ADN-Logbuch I – KULTUR

Athen und die Agora
Akropolis und Areopag in Athen (Leo von Klenze – 1846)

Editorische Vorbemerkung

Mein ADN-Blog kann Neudeutsch als eine Art „Edition in Process“ verstanden werden, d.h. während ich die Logbücher Anselm Dals (siehe auch meine Vorbemerkungen zum Logbuch VI) editiere, stelle ich meine Ergebnisse hier in den Blog, so daß jeder Besucher des Blogs meine Arbeit – die wahrscheinlich noch Jahre dauern wird – mitverfolgen kann.

Anselm Dal hat seine Nachtmeerfahrten in sieben Logbüchern dokumentiert.

Alle Eintragungen sind wie in einem Logbuch durchgehend nummeriert nach dem Schema: LB-I-100-01 was soviel bedeutet wie:
Logbuch Nummer I (Kultur) / Haupteintrag mit der Nummer 100 / Untereintrag mit der Nummer 01.

Auf zeitliche Hinweise wird bei den Logbucheintragungen verzichtet, ich nehme an – einen Beweis dafür kann ich leider nicht erbringen – daß damit jedem Versuch einer Interpretation einer zeitlicher Weiterentwicklung vorgebeugt werden sollte (selbst wenn die Eintragungen niemals von Dal zur Veröffentlichung bestimmt waren, kann dieses Vorgehen doch auch als Selbstschutz vor eigener Geschichtsfälschung gewertet werden!), ein Eintrag also der z.B. 1979 (dem ersten Jahr aus dem Einträge stammen) vorgenommen wurde, soll völlig gleichwertig neben einem Eintrag von 2012 stehen, die quantitative Zeitspanne von 33 Jahren soll nicht in eine qualitative Weiterentwicklung uminterpretierbar sein.

Diese These wird auch dadurch untermauert, daß Dal seine Eintragungen in den Logbüchern nicht im Fortgang der Seiten von 1 bis 210 vorgenommen hat, sondern auf den ersten Blick völlig willkürlich vornahm. Ein Eintrag von 1979 kann nicht nur auf Seite 1 sondern auch auf Seite 100 stehen. Durch den Fortgang der Eintragungen kann dadurch ein Eintrag von 2001 neben einem Eintrag von 1984 stehen und so weiter.

Erst wenn wir einen größeren Teil der Einträge entziffert haben, können wir vielleicht eine Theorie entwickeln, daß die Platzierungen der Einträge einem strukturellen Plan für das Ganze entsprechen, bislang ist es aber noch zu früh, um solche Überlegungen anzustellen.

Noch ein Wort zu der Art wie Anselm Dal seine Eintragungen vorgenommen hat. Alle Eintragungen wurden mit Füllfederhalter und in der Regel mit schwarzer aber auch mit roter und grüner Tinte ausgeführt ( auf die rote und grüne Tinte weise ich bei den einzelnen Eintragungen hin).

Die Schrift Dals ist mikroskopisch klein insofern hat sie mich an die Microgramme Robert Walsers erinnert, dieser hatte seine Notizen allerdings mit einem extrem fein gespitzten Bleistift ausgeführt, während Anselm Dal immer Füllfederhalter mit einer SF (superfeinen) Spitze benutzt hat.

Jedes Logbuch beginnt immer mit einem Bild, wie dem hier abgebildeten von Leo von Klenze, das wohl summarisch für den gesamten Inhalt des Logbuchs stehen soll. Aber auch sehr viele Eintragungen hat Dal durch eingeklebte Bilder ergänzt, ich versuche diese soweit es technisch möglich ist, im Blog aufzunehmen, ihre Herkunft und u.U. auch ihre Bedeutung näher zu erklären, soweit es aus den Eintragungen Dals nicht selbst schon ersichtlich wird.

Logbuch-I

Was erwartet uns im Logbuch I

Ohne den jeweiligen Eintragungen Dals vorgreifen zu wollen, versuche ich nun einige Gedanken Dals, die immer wieder auftauchen, zusammenzustellen, warum das erste Logbuch von Anselm Dal mit dem Wort „Kultur“ und das letzte mit dem Wort „Natur“ bezeichnet wurde.

Vieles verbindet uns Menschen auf den unterschiedlichsten Ebenen mit allen anderen fühlenden Wesen, trotzdem sind wir Menschen diejenigen, die in der Auseinandersetzung mit der Natur – des Lebens ansich (wie Dal es gerne sehen wollte) – unsere spezifische Geschichte als Menschen immer wieder neu in Gang setzen, wir nennen diese Auseinandersetzung „Kultur“.

Alles was wir als Menschen an Umformungen, Gestaltungen, schlicht Veränderungen an dem Vorgefundenen – der „Natur“ – vornehmen ist „Kultur“. Selbst Bereiche, die wir Heutigen oft gerne mit Natur verwechseln, wie z.B. Ackerbau, Viehzucht, Waldwirtschaft sind „Kultur“ und nicht mal Zweitnatur.

Achtung! Wenn wir das Denken Anselm Dals erst nehmen wollen, dann dürfen wir einen Begriff, wie „Kulturlandschaft“ nicht als etwas Höherwertiges ansehen. Wir dürfen nicht in die Falle tappen, daß „Kultur“ auch ein bewertender Sammelbegriff ist, „Kultur“ oder oft auch „Kulturleistung“ wird schnell mal mit Begriffen, wie „Höherentwicklung“, „Weiterentwicklung“ oder gar „Fortschritt in der Menschheitsgeschichte“ zusammengebracht.

Soweit ich bisher die Logbücher Anselm Dals entziffern und verstehen konnte, liegt seinem Denken nichts ferner als die Vorstellung, der Mensch habe in seiner Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen, der Natur, dem Kosmos allgemein eine quantitativ oder sogar qualitativ höher zu bewertende „Kulturleistung“ hervorgebracht! Im Vergleich zur Natur wird der Mensch immer zurückstehen müssen und er tut gut daran, sich dies auch immer wieder klar zu machen.

Die Einträge Dals in seinen Logbüchern erteilen jedwedem Denkansatz eines anthropischen Prinzips, egal in welcher Verpackung es auch daherkommen mag, eine strikte Absage.

In den Logbüchern Dals wird deutlich, daß wir Menschen grundsätzlich diejenigen sind, die unser Leben entfalten zwischen den beiden Polen „Kultur“ und „Natur“. Und so wie ich es sehe, ist das der Grund, weshalb Anselm Dal seine Gedanken zwischen dem Logbuch I, das er mit dem Wort „Kultur“ beschriftet hat und dem Logbuch VII, das das Wort „Natur“ trägt, entwickelt hat.

Aber ich will hier an dieser Stelle nicht allzusehr vorgreifen, denn in seinen Eintragungen im Logbuch I / Kultur wird es immer wieder Erörterungen zum Thema „Kultur“ geben.

So wie allgemein ja auch das Wort „Nachtmeerfahrten“ ganz klar auf diese Auseinandersetzung des Menschen mit der vorgefundenen Natur, der Fahrt durch dunkle, beängstigende Nacht hinweist, insofern ist das Bild der „Nachtmeerfahrt“ sehr weit zu verstehen, nicht nur metaphorisch als Reise eines Menchen durch die Dunkelheit einer Depression, eines Geworfenseins in die Abgründe des tiefen, schwarzen Meers des Unbewußten.

Dal orientiert sich meiner Meinung nach stark an dem archetypischen Denkbild der „Nachtmeerfahrt“ so wie es C.G.Jung in seinem Buch „Symbole der Wandlung“ (1912/1952) beschrieben hatte.

Aber hier will ich nicht vorgreifen, denn Dal hat zum Denkbild der „Nachtmeerfahrten“ seit 1979 immer wieder Eintragungen gemacht – soweit ich feststellen konnte – im Nachgang zu seiner Lektüre im Jahr 1979 von C.G. Jungs Buch „Symbole der Wandlung“.

Die beängstigende Nacht der Unwissenheit aber auch des „Dunkels des gelebten Augenblicks“ (Bloch) lassen uns immer wieder den Versuch wagen, eine Arche, ein Barke zu bauen, die uns durch die Nacht tragen soll, bis der Morgen graut und die Sonne am Horizont wieder auftaucht. Dann stellen wir bestürzt fest, daß wir die Nacht nur auf einem einfachen, wackligen Floß (siehe „Das Floß der Medusa“ von Géricault) verbracht haben.

So ist unser Denken, so fragil ist unsere Kultur, aber wir geben uns immer wieder der Selbsttäuschung hin, als würden wir behaglich im gut ummauerten Bergfried im Kreise gut gesicherter Wahrheiten, geschützt vor allen Feinden der eindimensionalen Weltanschauung unser Leben verbringen.

Letzlich ist aber genau das, was wir „Kultur“ nennen doch nur ein Synonym für unsere „Nachtmeerfahrt“ – und je mehr ich von Anselm Dals Einträgen entziffert habe, je mehr habe ich im Grundsatz diese strukturelle Ähnlichkeit verstanden, im Kleinen wie im Ganzen…

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