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Je suis Charlie und der wahre Islam

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Um den Propheten „Mohammed“ zu ‚verteidigen‘, wurde am 7. Januar 2015 auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris ein Anschlag verübt, bei dem 12 Menschen getötet und viele weitere verletzt wurden.

Millionen von Menschen haben inzwischen Ihr Migefühl mit den Opfern und ihren Familie sowie ihre Solidarität und ihr Einstehen für die Errungenschaften einer modernen, aufgeklärten Zivilisation, mit Menschenwürde, Demokratie und Toleranz, durch das Hochhalten des obigen Banners (dtsch. „Ich bin Charlie“) in Schweigemärschen und Demonstrationen etc. zum Ausdruck gebracht.

In diesen Tagen bekommen die Worte Karl Poppers wieder ungeheure Bedeutung: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Nun ist die politisch korrekte, europäische Lesart die, daß es sich um einen grundsätzlich verabscheuungswürdigen Terrorakt von verblendeten Terroristen handelt, der mit dem wahren Islam nichts zu tun hat.

Diese Herangehensweise hilft im Sinne Poppers nicht wirklich weiter, so wie man sich über Jahrhunderte – vor allem in den letzten 300 Jahren der Aufklärung – mit den anderen abrahamitischen Religionen, wie z.B. dem Christentum historisch kritisch und vor allem aufklärerisch auseinander gesetzt hat, z.B. mit dem Ergebnis der Menschenrechtscharta, wie sie von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 im Palais de Chaillot in Paris erklärt wurde, so ist man – egal in welchem Land auf diesem Planeten man lebt – dazu verpflichtet, die Lehren des Islam unter dem Blickwinkel der Menschenwürde und der Toleranz zu betrachten.

Meinungs- und Pressefreiheit sind ein hohes Gut, das mit viel Blutzoll und Vernichtung in den letzten Jahrhunderten der Aufklärung erstritten wurde. Wenn es etwas gibt, was bindend für die gesamte ‚Zivilisation‘ auf diesem Planeten sein sollte, dann ist es die grundsätzliche Bereitschaft zum Diskurs!

Viele Menschen – auch Muslime – fragen sich in zunehmendem Maße,  kann es dieses Konstrukt eines wahren Islam wirklich geben. Man kann es nur immer und immer wieder betonen, wenn man im Sinne der Aufklärung philosophisch logisch an diese Fragestellung herangeht, dann kann es immer nur historisch kontextual bedingte Wahrheitskonstrukte geben.
Für einen zeitlich übergeordneten Gott, der sich im Koran und durch den Propheten geoffenbart hat, der nicht hinterfragbar sein darf, ist keine wissenschaftlich fundierbare Evidenz herzustellen.

Wenn wir also von DEM ISLAM sprechen, dann müssen wir wissenschaftlich korrekt eigentlich sagen, der Islam ist die Gesamtheit aller gegenwärtig möglichen Varianten mit und durch den Islam zu leben. Wenn also jemand aufgrund der Vorbildfunktion des Propheten und seiner klaren Anweisungen die Berechtigung sieht, jemand der nicht an den Propheten zu glauben vermag, zu ermorden, dann gibt es keine übergeordnete Instanz im Islam, die sagen könnte, diese Verhaltensweise gehört nicht zum Islam, er kann lediglich mit anderen Textbeispielen eine andere Interpretation des Islam geben.

Jenseits der wissenschaftlichen Fragestellungen nach der Grundlegung und den Stiftern einer Religion, ist eine Religion zwangsläufig immer historisch vermittelt durch die Menschen, die diese Religion in der Gegenwart leben und zwar so leben, daß auch Außenstehende in eine Wechselwirkung mit diesem Ausleben geraten können. Damit ist aber die stumme Masse, die sich in der Gesellschaft, in der sie lebt, nicht artikuliert, auch nicht wirklich vorhanden, die aber, die sich im Namen ihrer Religion – und sei es durch Terrorakte – artikulieren, die werden in der Wahrnehmung mit dieser Religion gleichgesetzt. Wenn also Menschen, die zur stummen Masse von Mitgliedern einer Religion gehören, nicht wollen, daß Ihre Religion so wahrgenommen wird, wie es durch radikale Minderheiten passiert, dann muß die stumme Masse endweder durch eigenes Verhalten die öffentliche Wahrnehmung ihrer Religion verändern oder aber sich entscheiden, ihrer Religion den Rücken zu kehren.

Mit wahrem und falschem Islam kommt man wie bei allen religiösen Texten eigentlich nie weiter. Denn da der Umgang mit dem Koran und dem Propheten wie bei allen anderen religiösen Texten zwingend historisch-kritisch zu erfolgen hat, gerät man bei dem Versuch einer überzeitlichen, eineindeutig verbindlichen Interpretation immer in eine Sackgasse. Eine verbindliche Orthodoxie der buchstabengetreuen Interpretation, wie sie z.B. Muslime der sunnitischen Richtung versuchen, ist meiner Meinung nach eine logische Unmöglichkeit.

Weil es diese überzeitliche, geoffenbarte Wahrheit einfach nicht gibt, hat man nicht umsonst in den letzten Jahrhunderten zum Wohle der Menschen die strickte Trennung von Staat und Religionen, sowie die Religionsfreiheit des einzelnen Menschen im Private – zum großen Teil auch gegen den erbitterten Widerstand der Religionen – erstritten, keineswegs darf nun die Religionsfreiheit, die in unserer Verfassung verankert ist, dahingehend mißbraucht werden, daß sie als Schutzschild für Menschen eingesetzt wird, die demokratische Grundregeln und Toleranz- Grundsätze mißachten (siehe das Popper-Zitat oben).

Wer sich weiter zu diesem Thema informieren möchte, dem kann ich nur wärmstens die folgende Sendung im schweizer Fernsehen empfehlen. In der Sendereihe „Sternstunde Religion“ diskutiert der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad mit dem Islamwissenschaftler Prof. Mouhanad Khorchide von der Universität Münster, ob der Islam von seinen Grundlagen und zentralen Texten her eine barmherzige Religion oder eine faschistische Ideologie ist.

Wer sich eine Stunde Zeit nimmt und sich das seriös geführte und großenteils ruhig verlaufende Gespräch zwischen diesen beiden Islamkennern anhört, kann sich selbst auf einer vernünftigen Basis eine Meinung und Haltung zu den gegenwärtigen Problemen und Fragestellungen bilden.

Wie  schon Voltaire sagte: „Man kann die Menschen zur Vernunft bringen, indem man sie dazu verleitet, daß sie selbst denken.“

Das Paradoxon der Toleranz

Wir weichgespülten Multikultis, die seit Jahrzehnten in offener, freundlicher, weltbürgerlicher Absicht von einem Land zum anderen reisen und die ganz Welt zu verstehen suchen, tun uns schwer mit dem, was Karl Popper 1945 als das Paradoxon der Toleranz bezeichnet hat:
»Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.«

Laßt uns auch daran denken, in welcher geschichtlichen Situation Popper diesen Satz formulierte, der Faschismus war zwar äußerlich zuende gegangen, der Faschismus in den Seelen und Gedanken der Menschen war aber noch lange nicht zuende und hätte man den Faschismus nicht verhindern können, wenn man bei Zeiten über das Paradoxon der Toleranz nachgedacht hätte und auf der Grundlage humanistisch, aufklärerischer Tradition, die Grenze benannt hätte, an der Toleranz gegenüber Intoleranz auf jeden Fall hätte beendet werden müßen. Das Wort “hätte” sollte uns zu einer Triebfeder werden, um aus der Geschichte zu lernen.

Wir befürchten, daß wir durch das Nichttolerieren der Intoleranz selbst intolerant werden, wir quasi selbst zur Abschaffung der Toleranz beitragen.

Der Grundsatz

Keine Toleranz für Intoleranz!

ist uns eben suspekt, sollte er aber – richtig verstanden – gar nicht sein! Denn der Limes der Toleranz ist die körperliche und geistige Unversehrtheit des Anderen und damit die Grundrechte, die sich zwangsläufig daraus ergeben. Wenn wir auch immer konsequent bedenken, das Gewalt in einem wechselwirkenden Prozeß auch immer wieder auf den Gewaltausübenden zurückweist, dann können wir durch intensives Denken, den Limes  des Toleranz immer bestimmen.

Auch bedeutet die Ablehnung von Toleranz gegenüber Intoleranz keinen Freibrief für Krieg und Gewalt gegen anders Gläubige, anders Denkende, sie bedeutet zunächst mal nur, klar Stellung zu beziehen und nicht an Stellen Verständnis zu heucheln, also politisch korrekt zu formulieren, wo man eigentlich gar kein Verständnis haben will, wenn man seinen tief sitzenden, humanistischen, aufklärerischen Wertekanon ehrlich befragt!

Ich glaube, daß wir uns dieser Gefahr, selbst intolerant zu werden, wenn wir gegen Intoleranz klar Stellung beziehen, nicht aussetzen, wenn wir uns bemühen, den Begriff der Toleranz inhaltlich zu füllen, in dem wir uns unserer humanistisch, aufklärerischen Tradition immer wieder verpflichtet zeigen und den Begriff der Toleranz vor allem nicht inflationär bei jeder Kleinigkeit ins Feld führen, wo sich Menschen, gleich welchen ethnischen Hintergrunds, sich einfach nur ignorant gegenüber anderen aufführen. Alles sollte Maß und Ziel bewahren, wir sollten nicht immer gleich mit der ganz großen Keule der nicht duldbaren Intoleranz daherkommen und dies vor allem deshalb, um die Schärfe und Wichtigkeit des Begriffs der Toleranz nicht unnötig abzunutzen!

Die Frage, inwieweit Toleranz Intoleranz dulden muß, ist immer die Frage nach der Grenze des Nichttolerierbaren und diese Grenze wird bei der Verletzung von Grundrechten überschritten! Die Menschenwürde ist inzwischen- wie die Toleranz – auch zu so einem leeren, abgedroschenen Begriff geworden, trotzdem bleibt aber der Tatbestand dessen, was Menschenwürde meint, bestehen. Mit Grenzüberschreitungen haben wir es dann zu tun, wenn das Leben, die Freiheit, die körperliche Unversehrtheit, die Gleichberechtigung der Menschen verletzt oder gefährdet wird, wenn Menschen gedemütigt oder zu bestimmten Zwecken missbraucht werden, solche Grenzüberschreitungen sind nicht tolerierbar – und dies sollten wir ganz vorsichtig und umsichtig auf alle fühlenden Wesen ausweiten, denn letztlich ist es ja der Mensch, der in seinem Größenwahn ständig Grenzen der Grundrechte anderer Menschen überschreitet.

Natürlich können wir anderen Meinungen gegenüber, und kommen sie noch so intolerant daher, nicht wirklich selbst intolerant begegnen, wenn diese Meinungen aber Menschen dazu bringen, in dem sie sie massiv indogtrinieren, gegen die Grundrechte anderer Menschen zu verstoßen, dann haben wir es wieder mit einer Grenzüberschreitung zu tun, die wir nicht tolerieren können.

Wir dürfen uns nicht der Gefahr aussetzen, daß über die Unschärfe der Grenzen, die Beurteilungen der Umstände, unter denen Intoleranz stattfindet, beliebig werden und wir uns besser gar nicht verhalten, weil wir nicht genau zu sagen wissen, was eine Grenzüberschreitung darstellt. Dabei ist eine Grenzüberschreitung doch in den meisten Fällen, deutlich zu sehen, nämlich immer dann, wenn die Grenzen des anderen, des Gegenübers mißachtet werden. Wenn wir in weltbürgerlichen Absichten unterwegs sind, dann doch wohl deshalb, weil wir die Fahne eines ethisch-moralisch anständigen Verhaltens in der globalisierten Welt hochhalten wollen und es nicht dulden wollen, das Teile von Gesellschaften das Leben, die Gleichberechtigung, die Religions- und Meinungsfreiheit der anderen mit Füßen treten und ständig Grenzüberschreitungen der Tolerierbarkeit begehen.

Natürlich können wir nur als freie Bürger, die in weltbürgerlicher Absicht unterwegs sind, über Toleranz und Intoleranz urteilen, alles andere geht gar nicht, Rasse, religiöse Gebundenheit oder andere ethnische Aspekte haben weder begrifflich noch faktisch etwas in der Toleranz-Intoleranz-Diskussion verloren, das sollten wir alles spätestens seit dem HGP, dem Human-Genom-Projekt, konsequent hinter uns gelassen haben.

Wir sollten einmal darüber nachdenken, was dieser wirklich überaus weise Dalai Lama seit einiger Jahren propagiert, wenn er ein weltbürgerlich, ethisch-moralisch anständiges Verhalten JENSEITS DER RELIGIONEN einfordert! Es stimmt doch, wir können uns auch ohne jeglische religiöse Bindung anständig verhalten und unsere Toleranzfähigkeit trainieren. Der religionsfreie Wertekatalog in uns ist jederzeit von uns abrufbar.

Gegenüber fundamentalistischen Strömungen, gleich welcher religiösen Couleur sie seien mögen – da darf es eben z.B. keinen Unterschied zwischen islamistischen oder christlichen Aktivitäten geben – dürfen wir keine falsch verstandene Toleranz üben, wenn es darum geht das Grundrechte massiv verletzt werden. Wenn es aber um die Ausübung friedlicher religiöser Riten und Gebräuche geht, muß Toleranz immer geübt werden. Hier ist die Grenze in Wahrheit doch klar zu ziehen, geht es gegen die Grundrechte von fühlenden Wesen, Mensch und Tier gleichermaßen, dann keine Toleranz, geht es um Religionsfreiheit in den Grenzen religionsfreier Grundrechte, dann jede Toleranz.

Wir lernen am meisten von unseren Feinden und unsere Feinde müssen wir zu allererst mal in uns selbst suchen, da können wir schon mal üben, uns wahrhaft tolerant zu verhalten und die Grenzen bei uns selbst analysieren, die wir nicht mehr tolerieren dürfen.

Das Geheimnis der Toleranz ist letztlich die Wechselwirkung, also wechselwirk ich mit Dir, wechselwirkst Du mit mir, dieses Geheimnis müssen wir immer konsequent zuende denken, es geht also gerade nicht darum, daß ich gegenüber dir so viel mehr Durchblick habe und so viel mehr aufgeklärt bin, daß ich berechtigt bin, dir die Bratpfanne überzuhaun und daß du dann mir die Bratpfanne überhaust, quasi in Wechselwirkung, sondern daß wir uns gemeinsam in der Bratpfanne was Leckeres braten.

Und dann gilt doch bei alledem immer wieder der transzendierende Sinnspruch:

“Für Leute, die sich jetzt entzweit seh’n
empfehlen wir eins Korinther dreizehn!”

PS. Ich empfehle zum Thema auch noch folgenden Aufsatz:

Herbert Marcuse: „Repressive Toleranz“

„Ein wirklicher kluger Text – langsam lesen und genießen!
Hilft bei der Herstellung emanzipatorischen Kopfwerkzeugs“
dieser Bewertung von Jutta Ditfurth schließe ich mich an…