnung zwischen ländlicher Lebensart, sozusagen meinem Kelmscott Arkadien, und einer städtisch, industriellen Lebensform, von diesen Ideen ist praktisch nichts übrig geblieben.
Auch war Design für mich ein demokratisches Mittel grundlegender sozialer Veränderungen. Designer und Hersteller haben für mich eine gesellschaftlich, moralische Verantwortung, Einfachheit, Nützlichkeit und Angemessenheit sind auch ein Ausdruck des Umgangs der Menschen mit diesem Planeten und seiner Ressourcen. Das eine Gesellschaft mehr Ressourcen verbraucht, als dieser Planet jederzeit wieder reproduzieren kann, ist mir unvorstellbar, eine ganzheitliche Betrachtungsweise in ökologischer, sozialer und ästhetischer Hinsicht beim Entwurf und der Herstellung von Gütern jeder Art, scheint mir für Ihre Zeit dringend geboten und muß die allgegenwärtigen ökonomischen Aspekte nicht einfach ergänzen – sondern deren Prämisse sein.

OR: Mr. Morris, wir danken Ihnen für das Gespräch und hoffen bei nächster Gelegenheit, Sie hier wieder begrüßen zu dürfen, um dann eher über Ihr riesiges künstlerisches Werk, ihre umfangreichen literarischen und handwerklichen Produktionen zu sprechen. Gestatten sie uns, daß wir zum Abschluß dieses Gesprächs eine Doppelseite ihrer utopischen Erzählung „News from Nowhere“, gedruckt in Ihrer geliebten Kelmscott Press 1891, abbilden, dort sieht man neben der ersten Seite der Erzählung auf dem Frontispiz des Buchs Ihr geliebtes Kelmscott Manor.

News-from-Nowhere