Schlagwort-Archive: An allem ist zu zweifeln

Wissenschaft in 7 Schritten und 49 Thesen

Eule der Minerva„De omnibus dubitandum“

Es kommt darauf an, das Zweifeln zu lernen.
Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen
verliebt – statt ins Scheitern.

Schön wäre es, wenn das Lieblings-Motto von Karl Marx:
„An allem ist zu zweifeln!“ auch zur Grundlage des
wissenschaftlichen Arbeitens würde.

Natürlich versuchen wir seit Jahrtausenden die Natur und den Kosmos, in dem wir leben, immer besser zu verstehen, um uns vor den Gefahren und Widrigkeiten, die uns von “Außen” drohen, besser zu schützen. Aber wir haben inzwischen auch gelernt, daß wir von “Innen” bedroht sind, durch uns selbst nämlich. Wissenschaft, also die systematische Erkundung der Welt aber auch des Wissens selbst, soll uns nicht nur gegen Bedrohungen helfen, sondern auch unseren BruttoGlücksFaktor steigern helfen (Jigme Singye Wangchuck). Um Erfolge und Risiken unserer modernen Wissenschaft vernünftig einzuschätzen, sollten wir uns zunächst von ideologischen Betrachtungsweisen der Wissenschaft soweit als möglich befreien?

Das einzige Werkzeug, das es für ein wahrhaft wissenschaftliches Denken geben kann, ist der Zweifel! Weder Glauben noch Nicht-Glauben sind dazu angetan den Weg der Wissenschaft zur wahren Wirklichkeit zurückzulegen und jeder ist gut darin beraten, diesen Satz sofort zu bezweifeln, um zu sehen, ob er ihn für sein eigenes wissenschaftliches Denken akzeptieren kann.

Der Mythos von “Atlantis” kann uns als doppeltes KulturDenkBild besonders gut helfen, das Zweifeln zu lernen, denn der Untergang von Atlantis – zunächst mal völlig egal, ob es existiert hat oder nicht, wurde sowohl durch seine Binnenprobleme wie durch seine unerkannten, kosmischen Außenprobleme verursacht und durch die mächtigen Idelogien des Glaubens und Nicht-Glaubens. Die atlantischen Wissenschaftler (Hohenpriester) die das Wissen dieser Hochkultur über den ganzen Globus verteilt haben, haben diesen beiden Gefahrenbereichen Rechnung getragen, in dem sie sowohl das kosmologische Wissen in entsprechenden architektonischen Denkbildern bewahrten und der Menschheit wissenschaftliche Untersuchungsstätten – wie das Observatorium von Gizeh – hinterließen und damit die Grundlagen der modernen (Astro)Physik lieferten, als auch durch ethisch-moralische Anweisungen, die zunächst in mündlicher Form später in schriftlicher an nachfolgende Generationen weitergegeben wurden.

Die Theorien, die wir uns über die Welt und uns in der Welt machen, sind erstmal nichts weiter als Vermutungen, die wir durch mehr oder weniger gut fundierte Beobachtungen und Erfahrungen erschaffen, wenn wir im weiteren Verlauf nicht nach Verifikationen unserer Theorien suchen, in dem wir letztendlich doch nur mit unserer selbsterschaffenen ‘Vor’urteilsbrille die Welt betrachten und immer nur überall Bestätigungen unserer Theorien finden, sondern nach Falsifikationen, also nach Möglichkeiten, Beobachtungen oder Denkwegen suchen, um unsere Theorien zu widerlegen, dann sind wir auf dem richtigen Weg, wenn wir auch als Menschen in unserem grundsätzlichen Streben nach Anerkennung und Bestätigung uns radikal ändern müssen. Der kritische Rationalismus ist für uns sicherheitsbedürftige Menschen eine riesige Herausforderung, die kein Stein auf dem anderen läßt!

Auf dieser Grundlage habe ich mir für mein eigenes Denken ein siebenstufiges Modul-Schema zur Wissenschaft zusammengestellt, das jederzeit revidierbar und erweiterbar ist und das mir und vielleicht auch uns helfen soll, das Zweifeln zu lernen:

1.    Wir sind Teil einer untrennbaren Wirklichkeit.

1.1.    Wir sind kein Subjekt das dem Objekt ‘Wirklichkeit’ gegenüber steht.
1.2.    Wir und die gesamte Wirklichkeit sind in ständiger Evolution begriffen.
1.3.    Wir fühlen wie überlebensnotwendig ein Verständnis dieser Wirklichkeit ist.
1.4.    Wir fühlen unsere grundsätzliche Begrenztheit bei der Veränderung der Wirklichkeit.
1.5.    Wir verändern unseren Einflußbereich in der Geschichte nur unwesentlich.
1.6.    Wir fühlen, daß unsere Wahrnehmungen nur Annäherungen an die Wirklichkeit sind.
1.7.    Wir fühlen, daß unsere Wahrnehmungen kulturgeschichtlich bedingt sind.

Eule der Minerva
Die Eule der Minerva beginnt Ihren Flug erst in der Dämmerung,
aber geht es der Nacht oder einem neuen Morgen entgegen, wir leben
im Zwielicht, auf der Grenzen, uns bleibt nichts als der Zweifel an
allem, er ist der Königsweg zur untrennbaren Wirklichkeit!

 

2.    Wir versuchen beobachtete Erfahrungen dieser Wirklichkeit zu systematisieren.

2.1.    Wir konzentrieren uns auf sich wiederholende Erfahrungen.
2.2.    Wir versuchen unsere Wahrnehmungen zu verfeinern.
2.3.    Wir versuchen Hilfsmittel zu entwickeln für unsere Wahrnehmungen.
2.4.    Wir versuchen allgemein wiederholbare Wahrnehmungsmethoden zu entwickeln.
2.5.    Wir Systematisieren ‘entweder/oder’ und ‘sowohl/als auch’ Erfahrungen.
2.6.    Wir Problematisieren grundsätzlich jede Erfahrung.
2.7.    Wir wählen intuitive Ehrlichkeit zum Maßstab unserer systematisierten Erfahrungen.

Eule der Minerva
Die Eule der Minerva beginnt Ihren Flug erst in der Dämmerung,
aber geht es der Nacht oder einem neuen Morgen entgegen, wir leben
im Zwielicht, auf der Grenzen, uns bleibt nichts als der Zweifel an
allem, er ist der Königsweg zur untrennbaren Wirklichkeit!

 

3.    Wir entwickeln Theorien aufgrund dieser Erfahrungen unter bestimmten Prämissen.

3.1.    Wir abstrahieren von unseren konkreten Erfahrungen und erzeugen Abbilder.
3.2.    Wir akzeptieren grundsätzlich, daß unsere Theorien nicht automatisch besser werden.
3.3.    Wir versuchen Ursachen und Wirkungen in ‘wenn => dann’ Modellen zu erfassen.
3.4.    Wir entwickeln Theorien, die in sich schlüssig, kohärent und widerspruchsfrei sind.
3.5.    Wir entwickeln Theorien, die immer zeitlich bedingt und jederzeit veränderbar sind.
3.6.    Wir erkennen, daß Widerspruchsfreiheit nicht Homogenität der Aussagen bedeutet.
3.7.    Wir können keine letztgültig verifizierbaren Theorien entwickeln.

Eule der Minerva
Die Eule der Minerva beginnt Ihren Flug erst in der Dämmerung,
aber geht es der Nacht oder einem neuen Morgen entgegen, wir leben
im Zwielicht, auf der Grenzen, uns bleibt nichts als der Zweifel an
allem, er ist der Königsweg zur untrennbaren Wirklichkeit!

 

4.    Wir entwickeln Voraussagen aufgrund dieser Theorien unter bestimmten Prämissen.

4.1.    Wir entwickeln quantifizierbare Voraussagen über Sachverhalter dieser Wirklichkeit.
4.2.    Wir versuchen auch qualitative Voraussagen zu entwickeln.
4.3.    Wir entwickeln Voraussagen logisch und möglichst in mathematischen Termen
4.4.    Wir sagen Konsequenzen, die sich bei verschiedenen Ergebnissen ergeben, voraus.
4.5.    Wir bestimmen klare Grenzen, Geltungsbereiche unserer Voraussagen.
4.6.    Wir versuchen ethisch-moralische Konsequenzen unserer Theorien vorauszusagen.
4.7.    Wir machen keine Voraussagen über die ökonomische Verwertbarkeit unserer Theorien.

Eule der Minerva
Die Eule der Minerva beginnt Ihren Flug erst in der Dämmerung,
aber geht es der Nacht oder einem neuen Morgen entgegen, wir leben
im Zwielicht, auf der Grenzen, uns bleibt nichts als der Zweifel an
allem, er ist der Königsweg zur untrennbaren Wirklichkeit!

 

5.    Wir entwickeln Experimente, die diese Voraussagen widerlegen sollen.

5.1.    Wir achten daraus, das jeder unsere Experimente wiederholen kann.
5.2.    Wir dokumentieren die Experiment mit allen notwendigen Details.
5.3.    Wir benutzen eine mathematisch logische und allgemein verständlich Dokumentationsmethode.
5.4.    Wir entwickeln keine Experimente die ethisch-moralisch verwerflich sind.
5.5.    Wir verfeinern und dokumentieren durch Experimente unsere Beobachtungen.
5.6.    Wir entwickeln Experiment- und Prüfkaskaden und keine singulären Experimente.
5.7.    Wir entwickeln Experimente, die Antworten auf viele Aspekte unserer Theorien ergeben.

Eule der Minerva
Die Eule der Minerva beginnt Ihren Flug erst in der Dämmerung,
aber geht es der Nacht oder einem neuen Morgen entgegen, wir leben
im Zwielicht, auf der Grenzen, uns bleibt nichts als der Zweifel an
allem, er ist der Königsweg zur untrennbaren Wirklichkeit!

 

6.    Wir entwickeln bei Theoriefalsifikationen konzentrische Relevanzkreise.

6.1.    Wir ordnen um unser Paradigmenzentrum unsere Relevanzkreise konzentrisch an.
6.2.    Wir wählen die Abstände der Relevanzkreise vom Zentrum entsprechen ihrer Relevanz zum Zentrum.
6.3.    Wir ordnen Falsifikationen entsprechenden Relevanzkreisen zu und gewichten sie damit.
6.4.    Wir ordnen auf unseren Relevanzkreisen Module und Einzelvermutungen an.
6.5.    Wir setzen unsere Module aus Axiomen, Hypothesen, Grundannahmen zusammen.
6.6.    Wir erkennen die Wirklichkeitsrelevanz der Module in ihrer Aussagekraft über die Wirklichkeit.
6.7.    Wir bemühen uns bei jeder Falsifikationsmöglichkeiten um ideologiefreie Bewertungen.

Eule der Minerva
Die Eule der Minerva beginnt Ihren Flug erst in der Dämmerung,
aber geht es der Nacht oder einem neuen Morgen entgegen, wir leben
im Zwielicht, auf der Grenzen, uns bleibt nichts als der Zweifel an
allem, er ist der Königsweg zur untrennbaren Wirklichkeit!

 

7.    Wir entwickeln neue Theorien wenn Paradigmen nicht mehr haltbar sind.

7.1.    Wir geben bei einer Falsifikation des Paradigmenzentrums die Theorie insgesamt auf.
7.2.    Wir zerstören bei einer Falsifikation des Paradigmenzentrums nicht zwangsläufig alle Relevanzkreise.
7.3.    Wir erstellen mit neuen Paradigmen sowie neuen und alten Modulen eine neue Theorie.
7.4.    Wir durchlaufen mit dieser Theorie wieder alle sieben Phasen unseres Wissenschaftsschemas.
7.5.    Wir versuchen unsere Erfahrungen mit der alten Theorie in der neuen umfassend zu berücksichtigen.
7.6.    Wir versuchen bei neuen Theorien umfassend Schnittstellen zu anderen Theorien zu definieren.
7.7.    Wir verknüpfen Paradigmen nicht mit sachfremden Themen und anderen zeitlich begrenzten Theorien.

Eule der Minerva
Die Eule der Minerva beginnt Ihren Flug erst in der Dämmerung,
aber geht es der Nacht oder einem neuen Morgen entgegen, wir leben
im Zwielicht, auf der Grenzen, uns bleibt nichts als der Zweifel an
allem, er ist der Königsweg zur untrennbaren Wirklichkeit!

Nachbemerkung: Ein chinesisches Rollbild begleitete Bertolt Brecht viele Jahrzehnte, zuletzt hing es in seinem Schlafzimmer in der Wohnung am Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Hier in der Nähe all der großen Geister, wie Hegel und Fichte, auf die er nun hinuntersehen konnte von seinem Arbeitsplatz aus, fand er sich in guter Gesellschaft, wenn es darum ging, den aufrechten Gang täglich zu üben und das Rollbild des Zweiflers immer wieder auszurollen.

Der Zweifler von Bertolt Brecht

Immer wenn uns
Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiele und
Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
So sehr zweifelte.

Ich, sagte er uns
Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos
Seid ihr wirklich im Fluß des Geschehens? Einverstanden mit
Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
Läßt es auch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
Ist es auch angeknüpft an vorhandenes? Sind die Sätze, die
Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man?

Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
Begannen von vorne.