Hermann Hesse – Gestutzte Eiche

alte-Eiche

 

Wie haben sie dich, Baum, verschnitten
Wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
Bis nichts in dir als Trotz und Wille war!

Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
Gequälten Leben brach ich nicht
Und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.

Was in mir weich und zart gewesen,
Hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
Doch unzerstörbar ist mein Wesen,
Ich bin zufrieden, bin versöhnt,

Geduldig neue Blätter treib ich
Aus Ästen hundertmal zerspellt,
Und allem Weh zu Trotze bleib ich
Verliebt in die verrückte Welt.

Hermann Hesse, Gestutzte Eiche, Juli 1919

in: Herrmann Hesse, Die Gedichte,
Suhrkamp  1992, S.472

Die Schule von Athen

 

DieSchulevonAthen

In Anlehnung an das berühmte Zitat von Alfred North Whitehead könnte man das Fresco als eine Bebilderung seiner Sentenz auffassen, nach der die abendländische Philosophiegeschichte nichts als eine Reihe von Fußnoten zu Platon (die Frage ist, ob das Werk von Aristoteles bereits eine Fußnote ist oder ob man das Zitat von Whitehead mit dem Namen Aristoteles sinnvollerweise ergänzen sollte???) ist! Die Frage ist, muß man sich auf die Seite einer der beiden schlagen oder kann man gleichermaßen mit beiden denken? Die Frage muß offen bleiben.

Das Fresko von Raffael, das er um 1510 in der Stanza della Segnatura des Papstes Julius II. gemalt hat, verherrlicht im Sinne der Renaissance das antike Denken als Ursprung der europäischen Kultur, ihrer Philosophie und Wissenschaften. Im Zentrum stehen die Philosophen Platon und Aristoteles, wobei interessant ist, daß die Darstellung von Aristoteles eher der konventionellen Ikonographie zur Zeit Raffaels entspricht, Platon hingegen deutlich die Züge und das Aussehen Leonardo da Vincis aufweist. Man könnte sich fragen, weshalb Raffael nicht Aristoteles das Aussehen Leonardos gab, da dies doch wohl inhaltlich adäquater gewesen wäre?

1.    Zenon von Kition (Begründer der Stoischen Schule)
2.    Epikur (Begründer der Epikureischen Schule)
3.    Federico II. Gonzaga (Herzog von Mantua)
4.    Zuordnung nicht eindeutig: Boëthius, Anaximander oder Empedokles
5.    Averroës (arabischer Philosoph und Theologe)
6.    Pythagoras (Mathematiker), der Jüngling daneben ist Parmenides[Anmerkung 1]
7.    Alkibiades (Politiker und Feldherr aus Athen)
8.    Zuordnung nicht eindeutig: Xenophon (Historiker und Biograph von Sokrates) oder Antisthenes
9.    Zuordnung nicht eindeutig: Hypatia oder Francesco Maria I. della Rovere
10.    Zuordnung nicht eindeutig: Aeschines oder Xenophon
11.    Zuordnung nicht eindeutig: Parmenides (Philosoph, Begründer der Eleatischen Schule) oder Euklid (Mathematiker)
12.    Sokrates (Philosoph und Lehrer von Platon)
13.    Heraklit (Philosoph, verkörpert durch Michelangelo)
14.    Platon mit der Schrift Timaios (Philosoph, verkörpert durch Leonardo da Vinci)
15.    Aristoteles mit der Schrift Nikomachische Ethik (Philosoph und Schüler von Platon)
16.    Diogenes (Philosoph und Kyniker)
17.    Plotin (Philosoph)
18.    Zuordnung nicht eindeutig: Euklid oder Archimedes (Mathematiker, verkörpert durch Bramante)
19.    Zarathustra (persischer Religionsgründer)
20.    Ptolemäus (Astronom und Geograph)
21.    Raffael, vor ihm Sodoma (Künstler)

DieSchulevonAthenNummern

Übrigens! Im Victoria & Albert Museum in London hängt eine Kopie des berühmten Wandfreskos.

Albrecht Dürer

Albrecht Dürer 1500

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Geboren und gestorben in Nürnberg – wir Heutigen, in unserer Fixiertheit auf Äusserlichkeiten, haben immer das Gefühl, wenn ein Spannungsbogen so ‘ärmlich’ daherkommt, wie bei Dürer, dann kann an dieser Figur nichts besonderes sein – weit gefehlt.

Als Dürer zum Beispiel 1505 zu seiner 2. Venedigreise aufbrach, war er in Nürnberg bereits ein weithin bekannter und erstklassig bezahlter Künstler, verheiratet, mit eigener Werkstatt und selbstständig arbeitenden Gesellen.

War es denn wirklich nur der Auftrag der deutschen Kaufmannsschaft unter der Führung der Augsburger Fugger, die bei Dürer ein Bild für ihre Bartholomäus Kirche in Venedig bestellt hatten, der Dürer dazu brachte ein zweites Mal nach Venedig zu reisen?

Sicher war es auch die Art des Lebens, die ihn an Italien reizte und die uns 500 Jahre später immer noch begeistert, die ihn aus Nürnberg nach Italien zog – und was wir immer vergessen, wenn wir uns in den erhabenen Gefilden der Kunst bewegen, Vino rosso, Spaghetti bolognese und Amore …

Interessant gerade in diesem Zusammenhang ist, daß ihn augenscheinlich nicht nur die italienische Sonne und der Umgang der italienischen Künstler mit Licht und Farben reizten, sondern auch ihr Verhältnis zu Schönheit und Mathematik, die er bei seinem Besuch in Bologna 1506, kurz vor seiner Rückreise nach Nürnberg, bei Francesco Francia einem Schüler von Luca Pacioli zu vertiefen suchte.

Was wohl schon Dürer umtrieb, war die Vorstellung, daß Schönheit jenseits von Geschmack und Moden eine Kategorie ist, die etwas ganz Grundsätzliches, etwas Archetypisches über die Menschheitsentwicklung aussagt und eher in mathematischen Strukturen und Formeln, als durch das Auge des Betrachters adäquat beschrieben werden kann.

Natürlich zeugen Dürers Bilder und Grafiken von seiner enormen intuitiven Wahrnehmungsfähigkeit, was aber zu seiner detailreichen, komplexen Achtsamkeit hinzukommt, ist die Anstrengung des Begriffs, der Wille von einer zweiten Ebene aus, seine Fähigkeiten tiefer zu ergründen, seine Wahrnehmungsfähigkeiten bewußt wahrzunehmen und zu klassifizieren. Seine mathematischen, geometrischen Untersuchungen zu Maß und Proportion geben sich eben nicht nur mit seinem Können zufrieden sondern wollen mehr, deshalb gehört Dürer eindeutig in die Reihe der ganz großen “Weltformel-Sucher”, er verdient es in einer Reihe mit Persönlichkeiten wie Pythagoras oder Leonardo da Vinci zu stehen.