Die kurze Geschichte zum langen Abschied

Liebe Freunde von ÖkoRadix, langsam heißt es Abschied nehmen, Abschied nehmen als Menschenheit von diesem wunderschönen blauen und grünen Planeten, Abschied nehmen von dem Projekt „Mensch&Planet“. Trinkt nochmal eine gute Flasche Wein (wenn Ihr das Glück habt, in der richtigen Gegend auf diesem Planeten zu leben), macht  es Euch bequem, ich erzähl Euch , wie es zu allem kam, ich erzähl Euch die kurze Geschichte vom langen Abschied . . .

Jahrmarkt Mensch und PlanetWarum noch auf den Jahrmarkt gehen? Auf geht’s zur Horrorsause in das Gruselkabinett „Mensch&Planet“ life ist alles noch viel besser, ich biete Euch vergiftete Flüsse und Seen, mit gigantischen Mengen von Plastikmüll zugekippte Ozeane, die sowieso zu 89% überfischt sind, völlig verdreckte Luft, abgebrandte Regenwälder, jede Menge verendete Tier- und Pflanzenkadaver in der Extrashow „Artensterben“ und noch viele weitere Überraschungen.

Viele von Euch werden natürlich sofort sagen, was der Bursche da erzählt, das können wir alles gar nicht glauben, das ist alles völlig übertrieben, Panikmache von den Medien, die Schlagzeilen brauchen, alles aufgebauscht, es gibt doch gar keine wissenschaftlich fundierten Ergebnisse, die einen behaupten das, am nächsten Tag behaupten die anderen das Gegenteil. Das Ökosystem steckt doch alle durch den Menschen verursachten Probleme locker weg, wer weiß, auf welche dubiosen Quellen der sich stützt, der gibt die ja wissenschaftlich nicht mal sauber an…

Ehrlich gesagt, diese Reaktion erwarte ich auch, denn es gehört zu den menschlichen Überlebensstrategien in der Risikogesellschaft (Ulrich Beck), Bedrohungen zu verdrängen, in der Psyche abzuspalten und zu maskieren, trotzdem investiere ich ein Stück meiner Lebenszeit, um im ganz Groben mal kursorisch zusammenzuschreiben, was so Sache ist, einfach nur, um bei dem ein oder anderen vielleicht eine Verhaltensänderung gegenüber den Problemen hervorzurufen, nicht jedoch aufgrund einer falschen Hoffnung, wirklich etwas bewegen zu können.

Die große Kabarettistin Lore Lorentz vom Kom(m)ödchen in Düsseldorf sagte einmal, daß es keine Kunst sei, Kabarettist zu sein, solange man noch daran glaubt, die Welt ändern zu können. Erst wenn man erkannt hat, dass man sie nicht ändern kann und trotzdem Kabarett macht, fängt die Kunst an! Das ist meine Message und Motivation!

Also! Auf geht’s ins Gruselkabinett „Mensch&Planet“

schweitzerAlbert Schweitzer, der 1953 den Friedensnobelpreis für sein Lebenswerk erhielt und in Deutschland in den 60er Jahren zum Initiator der Antiatombewegung wurde, hat schon vor mehr als einem halben Jahrhundert gesagt: „Der Mensch hat die Fähigkeit, vorauszublicken und vorzusorgen, verloren. Er wird am Ende die Erde zerstören.“ Wie kommt er zu so einer Aussage, ist Albert Schweitzer Pessimist oder einfach nur Realist? Durch sein Lambarene-Projekt kennt man ihn doch eigentlich eher als Optimisten, der auf die Kraft des individuellen Engagements vertraute?

Als vor rund 200.000 Jahren in der ostafrikanischen Savanne, so um den Viktoria See, auf einem Streifen von 800 Kilometern nördlich und südlich des Äquators im heutigen Kenia und Tansania der moderne Mensch, der Homo sapiens (klar zuerst der habilis, dann der erectus und vorallem ab 100.000 der sapiens) seinen scheinbaren Siegeszug auf dem gesamten Planeten antrat, hatten schon einige andere menschliche Formen, Hominiden genannt – also Affen mit mehr oder weniger aufrechtem Gang und vergrößertem Neocortex – es mit dem Planeten versucht und waren im Zuge der Evolution wieder ausgestorben oder starben im Laufe des Siegeszugs des Homo sapiens aus, weil sie an die Lebensbedingungen nicht genug angepaßt waren.

In mehreren Wanderungsbewegungen hat sich dieser ostafrikanische Savannen-Läufer, von dem wir alle ausnahmslos abstammen, auf dem ganzen Planeten verteilt. Spätestens mit der wissenschaftlichen Etablierung der Paläogenetik ist Schluß mit Rassenvorstellungen, wir alle haben sozusagen die gleiche mitochondriale Eva als Urmutter und das ist erst runde 200.000 Jahre her. (Aus der Zeit zwischen 200.000 und 10.000 v.u.Z. berichte ich in einem späteren Beitrag)

Noch vor rund 10.000 Jahren – als sich unser Vorfahre, der ostafrikanische Savannen-Läufer über einige 10.000 Jahre so einigermaßen über den Globus verteilt hatte (vorallem ab 50.000 in mehreren Wanderungsbewegungen), lebten nur 1 Million von uns Menschen auf diesem Planeten. Über viele Millionen von Jahren hatten sich die terrestrischen und marinen Ökosysteme perfekt aufeinander eingespielt und abgestimmt. Von allem, was Natur war, gab es die Hülle und die Fülle, als Jäger und Sammler streiften wir Aufrechtgeher durch die üppig vorhandenen Wälder und lebten davon, was uns Mutter Natur auf den Tisch brachte, sonnenklar, im Einklang mit der Natur zu leben war unhinterfragtes Gesetz, weil Lebensgrundlage – doch dann hört’s auch schon ganz schnell auf, mit dem idyllischen Bild, was ich gerade ausmale…

Millionen von Arten lebten in den letzten 10.000 Jahren auf diesem Planeten aber nur eine Art hat sich dazu aufgeschwungen, alle anderen Arten zu beherrschen, zu unterdrücken, auszurotten, der Mensch! Mit seinem halbgar entwickelten Neokortex hat er auf diesem Planeten so gut wie alles verändert und wir ahnen es immer mehr, nicht zum Besseren für diesen Planeten insgesamt. Der sogenannte Fortschritt ist teuer erkauft und Milliarden von Menschen partizipieren nur in einer äußerst negativen Weise von Ihm, zum Beispiel in dem sie täglich verhungert, obwohl der Fortschritt in der Agrarwirtschaft locker 10 Milliarden Menschen ernähren könnte.

Ohne den sogenannten Fortschritt hätte sich der Mensch in den letzten 10.000 Jahren, also bis 1800, nicht vertausendfacht, denn bereits vor 200 Jahren lebten bereits 1 Milliarde Menschen auf diesem Planeten. 150 Jahre weiter, also 1950, waren wir bereits 3 Milliarden, heute sind wir 7 Milliarden und zur nächsten Jahrhundertwende 2100 werden wir mindestens 10 Milliarden sein.

Der Mensch in der EvolutionVor allem 4 Revolutionen haben zu dieser Bevölkerungsexplosion geführt: die Agrarrevolution, die industrielle Revolution, die Revolution des Gesundheitswesens, die Wissenschaftsrevolution.

Ganz klar: Die planmäßige Nahrungsmittelproduktion, also die systematische Versklavung der Natur als Ressourcenlieferant, hat dies alles möglich gemacht, vor 13.000 Jahren die Domestizierung der Tiere, dann im 13. Jahrhundert die planmäßige Zucht von Pflanzen, dann bis 1900 der verstärkte Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen und schließlich ab den 50er Jahren der planmäßige, großflächige Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und Mineraldüngern und natürlich eine universale industrielle Produktionsweise, vom Acker bis zur Aufzucht und Haltung von Tieren, alles industriell durchorganisiert.

Diese Entwicklung nennen wir wie selbstverständlich „Fortschritt“, und Menschen, die aufs Artensterben, auf Schadstoffbelastungen, auf den Verlust von Lebensräumen, Knastbedingungen für Tiere, die wir essen usw. usw. hinweisen, nennen wir ganz selbstverständlich, „weltfremde Spinner“, „ewig Gestrige“, „Pessimisten“, „Bedenkenträger“, „Fortschritt- und Gesellschaftsfeinde“, „Apokalyptiker“.

Die rosarote Brille, die wir „Fortschritt“ nennen, wollen wir einfach nicht mehr hergeben, das nennen wir „BesitzStandsWahrung“. Und deshalb wollen wir auch gar nicht wissen, wie all die schönen Güter, die irgendwo auf der Welt hergestellt werden, von hinnen nach dennen transportiert werden müssen. Auch fordern wir von jedem Arbeitnehmer eine hohe Flexibilität bei der An- und Abfahrt zum Arbeitsplatz mit dem Auto und irgendwann, spätestens am nächsten Wochenende möchten wir ja auch mit unseren Lieben und unserem Auto einen Ausflug machen.

Cadillac-EldoradoGanz klar, das muß schon alles sein, glauben wir zumindest, deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß 1960 auf diesem Globus noch 100 Millionen Autos unterwegs waren, 20 Jahre später waren es dann bereits 300 Millionen und heute sind es mehr als 1000 Millionen, also mehr als eine Milliarde. Rein rechnerisch fährt heute jeder 7. Mensch, egal ob 5 oder 75 Jahre, ein Auto und wenn es nach der Autoindustrie geht, sollte möglichst jeder Mensch auf diesem Globus ein Auto fahren. Dieses Horrorszenarium, das wir „normalen Alltag“ nennen, läßt sich beliebig fortsetzen, 1960 flogen wir noch 100 Milliarden Passagierkilometer, heute fliegen wir 6.000 Milliarden Passagierkilometer im Jahr. Ein Langstreckenflug kostet hin und zurück schon mal rund 100 Tonnen Treibstoff, da kommt bei 6 Billionen Passagierkilometern im Jahr schon was zusammen, was an Treibhausgasen und anderen Schadstoffen in die Atmosphäre geblasen wird.

Auch die Waren, die wir Weltbürger auf dem globalen Markt erwerben, benötigen 500 Millionen Container um sie von hinnen nach dennen zu schaffen, ganz zu schweigen von den etlichen Milliarden Tonnen an unwiederbringlichen Rohstoffen, die wir jedes Jahr für unsere Zivilisation und unseren sogenannten Fortschritt verbrauchen.

ContainerschiffEs ist doch ganz logisch, daß all dieser „Fortschritt“ nicht ohne Folgen bleiben kann, mit unserer Landwirtschaft, unserer industriellen Produktion und unserem Transportwesen pumpen wir jeden Tag eine Menge an CO2, Methan und anderen Treibhausgasen in die Atmosphäre, das es ganz egal ist, welche noch so ausgeklügelte Ideologie wir aufstellen, das Klima, also die Atmosphäre (Luft), die Hydrosphäre (Wasser), die Kryosphäre (Eis) und die Biosphäre (Pflanzen&Tiere) müssen ganz zwangsläufig kollabieren, das ist nüchterne Physik und Chemie und keine Ansichtssache, auch wenn wir das gerne hätten.

Allein in der Landwirtschaft produzieren wir 30% der Treibhausgase und seitdem wir so massiv Düngemittel einsetzen, produzieren wir Distickstoffmonoxid, ein 300 mal wirksameres Treibhausgas als Kohlendioxid.

Bei alle dem ist die Erwärmung durch den Klimawandel noch garnicht soweit fortgeschritten, daß die riesigen Treibhausgas-Speicher schon ihre volle Wirkung entfalten können, zwar verlieren z.B. die Eisschilde in Grönland und der Antarktis jedes Jahr fast 500 Milliarden! Tonnen Masse ans Meer , was den Meeresspiegel hebt und die Überschwemmungen steigen läßt, aber das noch viel entscheidendere (wenn man überhaupt noch solche Superlative braucht!) ist das Auftauen des Meeres- und Permafrostbodens wodurch riesige Mengen Methan freigesetzt werden. Methan ist ein wesentlich mächtigeres Treibhausgas als Kohlendioxid und die bereits gemessenen Methangaswolken entwickeln sich wesentlich schneller, als die Wissenschaftler bisher angenommen haben.

Jetzt wird sich vielleicht mancher denken, wenn dem allen so ist, dann sollten wir doch dringend unser Verhalten ändern, das könnte man als sogenannter „vernünftig denkender Mensch“ leichtfertig annehmen, ich will wirklich nicht defätistisch rüber kommen, aber das wird niemals geschehen, ganz im Gegenteil, unser Konsum und unsere Weltbevölkerung wachsen weiter,  was den Energie-, den Land- und Nahrungsmittelbedarf dramatisch steigern wird, auch unser Wirtschaftssystem, der Kapitalismus steht unter Druck, weil er von dem immanenten Gesetz des Wachstums, der Profitmaximierung und der Anarchie der Warenproduktion bestimmt ist, also weshalb sollte plötzlich unser Energiebedarf, unser Bedarf an Rohstoffen, unser Ausstoß an Treibhausgasen, unser Konsumbedarf und vielleicht auch, zu guter Letzt, unser humanistisches Bedürfnis, das niemand mehr verhungern soll, zurückgehen, das passiert auf keinen Fall, endgegen aller internationaler Beteuerungen und Absichtserklärungen, steigt die Schadstoffbilanz jedes Jahr unbarmherzig weiter an. Die Wirtschaft und die Bevölkerung wachsen, der Druck auf das Gesamtsystem nimmt gnadenlos zu.

Sojafeld im AmazonasbeckenNoch werden „nur“ 40% der Landoberfläche auf diesem Planeten landwirtschaftlich genutzt, sieht man genauer hin, bleiben eigentlich nur die Wälder, vor allem die tropischen Regenwälder entlang des Äquatorgürtels als Potential übrig, um die landwirtschaftlichen Flächen zu vergrößern, zumindest wenn man nicht kapitalkräftig ist und den riesigen Energiebedarf, der notwendig ist, andere Flächen landwirtschaftlich zu erschließen, nicht finanzieren kann. Deshalb werden z.B. die Wälder in Indonesien oder im Amazonasbecken dramatisch brandgerodet und zu landwirtschaftlichen Flächen umgenutzt. In den nächsten 40 Jahren müssen wir für die aktuelle Weltbevölkerung mehr Nahrungsmittel produzieren, als in den letzten 10.000 Jahren, gar nicht gerechnet, daß rund 1 Milliarde Menschen weiterhin dramatisch unterernährt sein wird, bzw. am Hunger stirbt. Auch die weltweite Idee der Bioraffinierung von Biomasse verschärft die Situation drastisch, weil nicht mehr nur Menschen, sondern plötzlich auch energiesüchtige Maschinen und Motoren um kostbare Bioprodukte zu kämpfen beginnen.

Bis 2050 wird eine weitere Milliarde Hektar Wald abgeholz werden, um Nahrungsmittel und Biosprit zu produzieren. Der äußerst komplexe, globale Kohlenstoffkreislauf entscheidet über Leben und Tod auf diesem Planeten bei jeder Form von Organismus, bisher binden die Wälder, die Pflanzen insgesamt und die Meere in etwa die Hälfte unserer Kohlendioxid-Emmissionen, durch die Vernichtung dieser Ökosysteme, wird nicht nur kein Kohlendioxid mehr gebunden, sondern das bereits gebundene Kohlendioxid wird wieder freigesetzt. Wie die Bäume bei den heutigen Konzentrationen von Kohlendioxid – die schon seit Millionen von Jahren nicht mehr so hoch waren, reagieren werden, kann niemand im Moment solide voraussagen, es gibt allerdings auch wissenschaftlich ernsthafte Untersuchungen, wonach ab einem bestimmten Belastungspunkt, die Kompensation von Kohlendioxid sich ins Gegenteil verkehrt. Eigentlich müßten deshalb weltweit alle Staaten das Abholzen von Bäumen unter strengste Strafen stellen, genau das Gegenteil ist jedoch der Fall.

In jeder Bäckerblume (Magazin, die es beim Bäcker gratis dazu gibt) auf diesem Planeten kann man heute lesen, wie wichtig die tropischen Regenwälder für diesen Planeten sind, aber was ist die Realität: Internationale Holzkonzerne beschaffen sich jede Menge Tropenholz und schädigen damit auch riesige Flächen des Regenwaldes zusätzlich, so wie auch in Deutschland – natürlich in wesentlich kleinerem Maßstab – durch entsprechende Maschineneinsätze große Waldflächen nachhaltig zerstört werden. Aber die Zerstörung des Regenwaldes geschieht nicht nur durch Abholzung für die Holzproduktion und den dafür nötigen Bau von Straßen für den Abtransport der Urwaldriesen.

AmazonasRiesige Flächen des uralten Waldes werden auch einfach brandgerodet, wodurch riesige Mengen von C02, die der Wald vorher gebunden hatte, in die Atmosphäre gelangen. Auf den so geschaffenen Freiflächen werden große Plantagen angelegt, z.B. für den Anbau von Palmölplantagen für Biokraftstoff oder für Baumwollplantagen. Das ist nur ein Beispiel von tausenden, die das Ökosystem nachhaltig zerstören. Selbst wenn wir ganz plötzlich beschließen würden, daß der Regenwald „doch“ wichtig ist, müßten wir ihn mindestens 700 Jahre vollkommen in Ruhe lassen, daß er wieder in etwa so wäre – auch von seinen Funktionen im Ökokreislauf – wie er war, bevor wir ihn abgeholzt haben.

Bis 2050 wird sich der Bedarf an Lebensmitteln verdoppeln (also stärker steigen als die Weltbevölkerung), nah klar, wenn man skrupellos genug ist, kann man da auch ein gutes Geschäft schon heute wittern und da gibt es nicht wenige, die sich im großen Stil am „Land Grabbing“ beteiligen und riesige bisher ungenutzte Gebiete auf diesem Planeten aufkaufen und zur späteren Ausbeutung in jeglicher Art vorbereiten. Allein in den letzten 12 Jahren haben auf diese Weise eine Fläche halb so groß wie Westeuropa, also etwa 50 Millionen Hektar Land, den Besitzer gewechselt.

Wenn wir schon jeden Tag den Planeten, also unsere Lebensgrundlage zerstören, dann sollten wir wenigsten auch offen dazu stehen und uns alle dem Horrorszenarium stellen, das wir jeden Tag auf diesem Planeten anrichten, anstatt uns von Morgens bis Abends mit allem möglichen rauszuwinden versuchen, mal trösten wir uns damit, daß die Wissenschaft jeden Tag was anderes behauptet, mal muß man erstmal abwarten, ob es wirklich einen Klimawandel gibt, mal wollen wir einfach gar keine Informationen haben, strukturell verhalten wir uns überall gleich, ganz klar, wie sollte es auch anders sein, wir lehnen die industriellen Massentierhaltung ab, essen aber doch am liebsten jeden Tag unser Steak.

Oder sehen wir mal auf so etwas Unauffälliges wie den Sand, unsere sogenannte Zivilisation ist im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut und nicht nur, weil wir mit Sand oft deutlich bessere Gewinne, als mit Uran, Öl und Gas einfahren und deshalb jedes Jahr 40 Milliarden Tonnen davon verbrauchen, sondern weil er praktisch überall in unserer modernen Welt  benötigt wird, wir brauchen ihn nicht nur für den Stahlbeton sondern auch für Computer, Handys, Kreditkarten, Geldautomaten, Verkehrsmittel, Glas, Lebensmittel, Kosmetik und Solarzellen usw. usw.. nimmt es da Wunder, daß Sand nach Luft und Wasser das drittmeistverbrauchte Wirtschaftsgut der Welt ist? Nimmt es da Wunder, daß es auf dem Planeten eine riesige „Sand-Mafia“ gibt, die über Leichen geht, jedenfalls sich in keiner Weise darüber Gedanken macht, daß hier Tag für Tag, Jahr für Jahr unwiederbringlich Ressourcen verbraten werden und zwar in einer rasenden Geschwindigkeit!

Noch eine Ressource, von der wir von der Nordhalbkugel immer glauben, das es sie unendlich geben würde, ist Wasser. Natürlich benötigt eine ständig steigende Weltbevölkerung immer mehr Wasser, keine Frage, aber Wasser brauchen wir nicht nur zum Trinken und Duschen, wie mancher meint. Bereits mehr als eine Milliarde Menschen leidet unter extremer Wasserknappheit. Wir pumpen schon heute die unterirdischen Wasserspeicher wesentlich schnell leer, als sie sich wieder füllen und der Wasserverbrauch steigt ständig. Aber wir verbrauchen Wasser nicht nur zu 70% in der Landwirtschaft, auch der Bedarf in Bereichen, die wir nicht sofort erkennen, steigt ständig.

BurgerBeispiele: Um einen einzigen Burger herzustellen benötigt man in etwa 3000 Liter Wasser, ein Hähnchen vom Grillstand um die Ecke benötigt 9000 Liter Wasser, eine Tafel Schokolade etwa 2700 Liter Wasser, ein Baumwollschlafanzug ebenfalls 9000 Liter Wasser, 100 Liter Wasser für eine Tasse Kaffee, 72 Liter Wasser pro Chip in einem PC oder Smartphone, 4 Liter Wasser um eine Petflasche herzustellen, die Liste läßt sich endlos verlängern und zeigt nur wie aussichtslos und dramatisch die Situation ist.

Wenn es eine Kurve gibt, die die Entwicklung des Menschen und SEINEM Planeten sehr gute wiedergibt, dann ist es die nachfolgende und zwar egal welche Werte wir auf der senkrechten Achse eintragen, es kommt immer in etwa die gleiche Kurve heraus. Wir sehen, die ganze Entwicklung war ein langer, ruhiger Fluß und dann im 20. Jahrhundert gerät alles „nachhaltig“ ausser Rand und Band.DIE GRAFIK

„Never change a running system“, diesen Grundsatz haben wir alle nicht beherzigt, weil wir, im Gegensatz zu Albert Schweitzers Aussage, die Fähigkeit vorauszublicken und vorzusorgen niemals hatten, bzw. immer sehr partiell nur hatten. Die Fähigkeit, funktionierende Ökosysteme zu zerstören, besitzen wir schon sehr lange, aber erst seitdem diese Fähigkeit auch über geeignete technische Verfahren verfügt, hat sie sich so dramatisch weiterentwickelt und genau deshalb kommt es zu der obigen Kurve.

Wir können allerdings auch einfach die nachfolgende Grafik der zahlenmäßigen Entwicklung der Weltbevölkerung betrachten und können sofort erkennen, daß sich hier riesige Probleme auftun und zwar allein aufgrund der schieren Menge der Weltbevölkerung. Natürlich kann unsere Agrarproduktion – aufgrund der industriellen Produktion der Nahrung – 10 Milliarden Menschen theoretisch ernähren, aber erstens gelingt es schon jetzt bei 7 Milliarden nicht, daß Menschen nicht mehr am Hunger sterben und zweitens benötigen auch diese Menschen gewisse Standards für ein menschenwürdiges Leben, die man ihnen nicht weiter vorenthalten kann, wenn man nicht weiterhin menschenverachtend vorgehen will. Natürlich gibt es geborene Machertypen mit „sozialem Gewissen“, die glauben, daß Menschen nicht mehr hunger müssen, wenn man Logistik und Nahrungsmittelproduktion besser organisiert und z.B. gentechnisch veränderte Feldfrüchte mit höheren Erträgen einsetzt. Dagegen ist zum einen zu sagen, daß ja die Probleme sich schon durch die „erste grüne Revolution“ bzgl. der Bevölkerungsexplosion und der zerstörten Ökosysteme dramatisch verändert haben und das zum anderen durch eine „zweite grüne Revolution“ aufgrund von gentechnisch veränderten Produkten, die Spirale der Umweltzerstörung und der Ausplünderung des Planeten weiter antreiben muß (Details muß ich in einem weiteren Artikel erläutern). Neben der drastischen Resourcenwende bedarf es einer auf Freiheit gegründeten weltweiten Bildungsoffensive vor allem für Frauen, natürlich jenseits der Religionen, die als einziges eine für den Planeten sinnvolle Familienplanung möglich machen kann.

zahlenmaessige Bevoelkerungsentwicklung
Aber auch das Artensterben gewinnt durch transgene Produkte an Fahrt, aber wenn Menschen auf das 1000 mal schnellere Artensterben in unserer momentanen Situation hinweisen, dann kommt von den meisten Menschen immer so ein mitleidiges Lächeln, so nach dem Motto: „Der arme Irre, womit der sich so sein Leben beschwert und versaut.“ Das kommt vor allem daher, daß das Artensterben auf den ersten Blick immer nur in so lächerlichem Zusammenhang  erwähnt wird, daß wieder mal ein paar unverbesserliche, irre Naturschützer sich dem wirtschaftlichen Erfolg und damit dem Fortschritt entgegen stellen, von dem wir doch alle leben. Meistens steht die Unwissenheit diesen schwachsinnigen Argumentationen der Fortschrittsjünger Pate.
Es geht aber beim Artensterben nicht nur um das Sterben bestimmter besonders schöner Vögel, Schmetterlinge oder Kröten sondern vor allem um das Aussterben bestimmter lebenswichtiger Ökosysteme, deren Teil bestimmte Arten sind, wenn die Arten sterben, sterben auch die Ökosysteme, darum geht’s.
Bis 2100 werden zwei Drittel des jetzigen Bestands an Arten ausgestorben sein, das ist in etwa so viel, wie vor 65 Millionen Jahren, als ein Asteroid auf der Halbinsel Yucatán einschlug und damit eine ähnliche Anzahl Lebensformen – einschließlich des Dinosauriers – vernichtete, wie es heute der Mensch tut.
Ob es uns paßt oder nicht, wir bleiben von den vielfältigen Ökosystem-Dienstleistungen, die uns der Planet kostenlos zur Verfügung stellt, abhängig. Ohne diese Dienstleistungen sterben wir aus, zuerst die „paar Milliarden“ der Ärmsten der Armen auf diesem Planeten – aber irgendwann geht es auch uns wohlhabenden, übersättigten Konsumenten auf der Nordhalbkugel an den Kragen, vorher kommt’s natürlich noch zu riesigen Verteilungskriegen aber irgendwann in nicht allzuferner Zukunft geht auch bei uns das Licht aus und wir werden feststellen, wie es in der Weissagung der Cree heißt: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

Unwissenheit schützt vor dem Untergang nicht!
Bei der Zerstörung unseres Planeten können wir uns genauso wenig mit Nichtwissen herausreden, wie beim Zustandekommen des Faschismus, die Bedingungen, die zu dem einen, wie zum anderen führen, werden von uns allen, mehr oder weniger bewußt, jeden Tag aufs neue reproduziert, weil sich gleiche Strukturen über all wiederfinden und weil es oft nur des einen entscheidenden Tropfens bedarf, um ganze Systeme in die ein oder andere Richtung zu verändern. Niemand kann sich ausnehmen, wir alle sind es, die diesen Planeten zerstören und in weiten Teilen, durch die Banalität unseres normalen, bewußtlosen, täglichen Lebens.

In Adornos „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“, die er im Gegensatz zu Aristoteles „Minima Moralia“ nannte, findet sich im 18. Denkbild unter der Überschrift „Asyl für Obdachlose“ der wichtige, jedoch oft falsch verstandene Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Das ist kein Freibrief sich gesellschaftlich aufzuführen, wie man will, da es sowieso kein richtiges Leben gibt, sondern nur der grundsätzliche Vorbehalt sich niemals aus dem Gesamtzusammenhang herausstellen zu können, weil die Strukturen, unter denen wir leben, universal sind, niemand kann sich diesen entziehen, trotzdem kann man sich in einer kleinen Ethik, einer „Minimal Moralia“ mehr oder weniger anständig verhalten.

Angst vor der Revolution!
Im positiven, aktiven Sinne haben wir immer Angst vor der Revolution, wir meinen uns keinesfalls auf Verhältnisse einlassen zu können, die „wir nicht mehr unter Kontrolle haben“, im negativen Sinne gehen wir aber genau auf eine dramatische Revolution zu. Das Wort Revolution ist ja eigentlich nur ein anderes Wort für die Kippschalter-, Wassertropfen- oder Schmetterlingsflügelschlag-THEORIE, es ist nur stärker ideologisch belastet, meint aber im Grundsatz eine totale Veränderung, auf der kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Ob wir wollen oder nicht, genau diesem Problem sind wir ausgesetzt auf diesem Planeten und genau deshalb müssten wir für jeden Bereich unserer sogenannten Zivilisation einen Paradigmen-Wechsel vollziehen, aber was machen wir alle? NIX machen wir alle!
Natürlich noch leben wir zumindest auf der nordlichen Halbkugel heiter und übersättigt von unserem Wohlstand jeden Tag vor uns hin, während gleichzeitig ein Asterioid mit weltzerstörender Kraft aus dem All auf uns zurast. Und obwohl immer mehr Wissenschaftler weltweit die Ausmaße des Einschlags und seine Folgewirkungen vorhersagen und exakt berechnen können, nehmen wir dieses Wissen gar nicht zur Kenntnis.
Wie der Soziologe Ulrich Beck schon vor 25 Jahren in seiner Analyse der Risikogesellschaft beschrieben hat, „wo sich alles in Gefährdungen verwandelt, ist irgendwie auch nichts mehr gefährlich.“ Aber dadurch, daß wir für unser momentanes Überleben einfach keine Gefahren mehr wahrnehmen wollen, sind diese nicht verschwunden und auch wenn der Überbringer der Botschaft der Bösewicht ist, der hingerichtet gehört und die Botschaft selbst ungehört bleibt, verschwindet die Sache selbst nicht, wir vergeben uns nur die Chancen noch etwas zu verändern, bevor die Fakten zuschlagen.

Weil diese Mechanismen anthropologische Konstanten darstellen, an denen sich nichts ändert, genau deshalb geht die Sache schief und genau deshalb sollten wir langsam damit beginnen, Abschied zu nehmen von diesem wunderschönen blauen Planeten.

Objektiv gesehen haben wir genau 2 Möglichkeiten, die globalen Probleme anzugehen, entweder „technologisieren“ wir uns in ganz kurzer Zeit aus dem Problem heraus, was mindestens 3 Zehnerpotenzen unwahrscheinlicher ist, als den Jackpot zu knacken, oder wir verändern unser Verhalten, was mindestens 5 Zehnerpotenzen unwahrscheinlicher ist, als den Jackpot zu knacken. Auf Geoenginiering gehe ich gar nicht ein, weil das sowieso vollkommen illusionär ist, im großtechnischen Maßstab nachhaltig in die  Ökosysteme eingreifen zu wollen.

Übrigens: Bei alledem kann ich nur das Buch „Zehn Milliarden“ von Stephen Emmott und das Buch „Grüne lügen“ von Friedrich Schmidt-Bleek empfehlen, wenn jemand sich noch weitergehend informieren möchte. Wie Emmott sehe auch ich – allerdings rein hypothetisch, weil keine der beiden Möglichkeiten Realität werden – nur ganze 2 Möglichkeiten, um auf die aktuelle Situation zu reagieren.

1. Möglichkeit: „Heraustechnologisieren“
Hier wäre eine radikale Revolution bei der Erzeugung von Energie erforderlich, die im Moment propagierten Methoden lasse ich mal alle außen vor, weil Sie keine ökologisch sinnvolle, nachhaltige Lösung für die Energieprobleme bieten. Also es gäbe zum einen die Möglichkeit auf synthetische Weise die „Photosynthese“ in hochtechnologische Verfahren umzusetzen, hier stecken die gesamten wissenschaftlichen Ansätze jedoch noch in den Kinderschuhen, also in der Grundlagenforschung, Lichtjahre davon entfernt, eine synthetische Photosynthese in hochtechnologischen Verfahren serienreif einzusetzen.
Zum zweiten gäbe es die Möglichkeit „Raumenergie“ nutzbar zu machen. Abgesehen davon, daß Raumenergie immer den Stempel des Esotherischen und Lächerlichen aufgedrückt bekommt, was in der Wissenschaft ja ein beliebter Trick ist, um neue Erkenntnisse zu unterdrücken, sind auch hier ernsthafte wissenschaftliche Forschungen noch in den Kinderschuhen.
Wer auf Technologien hofft, die man heute noch nicht sehen kann, unterliegt einem bloßen Wunschdenken, wenn man bedenkt, wie lange die Entwicklungszeit für solche Technologien sind.
Wenn wir z.B. an die 1.  und 2. Ölkrise Anfang und Ende der 70er Jahre denken und daran, daß man damals schon vom 1 Liter Auto gefantert hat und wir das 1 Liter Auto nach 40 bzw. 35 Jahren immer noch nicht habe, dann frage ich mich, wie man allen erstes bei einer Grundlagentechnologie für eine ökologisch sauberen, nachhaltigen Energiegewinnung allen erstes Glauben kann, daß diese in den nächsten 35 Jahren serienreif entwickelt würde.
Das Grundproblem bei neuartigen, revolutionären Energiegewinnungsmethoden ist eben die Schwierigkeit, daß sich seriöse Wissenschaft nicht in 5 Minuten erledigen läßt, also auch keinen kurzfristigen „Return on Invest“ verspricht, dieser ist aber heute notwendig, um möglichst viele Forschungsgelder zu bekommen.
„Photosynthese“ und „Raumenergie“ sind beides vielversprechende Ansätze, werden aber von den Kreisen, die auf diesem Planeten über das notwendige Kapital verfügen, nicht hinreichend gefördert und ohne, daß die Menschheit das Energieproblem ökologisch sauber und nachhaltig löst, fahren wir den Planeten an die „vielzitierte“ Wand.

2. Möglichkeit: „Verhalten ändern“.
Also dramatisch unseren Konsum verändern, mindestens um den Faktor 10 runter mit allem, unseren Umgang mit Ressourcen ebenfalls mindestens um den Faktor 10 runter, sparen, was das Zeug hält. Während in den letzten 100 Jahren sich die Weltbevölkerung „nur“ vervierfacht hat, hat sich unser Ressourcenverbrauch versiebzehnfacht! Aber keiner will persönlich sparen, das ist sowas von unpopulär und politische Zwangsmaßnahmen? Fehlanzeige, die nächste Wahl kommt bestimmt, da nehmen wir den, der mehr verspricht nicht weniger und schließlich und endlich gibt es ja dann doch immer welche, die nicht mitmachen: „Bei uns den Gürtel enger schnallen wollen und selbst noch drei Löcher zugeben, ne so läuft das nich…“
Aber andererseits sind doch Politiker dafür da, sich verantwortlich zu verhalten, die sind doch schließlich für die Infrastruktur und damit auch für die Natur zuständig, schließlich zahlen wir Steuern und haben damit das Problem doch an die Politik delegiert, schließlich bekommen die doch  auch dicke Diäten.
Also da ist man als Politiker schon unter Druck, was macht man, wenn man also in der Sache nichts ändern kann, dann muß eine andere Lösung her, da gibt es drei prima Lösungen:
1. Die reine Weste, nach dem Motto, wir haben das beste gewollt, aber die anderen haben die Verhandlungen leider scheitern lassen,
2. die super Marketing-Leute, die aus jedem Scheitern immer noch einen Erfolg machen und
3. die Gutachten, die Politiker von der Verantwortung befreien und aufzeigen, weshalb nur eine, oft die nachhaltig sinnloseste Varianten als einzige in Frage kommt.

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Kann man die Probleme dümmer angehen, wohl kaum, aber wie Albert Einstein schon richtig bemerkte (egal ob er es wirklich gesagt hat oder nicht): „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Warum hab ich das alles erzählt?
Sicher nicht deshalb, um uns allen einen Freibrief dafür zu geben, uns weiter so hemmungs- und gewissenlos aufzuführen, wie wir es gewohnt sind, da im großen Stil unser Projekt „Mensch&Planet“ sowieso gescheitert ist. Sondern deshalb, weil wir uns grundsätzlich von der Argumentationkette verabschieden sollten, daß wir entweder nichts tun müssen, weil sowieso alles schon vergeigt ist oder wir etwas tun können, weil wir noch alles im großen Stil erreichen können und die Hoffnung doch zuletzt stirbt.
Beide Argumentationsketten müssen zwangsläufig scheitern, bei den einen, weil niemand es durchhalten kann, sich in jeder Sekunde seines Lebens wie die letzte Drecksau aufzuführen und lustig vor sich hinzuleben irgendwann wird bei jedem der Panzer krachen und bei den anderen, weil irgendwann bei der Übermacht der negativen Erfahrungen der Motivator „Hoffnung“ zerbrechen muß und dann die Hoffnung um so stärker in Resignation umschlagen kann bei dem vergeblichen Engagement, das man all die Jahre an den Tag gelegt hat.

Deshalb: Vergeßt die Hoffnung, vergeßt Ziele, vergeßt das Siegenwollen als Motivatoren!
Hoffnung ist nur ein anderes Wort für „Siegen wollen“, zu kämpfen, weil man die Hoffnung hat, letztendlich doch noch zu siegen. Das Motto: „Das Gute setzt sich letztlich doch noch durch“, ist ein psychologische Krücke, die wir wegwerfen sollten. Ich weiß, diese eschatologische Struktur findet sich noch in den säkularsten Gesellschaftsbewegungen, die sie dann zwar nicht mehr „Reich Gottes“ nennen, sondern Sozialismus, Kommunismus, humaner Kapitalismus, soziale Marktwirtschaft, Utopia etc. aber letztlich immer auf Entwicklung, Fortschritt, letztes Gericht, usw. abgestimmt sind.
Diesen Entwicklungsgedanken halte ich in seiner Wirkungen für verheerend, natürlich nur dann, wenn Entwicklung gleichgesetzt wird mit „Höherentwicklung“. Diese Ideologie der Höherentwicklung verstellt uns seit Jahrhunderten den realistische Blick auf das Zusammenspiel von Mensch&Planet. Alles – und sei es noch so absurd – muß in das Schema der Höherentwicklung, in den Fortschrittsgedanken eingepaßt werden, wer sich dagegen stellt, wer gegen den Fortschritt ist, ist ein Menschen- und Gesellschaftsfeind und muß vernichtet werden.

Wenn sich bei der fortschreitenden ethischen Verwahrlosung auf diesem Planeten etwas verändern soll, dann nicht in dem man das eine Ziel durch das andere und den einen Sieg durch den anderen ersetzt. „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen!“ (heißt ein Buch, das Konstantin Wecker und der amerikanische Zen-Meister Bernhard Glassman Roshi zusammen verfaßt haben, und das meiner Meinung nach schon im Titel sehr gut die Richtung vorgibt, in die meine Überlegungen gehen) Die strukturelle Auflösung von Haß, Gier und Ignoranz durch universales Mitgefühl für alle fühlenden Wesen und damit auch in letzter Konsequenz für diesen Planeten, kann nur funktionieren, wenn wir das Siegenwollen und damit die Gier nach Macht ganz verlernen und in den Mittelpunkt unseres Lebens das ethisch anständige Handeln aus Liebe und Mitgefühl rücken.

Entgegen des normalen Sprachgebrauchs ist deshalb für mich ein „hoffnungsloser Optimist“ bei der beschriebenen Zwickmühle besser aufgestellt: Einerseits ist er ein pessimistischer Realist, der von keinen Hoffnungen auf Besserung umgetrieben wird, der weder an eine positive Weiterentwicklung des Menschen noch an ein positives Happy End des Projekts „Mensch&Planet“ glaubt, der schlicht keinerlei Hoffnungen hat, der aber andererseits so optimistisch handelt und lebt, als wäre alles noch zu retten, der aber als Antrieb für sein Handeln keiner Hoffnungen bedarf sondern nur des universalen Mitgefühls und der Liebe, verbunden mit der Einsicht, Haß, Gier und Ignoranz hinter sich zu lassen!

Der hoffnungslose Optimist ist ein lebensbejahender Mensch OHNE Hoffnung!

Diese Haltung macht den „hoffnungsloser Optimisten“ frei in seinem kleinen,  persönlichen Leben das Beste zu geben, egal wie schweinisch und rücksichtslos alle anderen Menschen sich aufführen. Er ist frei vom quantitativen Denken, (das nach dem Motto geht, wenn ich nicht den Planeten retten kann, macht alles andere auch keinen Sinn, dann kann ich alles andere auch gleich lassen), er handelt (in etwa nach der Gravur in Oskar Schindlers Ring) nach dem Motto:

„Wer auch nur ein einziges fühlendes Wesen rettet, rettet die ganze Welt.“
(Der Satz hat Bestand, egal ob er wirklich im Talmud steht oder nicht.)

So wird ein „hoffnungsloser Optimist“ von keinem missionarischen Eifer angetrieben, er will nicht siegen, er will nur ethisch aufrecht handeln, er ist frei von der Hoffnung, etwas bewegen zu können, sein aufrechtes, humanistisches Handeln, aller Natur, allen Tieren, Wäldern und Menschen gegenüber wird immer wieder nur aus sich selbst – oder man könnte auch sagen aus dem Leben selbst – geboren, ist kein Mittel zum Zweck sondern sein kleines, persönlichen Leben im Ganzen, absolut nichts darüber hinaus, ganz im Hier und Jetzt.

Minima Moralia!

WaldKritik

WaldkritikHeaderSobald wir Menschen das Wort „Ressource“ hören, bekommen unsere Augen diesen feuchten, glänzenden Millionen-Dollar-Blick und unsere instrumentell, industriell geschulten Rädchen im Kopf beginnen wie wild zu arbeiten, wie wir diese „Ressource“ ausbeuten, also wirtschaftlich für unseren ständig wachsenden Reichtum verwerten können und das möglichst effizient!

Das fängt bei Tier und Mensch an, das geht über alle, oft unwiderbringlichen Rohstoffe auf diesem Planeten weiter und das hört beim Wald noch lange nicht auf, hier ist es nur besonders auffällig, weil wir oft direkt vor unseren Türen mit schwerstem Gerät die Bäume umsägen und zur Verwertung abtransportieren, auf denen wir selbst sitzen – kein Wunder, daß wir nur noch im Universum nach intelligentem Leben suchen, für unseren Heimatplaneten haben wir es längst aufgegeben.

Weil dem so ist und weil es wohl doch eine anthropologische Konstante gibt, nach der wir nie ganz aufgeben können und immer wieder die Hoffnung in uns hochkommen lassen, daß die Ignoranz eines Tages doch abnehmen könnte, gibt es jetzt eine Seite, die sich „WaldKritik.de“ nennt und eine unabhängige, demokratische, bundesweite, zivilgesellschaftliche Initiative ist, die waldbegeisterten Kritikern (egal ob sie viel oder gar kein Fachwissen besitzen) einen virtuellen Versammlungsort zur Verfügung stellen will, an dem Freunde des Waldes und Kritiker des Umgang mit dem Wald an einem runden Tisch über die Gegenwart und Zukunft des Waldes miteinander diskutieren können.  Fernab von parteipolitischem Gezänk und dogmatisch-ideologischer Verbohrtheit sollen sich Menschen auf dieser Kommunikations-Plattform treffen und austauschen können, die einzige Vorbedingung sollte sein, daß es den Diskussionsteilnehmern wirklich um den Wald geht.

Der Begriff “Kritik” ist in unseren “Macherzeiten” etwas in Verruf geraten, obwohl er besonders seit der Aufklärung im 18. Jh. eine wunderbare Methode bezeichnet, eine Situation möglichst realistisch, nach den Kriterien der Vernunft, zu beurteilen. Die Methode der Kritik ist deshalb so erfolgreich, weil sie bei der Beurteilung eines Sachverhalts auch das jeweilige Vorverständnis mitbedenkt, also die Bedingungen, unter denen mein Beurteilen stattfindet.

Die Kritik eines Försters zum Beispiel, die er am Zustand und den Bedingungen unter denen der Wald wächst, äußert, muß zwangsläufig eine ganz andere sein, als bei einer Familie, die es einfach wertfrei liebt, am Wochenende im Wald wandern zu gehen und auch ein ökoradikaler Naturschützer wird eine ganz andere Kritik üben, als die beiden erstgenannten Gruppen.

An diesem runden Tisch sollen sich nach Möglichkeit alle Interessengruppen, die Fachleute UND die absoluten Laien (die einfach nur waldbegeistert sind) miteinander austauschen können.

Der Wald bedeutet eigentlich immer Schönheit und Mahnung zugleich und Kritik ist bewahrend und verändernd zugleich. Kritik ist gerade auch dann berechtigt, wenn Sie gleichzeitig und zunächst KEINE ALTERNATIVEN Lösungen anbieten kann.

Ohne Kritik kann man die Probleme nicht sehen, bzw. adäquat beurteilen und oft kann man das Problem der einen Interessengruppe nicht mit dem Problem einer anderen Interessengruppe einfach verrechnen, beide Themen stehen nebeneinander und es geht darum, gemeinsame Lösungen zu suchen, ohne die Probleme des jeweilig anderen als nicht existent wegzuerklären!

Der Name “Waldkritik” bedeutet letztlich die “Kunst der Waldbeurteilung”! Diese Kunst ist sehr komplex und bedarf vieler Meinungen, auf die man auch dann Rücksicht nehmen sollte, wenn es innerlich schwerfällt oder wenn man die Person, Partei, Institution etc. partout nicht ausstehen kann oder an deren Geisteshaltung, Einstellung und Aussagen heftig Anstoß nimmt.

Ich wünsche der Seite eine gute Zukunft: Möge sie dem Wald helfen, denn wenn sie ihm hilft, hilft sie auch allen anderen fühlenden Lebewesen!

Ein Gespräch mit dem Künstler & Sozialisten: William Morris

william-morris-forestWilliam Morris (1834 – 1892) gilt vielen als verschrobener Phantast, der sich in ein mittelalterliches Arkadien zurückgeträumt hat und seine Firma eher wie eine Bruderschaft mit brüderlichen Idealen als mit harten kapitalistischen Gesetzen führen wollte. Morris war jedoch nach unserem Dafürhalten ein wahrhafter Visionär, ein undogmatische Sozialist und Humanist, aber auch ein großer Realist, der keine Scheuklappen aufsetzte, der sehr genau sah, wohin die Arbeitsteilung der industriellen Revolution, der Verlust handwerklichen Wissen und Könnens, das industrielle Fertigen und die Zerstörung, wie die Entfremdung von der Natur führen würden, nämlich genau dort hin, wo wir heute stehen. William Morris war ein Mensch, der die Natur liebte, nicht im Sinne eines Blut- und Bodenmythos, nicht als etwas, das dem Menschen zur Unterwerfung und Ausbeutung überantwortet ist, sondern als Lebensgrundlage und Quelle von Schönheit, als Seinsbereich, der entscheidend für Empfindungen des Glücks oder Unglücks ist. Insofern kann man William Morris als den Urvater aller grün-alternativen Linken ansehen. Warum? Das könnt Ihr in dem nachfolgenden Gespräch zwischen ÖkoRadiX und William Morris näher erfahren.

William Morris KopfOekoRadiX (OR): Mr. Morris, herzlichen Dank für Ihren Besuch in unserer Redaktion. Den meisten unserer Leser sind Sie – überspitzt formuliert – heute nur noch als ein genialer Designer floraler Tapeten im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts bekannt, dabei könnte man doch bei einem ganzheitlichen Blick auf Ihre Person, Ihr Leben und Ihr Werk wie im Spiegel eines großen Künstlers, alle Aspekte und Probleme unserer Gegenwart perfekt erkennen und für eine Analyse der Jetztzeit nutzbar machen. Aber vor allem auch Ihre vielen Ideen zu Leben – Schönheit – Kreativität und Gesellschaft sind heute aktueller denn je.

William Morris (WM):  Wenn Sie das so sagen, dann freue ich mich natürlich darüber …

OR: Bekanntlich sieht man ja oft den Wald vor lauter Bäumen nicht, deshalb kann der Blick in die Geschichte doch sehr hilfreich sein, besonders dann, wenn alte und neue Zeiten, wie in der Mitte des 19. Jahrhundert, aufeinanderprallen und alle Probleme bereits im Kleinen auftauchen. Für uns Heutige ist z.B. unsere Entfremdung und unser Umgang mit der Natur zu einem großen Problem geworden, in Ihrem Lebenswerk, Mr. Morris, spielt die Natur ja eine ganz herausragende Rolle. Der Header zu diesem Beitrag zeigt z.B. Ihren Wandteppich „The forest“, der heute im Londoner Victoria & Albert Museum zu bewundern ist. Können Sie unseren Lesen kurz erzählen, was Sie zu diesem Motiv bewogen hat?

WM: Zunächst muß ich betonen, daß der Wandteppich, der im Workshop Merton Abbey meiner Firma „Morris & Co.“ 1887 gewebt wurde, nicht nur von mir, sondern auch von meinem Freund Philip Webb und meinem Designer John Henry Dearle entworfen wurde.
Philip hat die Tierfiguren kreiert, John hat das florale Design entworfen und ich hab die Blumen im Vordergrund und den äußeren Rahmen beigesteuert.
Der Wandteppich zeigt die innere und äußere Ruhe, in der die Natur verharrt, im Unterschied zu unserer von der Natur entfremdeten Geschäftigkeit, die dieses in sich ruhende Gleichmaß nicht mehr kennt. Insofern ist der Teppich Schönheit und Mahnung zugleich, wie alle Werke von „Morris & Co“, der Firma, die ich ab 1875 allein zu managen hatte.

OR: Aha, ich habe verstanden, die Natur spielt in Ihrem Werk die zentrale Rolle und dient nicht nur als ornamentales Beiwerk. Wenn man auf Ihr politisches Engagement sieht, dann fällt einem sofort auf, daß es bei Ihnen eine enge Verzahnung zwischen gesellschaftlich/wirtschaftlichen Themen, wie Produktivkraftentwicklung, Gewinnstreben, Kapital, Produktionsmitteleigner auf der einen Seite und einem einfachen, naturnahen, von Schönheit bestimmten, Leben auf der anderen Seite gibt.
Bis zu Ihrem leider sehr frühen Tod 1896 (im Alter von 62 Jahren) habe Sie sich selbst immer als Sozialisten, bisweilen auch als Kommunist bezeichnet, wobei wie schon gesagt einfache Lebensweise und Harmonie mit der Natur neben einer gerechteren, menschenwürdigeren Welt für sie im Zentrum ihrer sozialistischen Aktivitäten lag und damit sich doch stark vom sozialistisch, dogmatischen Mainstream schon in der damaligen Zeit unterschieden hat.
Schönheit war für sie z.B. eine Kategorie, ohne die eine sozialistische Gesellschaft nicht auskommen kann. Friedrich Engels nannte sie unter anderem deshalb etwas abschätzig einen „Gemütssozialisten“ und man fragt sich noch heute, was dagegen einzuwenden ist, wenn ein Sozialist mit „Gemüt“ ausgestattet ist.
Denkt man länger und tiefer nach und bezieht die ganzen Fehlentwicklungen des Sozialismus im 20. Jh. mit ein, dann könnte man doch sagen, der gedankliche Impakt der hinter dieser Aussage von Engels steht, ist bis heute das Problem jeder sozialistischen Bewegung gewesen.

WM: „Ich verstehe unter Sozialismus … eine Gesellschaft, in der alle Menschen unter gleichen Bedingungen leben, in der es zu keiner Verschwendung kommt und volle Klarheit darüber herrscht, daß die Beeinträchtigungen der Rechte eines einzelnen die Beeinträchtigung der Rechte aller bedeutet. … Wir wollen mit den Mitteln sozialer Demokratie zu einem anständigen Leben gelangen. Wir wollen wirklich lebendig sein und bleiben. Darauf bestehen wir, hier und jetzt. Gewiß, wer behauptet, daß die Frage von Kunst und Kultiviertheit gegenüber der des Lebensunterhalt den Vorrang habe … hat nicht begriffen, was Kunst bedeutet bzw. daß sie ihre Wurzeln im aufstrebenden und angstfreien Leben hat. …  Es ist die Provinz der  Kunst, die das wahre Ideal eines erfüllten und vernünftigen Lebens vor (uns) aufrichtet, eines Lebens, zu dem notwendigerweise die Wahrnehmung und die Schöpfung von Schönheit, die Freude an wahren Vergnügen gehört – und zwar ebenso notwendig wie das tägliche Brot.“

OR: Mir scheint, daß sie von der Kunst einen wesentlich umfangreicheren Begriff haben, als wir es normalerweise in unserer bürgerlichen Vorstellung von Kunst gewohnt sind. Für unsere Leser ist es vielleicht nicht uninteressant zu verstehen, daß sich für Sie – als praktischen Sozialisten – der Sozialismus als Konsequenz aus ihren künstlerischen Vorstellungen ergeben hat. Sie setzen da ein Menschenbild voraus, daß wir heutigen wohl mit dem Ausspruch von Joseph Beuys von 1967 beschreiben würden: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Diese Vorstellung der Kunst als „soziale Plastik“, als lebender Organismus zielt auf eine allumfassende Gesellschaftsordnung, in der Freiheit für das Individuum, Gleichheit der Rechte und Brüderlichkeit in einem gemeinsamen Wirtschaften im Mittelpunkt stehen.
Könnte man deshalb sagen, daß für Sie Sozialismus ein Gesamtkunstwerk ist?

WM:  Ja, das könnte man auf jeden Fall sagen.

socialist_league_morrisOR: In der Socialist League, die Sie zusammen mit der Tochter von Karl Marx und einigen anderen Mitstreitern aus der „Social Democratic Federation“ Ende 1884 gegründet haben und deren Zielsetzung von Anfang an ein revolutionärer, internationaler Sozialismus war, haben sie eine politische Bewegung ins Leben gerufen, die im England vor der Jahrhundertwende doch recht einflußreich war, obwohl sie nicht sehr viele Mitglieder besaß.
Lag das an den vielen hellen und engagierten Köpfe der damaligen sozialen Bewegung in England, die sie zu einer Mitarbeit motivieren konnten? Sie sollen ja z.B. auch Annie Besant, die spätere Theosophin und Widersacherin Rudolf Steiners dazu bewegt haben, sich mit den Schriften von Marx zu beschäftigen und in der Socialist League aktiv mitzuarbeiten.

WM: Um der Wahrheit die Ehre zu geben, so war nicht ich es, der Annie Besant mit dem Marxismus bekannt machte, sondern Edward Aveling, dem ersten englischen Übersetzer der Schriften von Karl Marx, der sie sehr stark in ihrem Denken beeinflußt hat. Ende der 80er Jahre  hat sie ja dann in Paris Madame Blavatsky und die Theosophie kennengelernt und ihre marxistischen Brücken leider abgebrochen.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein, daß meine erste deutsche Übersetzerin meines utopischen Romans „Kunde von Nirgendwo“, ja die Frau von Wilhelm Liebknecht war, der in Berlin eine Arbeiter Bildungsschule gegründet hatte, an der Rudolf Steiner von 1899 bis 1904 unterrichtete. Jener Rudolf Steiner, der dann einige Jahre später im Widerspruch zu Annie Besant in Deutschland die  Anthroposophie ins Leben gerufen hat, so schließen sich die Kreise und so können sie sehen, wie all diese hellen Köpfe ein sehr ganzheitliches und mit menschlicher Kreativität stark verbundenes Menschen- und Gesellschaftsbild hatten.
Viele meiner/unserer Thesen sind in andere soziale Bewegungen eingegangen, die im 20sten Jh. bedeutend wurden und damit meine ich nicht die offiziellen sozialistischen Versuche, die in Massenmord, Tränen und Menschenverachtung geendet sind.

OR: Könnte man sagen, daß  Sie heute eher ein alternativer Öko wären, als ein Sozialist?

WM: Ich würde vermuten, ein ökoradikaler Linker. All meine Ideen zu Nützlichkeit, Einfachheit und Angemessenheit statt Luxus sind heute eher in anderen gesellschaftlichen Bewegungen angesiedelt, als bei dogmatischen Sozialisten, wenn ich das richtig sehe. Das Etikett „Sozialist“ war mir nie wichtig, was mir jedoch sehr wichtig war, war die moralische Verantwortung von Designern und Herstellern für die Produktion von Qualitätswaren. Design als demokratisches Mittel für soziale Veränderungen war mir wichtig, die Korrespondenz von häßlichen gesellschaftlichen Strukturen mit der Häßlichkeit der Architektur und dem Gegenbild einer harmonischen, schönen Gesellschaft mit einer schönen Innen- und Außenarchitektur, der ganzheitliche Entwurfs- und Herstellungsprozeß unter einer ästhetischen, sozialen und umweltorientierten Betrachtungsweise war mir wichtig. Der schonende nicht verschwenderische Umgang mit den Ressourcen, kein Raubbau der Natur nur aufgrund von kurzfristigen Profitinteressen, technische Entwicklung für die Menschen und nicht für Kapitalinteressen und die Naturnähe der Menschen, die weder von ihrer äußeren noch von ihrer inneren Natur entfremdet leben müssen, all das war mir wichtig.

OR:  Nun 120 Jahre nach Ihnen werden solche Thesen nach wie vor von zivilgesellschaftlichen Bewegungen vertreten, die leider keine besonders machtvolle Lobby in der Politik haben. Politik wird heute stärker denn je von Kapitalinteressen bestimmt und die Ideen eines einfachen, angemessenen Lebens inmitten von ehrlichen Materialien und Schönheit in Natur und Haus scheinen Lichtjahre entfernt zu sein vom virtuellen Mainstream der Gegenwart.

WM: Nun, wie ich in meiner Schrift „Wie wir leben und wie wir leben könnten“ bereits 1886 geschrieben habe, liegt das Hauptproblem darin begründet, das Reformen nichts bringen, weil sie die Prämissen unserer Gesellschaftsordnung nicht verändern„Das Wort Revolution … hat in den Ohren der meisten Menschen einen schrecklichen Klang … selbst wenn wir darauf hinweisen, daß wir das Wort in seinem etymologischen Sinn benutzen, daß wir darunter die Veränderung der Grundlagen der Gesellschaft verstehen, sind die Menschen bei der Vorstellung von so großen Veränderungen erschreckt.“ Reformen bewirken nicht viel, weil sie die Übel auf diesem Planeten nicht an der Wurzel anpacken.

Morris-woodpeckerOR: Ich verstehe, wenn man Ihre Schriften liest und diese auf unsere heutigen Verhältnisse überträgt mit entsprechenden Beispielen, dann meinen sie in etwa folgendes:
Wir verschwenden unsere Ressource Lebenszeit für den Erwerb von Geld, mit dem wir uns dann Dinge kaufen können, die wir für ein erfülltes Leben gar nicht brauchen, die wir aber kaufen müssen, um das Wachstum und den Profit anderer zu sichern.
Ebenso verschwenden wir in sinnloser Weise die Ressourcen dieses Planeten, kostbare unwiederbringliche Schätze dieses Planeten, werden ausgeplündert, nur dafür, daß wir jedes Jahr ein neues Handy kaufen können, aber auch für das Wachstum der Wirtschaft kaufen müssen, nur um dann den kostbaren Rohstoff nach einem Jahr auf den Müll zu werfen. Dem Kreislauf der Natur ist er jedenfalls unwiederbringlich entzogen.
Die Anarchie der Warenproduktion bedeutet das Herstellen einer völlig sinnlosen Überproduktion zum Zweck des vollkommen unkontrollierten Kriegs der Märkte und der Verdrängung.
Verdrängungswettbewerb geht mit seiner anarchischen Warenproduktion immer zu Lasten des Ökosystems und darin schließen sie ausdrücklich menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Mensch und Tier mit ein!
Für einen vernunftgemäßen, sinnvollen, nachhaltigen Konsum, in dem wir nicht mehr verbrauchen, als unsere Ökosystem immer wieder just in time herstellen kann, also nicht erst 500 Jahre später (vielleicht!) brauchen wir andere Prämissen, als die, die dem kapitalistischen Wirtschaften zugrunde liegen.
Niemand wird bestreiten wollen, daß  es im Kapitalismus um Profitmaximierung und Akkumulation von Kapital geht, dies funktioniert nur durch Verdrängung und Wachstum, das bedeutet, der Kapitalismus ist von seinen Grundsätzen her gezwungen, immer neue Märkte für sein Wachstum zu erschließen und auf bestehenden Märkten in einem rigorosen Verdrängungswettbewerb, Mitbewerber als Feinde zu liquidieren.
In diesem bösen Spiel ist der Mensch, der nichts als seine Ressource „Lebenszeit“ in Form von Arbeit geben kann, ein Spielball dieser vollkommen von ökonomischen Erwägungen bestimmten Kriegs. Er muß seine Arbeitskraft am Markt so anbieten, wie sie aufgrund der Nachfrage der Kapitaleigner bezahlt wird nicht danach welche Werte sie schafft.
Diesem Kreislauf können wir uns partiell nur entziehen, in dem wir die Prämissen unseres Konsums kritisch hinterfragen und uns neue/alte Maßstäbe erarbeiten, was wir für unser tägliches Leben wirklich brauchen, anstatt uns diese Maßstäbe durch eine immer mehr perfektionierte Werbeindustrie vorgeben zu lassen.
Sie haben ja das Diktum aufgestellt, man solle „nichts im Haus haben, was man nicht nützlich findet oder für schön hält.“ Das setzt allerdings einen kritischen, gebildeten Verstand voraus, der sich nicht dem Diktat der Werbeindustrie überläßt! Ihre Vorstellung, daß Menschen sich eine Welt der einfachen, schönen Dinge schaffen sollen, setzt sehr, sehr viel voraus und ist vor allem nur auf der Grundlage von Bildung zu erreichen. Wir werden im Laufe des Gesprächs sicher nochmal auf ihre 4 Forderung für eine andere Gesellschaft zurückkommen.
Nun sie sagen im übertragenen Sinne, daß die Produktivkraftentwicklung auf diesem Planeten dafür verwendet werden soll, daß alle Menschen auf diesem Planeten ein menschenwürdiges, glückliches Leben führen können, ohne nur eine einzige Sekunde mehr von diesem Planeten zu verbrauchen, als er uns sowieso schon im Übermaß zur Verfügung stellt.
Das manche Länder im Jahr zehnmal mehr verbrauchen, als der Planet uns liefern kann, wir also auf ganz direkt irreversible Weise Ressourcen wirklich verbrauchen, ohne sie in angemessenen Zeiten von der Natur wieder herstellen zu lassen (wir können nicht Millionen von Jahre warten, bis die Natur wieder neues Erdöl hergestellt hat! – bis dahin sind wir längst ausgestorben) kommt durch all diese falschen Grundlagen zustande. Habe ich sie da richtig verstanden.

WM:  Ich hätte meine Ideen nicht besser zusammenfassen können, wenngleich viele der katastrophalen Entwicklungen, die sie angesprochen haben, ja zu meiner Zeit noch nicht soweit fortgeschritten waren, ich habe z.B. gehört, daß 60% der Umweltschäden, mit denen sie heute zu kämpfen haben, erst in den letzten 30 Jahren entstanden sind.

OR: Nun Mr. Morris unsere Leser werden sich fragen, ob ihre politischen und künstlerischen Ansichten vielleicht auch ihrer Herkunft geschuldet sind und Arbeiter, Arbeitslose, Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, ganz andere Zielsetzungen verfolgen, wie sie. Arme Menschen mögen es meist garnicht gerne, wenn wirtschaftlich reiche Menschen, wie Sie, ihnen die Revolution und das einfache Leben predigen, von dem sie mehr als genug haben.  Um diese Frage besser beantworten zu können, gestatten sie mir bitte einen kurzen Durchgang durch ihre Biografie:

Woodford-HallEs ist sicherlich nicht falsch, wenn wir sagen, daß sie aus einem großbürgerlichen Elternhaus stammen, wenn wir den stattlichen georgianischen Landsitz Woodford Hall in Essex anschauen, der in einem 40 Morgen (100.000 qm) großen Park lag und den die Familie zwischen 1840 und 1848 bewohnte und von dem aus Ihr Vater jeden Tag mit der Kutsche nach London an die Börse gefahren ist, scheint mir da kein Zweifel möglich.

Elm-HouseSie wurden aber ursprünglich in einem „etwas kleineren“ Haus 1834 in Elm House in Walthamstow bei London geboren, ihr Vater war Börsenmakler bei Sanderson in der Londoner City und hatte durch Beteiligungen an Kupferminen einen beträchtlichen Reichtum erworben und hinterließ deshalb nach seinem Tod 1847 der Familie ein großes Vermögen.
Diese finanzielle Grundlage ermöglichte es ihnen viele ihrer großartigen Ideen überhaupt erst in Gang zu setzen. Man könnte die Vermutung wagen, daß ihr soziales Engagement auch dem Schuldbewußtsein über die Art und Weise wie dieses große Vermögen zustande gekommen war, geschuldet ist. Sie wollten mit diesem Geld die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und die Ausplünderung der Natur nicht weiter fortsetzen, sondern für soziale Gerechtigkeit sorgen. Ist das so in etwa richtig.

WM:  Ja das könnte man verkürzt vielleicht so sagen.

MarlboroughCollege-300x164OR: Nach ihrer Schulzeit im liberalen Internat Marlborough College, ebenfalls eine nicht gerade ärmlich zu nennende Atmosphäre für einen heranwachsenden jungen Mann des englischen Bürgertums (noch dazu scheint der pädagogische Stil im Marlborough College eher freiheitlich als orthodox militärisch gewesen zu sein), gingen sie als 19 Jähriger 1853 zum Studium der Theologie ans Exeter College der University of Oxford. Man sagt die 2 Jahre Privatunterricht bei Referend Frederick Guy zwischen dem Marlborough College und dem Studium hätten sie zu der Wahl des Studienfachs bewogen.

Bereits im ersten Semester freundeten sie sich mit dem 7 Monate älteren Edward Burne-Jones an, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte. In Oxford wurden sie dann stark  von den Ideen John Ruskins beeinflusst und schlossen neben Burne-Jones mit Dante Gabriel Rossetti, Ford Madox Brown, und Philip Webb Freundschaften.

Von links nach rechts: Edward Burne-Jones, William Morris, Dante Gabriel Rossetti, Philip Webb, Ford Madox Brown, Jane Burden Morris
Von links nach rechts: Edward Burne-Jones, William Morris, Dante Gabriel Rossetti, Philip Webb, Ford Madox Brown, Jane Burden Morris

Mit ihrer Volljährigkeit – damals wurde man ja noch mit 21 volljährig –  kamen sie 1855 in den Genuß eines üppigen Jahreseinkommens aus dem Vermögen ihres verstorbenen Vaters, daraufhin beschlossen sie auf einer Reise nach Nordfrankreich mit Edward Burne-Jones, auf der sie sich intensiv mit der gotischen Architektur der Kathedralen beschäftigen, das Theologiestudium aufzugeben und „zukünftig ganz der Kunst zu leben“. Burne-Jones sollte Maler werden und Sie wollten Architekt werden. Von Ihren wirtschaftlichen Verhältnissen her, gab es da ja auch kein Problem mehr.
Kaum nach England zurückgekehrt, nahmen sie eine Lehrstelle in dem Architekturbüro von Georg Edmund Street in Oxford an, die sie allerdings auf Drängen Rossettis bereits 1856 wieder aufgaben, weil Rossetti meinte, sie müßten unbedingt Maler werden.
Die Freundschaft, die sie in diesem Architekturbüro mit Philip Webb schließen, bleibt allerdings bis zu ihrem Lebensende bestehen.

Jane MorrisEbenfalls in Oxford lernten sie ihre zukünftige Frau Jane Burden, die Tochter eines Lohnkutschers und Stallknechts, kennen, die sie gegen den Widerstand Ihrer Familie 1859 heirateten. Uns Heutigen ist Jane Morris vor allem durch die vielen Bilder, die Dante Gabriel Rossetti von ihr malte und durch ihre eigene Photokunst, die sie um die Jahrhunderwende (wenn sie gestatten – nach ihrem Tod) betrieb, bekannt.

Mit Burne-Jones haben sie dann nach Ihrer Oxforder Zeit in einer Art von Wohngemeinschaft in London zusammengehaust und gemeinsam ein Atelier betrieben.

Nach ihrer Eheschließung machten Sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Familien-Wohnsitz und erst dadurch wurde ihnen das ganze Elend viktorianischer Architektur und Wohn-un-kultur bewußt.
Schließlich haben sie gemeinsam mit ihrem Freund, Philip Webb ein Haus genau nach ihren Vorstellungen von einem schönen und zweckmäßigen Wohnhaus in einem Obstgarten in Kent entworfen, das sogenannte Red House in Bexley Heath.

Red House

red_houseIn Red House kommen Ihre beiden Töchter zur Welt, Jane Alice, genannt Jenny im Januar 1861, und Mary, genannt May im März 1862. Mit May arbeiten Sie viel in der Social League zusammen und May wird auch nach Ihrem Tod die Herausgeberin Ihrer Werke, Jenny arbeitet als Designerin bei „Morris & Co.“ und entwirft viele Stoffmuster.

Man könnte sagen, Red House ist für ihr künftiges Schaffen die Initialzündung, in Red House versuchen sie zum ersten Mal Ihre Prinzipien von Schönheit (Rhythmus und Proportion natürlicher Formen) mit einfachen, ehrlich handwerklich hergestellten Materialien und Zweckmäßigkeit der Räume miteinander zu verbinden.

WM: Ja das stimmt, hier haben sich meine lebenslangen Grundsätze von Gediegenheit  des Gebrauchs und der Materialien, Angemessenheit der Formen und Größen, sowie Einfachheit der Lebensführung entwickelt. Jede Art von Design und Architektur sollten diesen Grundsätzen entsprechen.

OR: Mir scheint, daß in dem Diktum der „einfachen Lebenführung“ in Verbindung mit der „Gediegenheit der Materialien“ ein ganz wichtiger wirtschaftlicher Zusammenhang benannt ist, den Heutigen überhaupt nicht beherzigen, ja gar nicht erst in Erwägung ziehen. Natürlich ist klar, daß handwerklich, manufakturmäßig hergestellte, regionale Materialien zunächst teurer sein müssen, als industriell gefertigte Materialien, es seie denn, wir gehen von Sklavenlöhnen in China aus, wo man mit 1 Euro Vollkosten schon sehr weit kommt, was wir aber prinzipiell ablehnen müssen. Nun diese gediegenen Materialien, wenn sie fair hergestellt sind , sind teuer. Ein Problem wächst aus diesem Tatbestand aber erst heraus, wenn wir zu dieser Qualität auch gleichzeitig Quantität wollen. Wenn wir also uns nicht einen handwerklich fair gefertigten Schrank aus gediegenem, heimischen Vollholz für unser Leben anschaffen wollen, sondern viele Schränke und möglichst alle zwei Jahre neue, dann kommen wir in einen Kreislauf des verschwenderischen Überflusses, der in letzter Konsequenz unsere Lebensgrundlagen auf dem Planeten zerstört.

Morris CombiWM: Ich hätte es nicht besser sagen können. Deshalb habe ich ja auch provokant formuliert, daß der größte Feind der Kunst der Luxus ist. „Kunst kann in einer luxuriösen Atmosphäre nicht gedeihen.“ Und wenn ich Kunst sage, dann meine ich diesen umfassenden Gebrauch des Wortes, über den wir schon gesprochen haben und der für eine Veränderung der Gesellschaft notwendig ist. „Kein Mensch, der mit der Zerstörung und Verschandelung alter Gebäude einverstanden ist, hat ein Recht zu behaupten, er liebe die Kunst. Er begeht ein unentschuldbares Verbrechen. Er kann sich seinerseits auch nicht kritisch und anklagend gegen Zivilisation und Fortschritt wenden, weil er sich selbst brutaler Ignoranz schuldig macht.“

OR: Aha jetzt verstehe ich, sie haben ja in ihrem Aufsatz „Die Schönheit des Lebens“ geschrieben: „Die natürliche Verwitterung der Oberfläche eines Gebäudes ist schön, ihre Beseitigung katastrophal“. Deshalb wurde wohl  Red House als ein unverkleideter Backsteinbau ausgeführt. Das Haus steht heute noch und man sieht, wie Recht sie mit ihren Vorstellungen eines würdevollen Alterns von handwerklich hergestellten Materialien im Vergleich zu Industriematerialien hatten.

WM: „Bitte, vergessen sie auch nicht, daß jeder der einen Baum mutwillig oder gedankenlos niederlegt … kein Anrecht darauf hat, sich als Kunstkenner aufzuspielen. … Ich frage sie,  wie verhalten sie sich gegenüber Bäumen auf einem Bauplatz? Versuchen sie, sie zu retten und ihr Haus den Bäumen anzupassen? Begreifen sie welche Schätze Bäume darstellen? Welche Augenweide Bäume verglichen mit jenen gräßlichen Hundehütten sind, mit denen sie wahrscheinlich dieses Grundstück überbauen werden? … Reiche Leute sind nicht gezwungen in häßlichen Häusern zu wohnen. Trotzdem tun sie es. … Wir wollen für unsere Häuser mehr den Schein als das Sein selbst.“ Das ist keine Architektur von glücklichen Menschen für glückliche Menschen. „Unter solchen Bedingungen gibt es keine Architektur, deren Haupteigenschaften Einfachheit und Gediegenheit sind. … Wir sollten ein Gefühl von Vergnügen verspüren, wenn wir daran denken, daß der Bauherr ein Stück seiner Seele in den Bau hineingegeben hat, das den Betrachter noch begrüßen wird, lange nachdem der Bauherr schon tot ist. Aber was für Gefühle rufen neuerbaute Häuser tatsächlich bei uns hervor – nichts als die Hoffnung, sie in ihrer erniedrigenden Häßlichkeit möglichst bald wieder zu vergessen.“

OR: Sie sprechen mir aus dem Herzen. Wenn ich mich recht erinnere, kam ja auch die Idee zu Ihrer Firma „Morris & Co.“ durch Red House zustanden, da Sie natürlich auch bei der Inneneinrichtung die selben Maßstäbe angewandt sehen wollten, wie bei der Architektur und dabei scheiterten als Sie das  verfügbaren Angebot an Einrichtungsgegenständen begutachteten. Deshalb kamen Sie dann zusammen mit ihren Freunden auf die Idee „Die Firma“ zu gründen, um die ihren Vorstellungen gemäße Inneneinrichtung selbst herzustellen.

WM: Was mir immer sehr wichtig war, daß Produkte, die von Menschen hergestellt werden, eine gewisse Qualität haben müssen, daß Materialien, Strukturen, Farben und Muster aufeinander abgestimmt sind und einen Sinn ergeben. Farben und Materialien sollten möglich der Natur entnommen sein, bzw. in naturnahen Prozessen hergestellt werden und nicht durch industrielle Prozesse, deshalb waren mir z.B. auch auch immer natürliche Pflanzenfarben wichtig.
Die Firma, die ja zunächst nach den Gründern „Morris, Marschall, Faulkner & Co.“ hieß, hat ein von den Theorien John Ruskins beeinflußtes, revolutionäres Konzept erfüllt, alle Aspekte menschlicher Arbeit sollten in einem Gesamtkonzept zusammenkommen. Die Grundidee war, jeder Handwerker sollte sich im Laufe seiner Arbeit zum Künstler entwickeln. Eine industrielle Arbeitsteilung, der eine Entfremdung vom hergestellten Produkt einhergeht, haben wir abgelehnt. Mein Vorsatz für die Firma war: Einfachheit, Gediegenheit, Nützlichkeit und Schönheit aller Produkte.

morris-study-2OR: Wenn ich die Situation im viktorianischen England des 19. Jh. richtig einschätze, haben Sie als gebildetes Mitglied der oberen Mittelschicht, schon allein mit der Gründung der Firma einen revolutionären Akt vollzogen, da es für einen Gentleman damals undenkbar war, sich mit der arbeitenden, handwerktreibenden Bevölkerung zu fraternisieren. Darüber hinaus war ja wohl das Fundament Ihrer Bemühungen die Idee, daß Alle Menschen, egal welcher sozialen Schicht sie angehören, ein gutes, ein glückliches Leben haben sollten, aus diesem Grund haben Sie ja dann in späteren Jahren auch industrielle Fertigungsweisen nicht rundweg abgelehnt.  Soweit industrielle Fertigung die Menschen von erniedrigendem und versklavenden Broterwerb befreien konnte, haben sie diese durchaus befürwortet, jedoch waren Sie, wenn ich es richtig sehe, ein strickter Gegner eines sinnentleerten, entfremdeten Arbeitstags, der nur dem Profitinteresse des Kapitaleigners diente. Das Leben eines Menschen als Arbeits-Maschine, als Rädchen in einem undurchschaubaren Fertigungsverfahrens wollten Sie vor allem durch Ihre sozialistischen Aktivitäten abschaffen.

WM: Ja das stimmt, die industriellen Arbeitsbedingungen in der Mitte des 19. Jh. in England waren mir ein Graus. Die Zersplitterung des industriellen Arbeitsprozesses störte mich am meisten, ich war der Überzeugung, daß die Arbeitsteilung das Wohlergehen der Arbeiter massiv verhinderte und der Kunst insgesamt schadete.
Als ich mit meiner Familie 1865 wieder nach London in das Haus am Queen Square 26 zurück gezogen bin und unsere Red House schwerenherzend wieder verkauft habe, konnte ich der Firma in diesem sehr großen Haus in London gute Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, die auch das Arbeiten viel angenehmer machten und einen ganzheitlichen Arbeitsprozeß ermöglichten.
Darüber hinaus war es mir gelungen George Warington Taylor als Geschäftführer der Firma zu gewinnen, dem es tatsächlich gelang, die Firma auf wirtschaftlich gesunde Füsse zu stellen. Leider ist der Arme bereit 1870 an Schwindsucht gestorben, die Firma hatte ihm kaufmännisch viel zu verdanken.

Kelmscott Manor

Kelmscott Manor CotswoldsOR: Nun Mr. Morris, wir müssen etwas abkürzen, um unsere Leser durch die Länge des Gesprächs nicht zu sehr zu beanspruchen. Zu Beginn des Jahres 1871 suchten Sie für sich, Ihre Familie und Mr. Rossetti ein Haus auf dem Land, die Umstände, wie es dazu kam, führen jetzt zu weit und müssen einem späteren Gespräch vorbehalten bleiben. Als Sie Kelmscott Manor (in der Nähe von Lechlade in Gloucestershire am Rand der Cotswolds) gefunden und zusammen mit Rossetti angemietet hatten, gingen Sie zunächst auf eine längere Studienfahrt nach Island, wo Sie Ihre Kenntnisse über isländische Legenden erweiterten, die diese später zur Grundlage Ihrer Romane und Dichtungen machten. Bis 1874 wohnte Dante Gabriel Rossetti mit Ihrer Frau und den Kindern die meiste Zeit in Kelmscott, als er jedoch 1874 aufgrund zunehmender Verschlechterung seiner Gesundheit nach London zurückkehrte, wurde der „bescheidene“ elisabethanische Herrensitz zum realen und geistigen Zentrum ihres Lebens, daran hat sich bis zu Ihrem Lebensende auch nichts mehr geändert. Sie habe ja sogar später ein Haus, was sie mit Ihrer Familie in London bewohnt haben, in Anlehnung an Ihren Landsitz in „Kelmscott House“ umbenannt. Auch die Druckerei, die Sie 1891 in London gründeten, haben Sie „Kelmscott Press“ genannt.KelmscottManorWM: Ja das stimmt. Kelmscott Manor war für mich „der Himmel auf Erden“, es war der Inbegriff des mythischen Sehnsuchtsorts inmitten einer unberührten, lebendigen englischen Landschaft. Auch der Weiler Kelmscott war wunderbar und ein Ausdruck intakter und autarker ländlicher Gemeinschaft. Dieses Leben in Kelmscott hat mich so beeindruckt, daß ich den Landsitz zum Schauplatz meines utopischen Romans „News from Nowhere“ gemacht habe, wir sprachen bereits darüber.
In der Zeit nach 1874 entwickelte ich meine Forderungen, die für alle Menschen und ihre Arbeitsbedingungen gelten sollten, weiter, natürlich besonder für die Lohnsklaven des Profits:
1. Gesundheit für einen unversehrten Körper, 2. Bildung für einen aktiven, freiheitlichen Geist mit Interesse an Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, 3. genügend Freizeit für einen angemessene körperliche und geistige Beschäftigung und 4. eine schöne Umwelt, um darin glücklich zu leben.

OR: 1877 begann Sie mit Ihrer intensiven Vortragstätigkeit, die Sie bis zu Ihrem Tod beibehielten. Immer wieder haben Sie betont, daß die angewandten Künste in Form von alltäglichen Gegenständen wesentlich wichtiger seien, als die schönen Künste, weil Sie die Menschen in Ihrem täglichen Leben viel mehr bestimmen würden. Das Dekorum der Gegenstände sollte nach Ihrer Überzeugung nur soweit erlaubt sein, als es entweder der Nützlichkeit oder der Bedeutung des Objekts entspräche, ein Dekorum, das mindere Herstellungsqualitäten verbergen sollte, lehnten Sie strikt ab.
Über dies sollten alle Gegenstände möglicht in einer direkten Verbindung zur Natur stehen, um pädagogisch darauf einzuwirken, daß der Mensch seine Beziehung zur Natur nicht verliert, sondern im Gegenteil eine Harmonie mit ihr anstrebt. Ein Aspekt,  der in unserer heutigen Zeit mit seinen vielfältigen virtuellen Realitäten von besonderes Bedeutung ist. Unermüdlich versuchten Sie Designern deren gesellschaftliche Verantwortung bewußt zu machen und sie aufzufordern Produkte zu entwerfen, wie herzustellen, die der Natur und der Geschichte ebenso gerecht würden, wie den aktuellen Anforderungen der Zeit.
Folgerichtig haben Sie sich dann auch verstärkt für den Erhalt alter Bauwerke und deren autentisch angemessene Restaurierung eingesetzt, Architektur war Ihnen die höchste aller Künste und Bauwerke sollten zum Leben und Erleben für nachfolgende Generationen erhalten bleiben.

Merton Abbey

L_L_Pocock_Pond_at_Merton_AbbeymertonabbeyAn dieser Stelle sollten wir auch noch erwähnen, daß Sie mit dem Umzug des Werkstattbereichs 1881 in eine alte hugenottische Seidenweberei namens „Merton Abbey“ einen riesigen Schritt in Richtung Ihrer Vorstellungen von einem ganzheitlichen, nicht entfremdeten Produktionsprozesses gegangen sind. Hier konnten Sie den Betrieb nach ihren ethischen Vorstellungen führen,  soweit dies finanziell  irgend möglich war. Die Angestellten wurden deutlich besser bezahlt, die Arbeitszeit war erheblich kürzer, die Arbeitbedingungen und die Ausbildung waren wesentlich besser als üblich. Die Manager von Merton Abbey wurden sogar am Gewinn beteiligt, was absolut ungewöhnlich war. Hier kamen sie Ihrer Idee einer ländlichen Arbeitskommune wirklich am nächsten.

Wer heute „Merton Abbey“ besuchen will, kann neben einem kleinen Museum auch den Pub in den ehemaligen Räumlichkeiten direkt am Fluß besuchen und auf das Wohl von William Morris ein kühles Pint of Bitter trinken und dazu leckeres Pub-Food genießen.
Nun Mr. Morris unsere Zeit ist für heute um, wir müssen leider zum Ende kommen, obwohl man die Unterhaltung mit Ihnen endlos fortsetzen könnte, welches Resümee würden Sie heute aus Ihrer Lebenstätigkeit ziehen.

williammorris_merton_abbeyWM: Nun, wenn ich das aus heutiger Sicht richtig beurteile, habe ich sicher manche Bewegung mit meinen Ideen beeinflußt, das „Arts  & Crafts Movement“, die „Darmstädter Künstlerkolonie“, die „Wiener Werkstätten“, den „Deutschen Werkbund“ und vielleicht auch das „Weimarer Bauhaus“, um nur ein paar Beispiele zu benennen, leider haben aber all diese Bewegungen immer nur einen Teil meiner ganzheitlichen Vorstellungen für sich nutzbar gemacht.
Mir ging es aber bei meinen Bestrebungen auch um viel grundsätzliche Dinge als um Design, z.B. um eine Aussöhnung zwischen ländlicher Lebensart, sozusagen meinem Kelmscott Arkadien, und einer städtisch, industriellen Lebensform, von diesen Ideen ist praktisch nichts übrig geblieben.
Auch war Design für mich ein demokratisches Mittel grundlegender sozialer Veränderungen. Designer und Hersteller haben für mich eine gesellschaftlich, moralische Verantwortung, Einfachheit, Nützlichkeit und Angemessenheit sind auch ein Ausdruck des Umgangs der Menschen mit diesem Planeten und seiner Ressourcen. Das eine Gesellschaft mehr Ressourcen verbraucht, als dieser Planet jederzeit wieder reproduzieren kann, ist mir unvorstellbar, eine ganzheitliche Betrachtungsweise in ökologischer, sozialer und ästhetischer Hinsicht beim Entwurf und der Herstellung von Gütern jeder Art, scheint mir für Ihre Zeit dringend geboten und muß die allgegenwärtigen ökonomischen Aspekte nicht einfach ergänzen – sondern deren Prämisse sein.

OR: Mr. Morris, wir danken Ihnen für das Gespräch und hoffen bei nächster Gelegenheit, Sie hier wieder begrüßen zu dürfen, um dann eher über Ihr riesiges künstlerisches Werk, ihre umfangreichen literarischen und handwerklichen Produktionen zu sprechen. Gestatten sie uns, daß wir zum Abschluß dieses Gesprächs eine Doppelseite ihrer utopischen Erzählung „News from Nowhere“, gedruckt in Ihrer geliebten Kelmscott Press 1891, abbilden, dort sieht man neben der ersten Seite der Erzählung auf dem Frontispiz des Buchs Ihr geliebtes Kelmscott Manor.

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