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Tiefenökologisches Thesenpapier

Dhttps://www.oekoradix.de/wp-content/uploads/2013/06/arne-n%C3%A6ss-portrait.jpgie aus dem Kontext gerissene Sentenz Adornos aus seinen Minima Moralia: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ hat für Jahrzehnte vielen als Generalabsolution für jede Art von ethisch-moralischem Fehlverhalten gedient. Nach dem Motto, wenn es sowieso kein richtiges Leben im falschen gibt, dann brauche ich mich auch partiell gar nicht mehr anzustrengen, weil ich ja doch nicht richtig leben kann.

Diese digitale Denkweise des „Ja oder Nein“, die strukturell totalitär im Entweder-Oder, im Schwarz oder Weiß, im Freund oder Feind seinen Ausdruck findet, könnte im Hinblick auf das Gemeinte nicht falscher sein. Gerade wenn wir uns dem universalen, instrumentellen, gesellschaftlichen Vernunftzusammenhang entschlagen wollen, dann kommt es vor allem darauf an, sich in der subversiven Welt der Zwischentöne einzurichten.

Und damit sind wir bei der komplexen, variantenreichen Denkwelt von Arne Næss, für den es immer besonders wichtig war, alles mit allem zu verbinden und den vielfältigen Lebensformen einen Wert an sich beizumessen.

Auch wenn sich in unserem Denken – als ökologisch ausgerichtete Menschen – vieles aus den Thesen von Arne Næss fast von selbst versteht, macht es Sinn sich immer wieder mit seinen Thesen auseinanderzusetzen.

Deshalb schreibe ich sie mir hier nochmal aus dem Gedächtnis auf – ergänzt um Themen, die mir persönlich als ebenso wichtig erscheinen.

These 1 Die Entfaltung des gesamten lebendigen Planeten, des gesamten Ökosystems, ist ein Wert an sich. Ihr Wert darf also nicht davon abhängig gemacht werden, ob diese Entfaltung einen Wert für den Menschen oder gar einer bestimmten Interessengruppe darstellt.

These 2 Nicht nur die Entfaltung sondern auch die Vielfalt der Lebensformen ist ein Wert an sich. Erst diese Vielfalt – vor allem auch der Reichtum und das Übermaß an Diversität der Lebensformen – machen eine gedeihliche Entwicklung der menschlichen und nicht menschlichen Lebensformen auf diesem Planeten erst möglich. Es darf zu keiner schein-evolutionären Bewertung im Sinne von höherer und niederer Lebensform kommen, bei der manche Lebensformen nur als Etappe auf dem Weg zu höheren Lebensformen gelten.

These 3 Der Mensch hat kein Recht diese Vielfalt zu zerstören vielmehr hat er dafür zu sorgen, daß er sein eigenes Leben nur im Einklang mit dem Naturkreislauf reproduziert, anstatt gegen ihn.

These 4 Die Thesen 1 bis 3 stehen in einem krassen Gegensatz zu dem heutigen menschlichen Verhalten der Natur gegenüber und der massiven Zerstörung des globalen Ökosystems, dessen Geschwindigkeit für uns immer bedrohlich wird. Seit Mitte des 19. Jh. sind mehr Lebensformen von diesem Planeten verschwunden, als in jeder anderen Epoche der Erdgeschichte und die Zerstörung steigt im Moment exponential an.

These 5 Wenn es uns nicht gelingt, die menschliche Bevölkerungsexplosion auf diesem Planeten zu stoppen, bzw. sogar zu reduzieren wird ein gedeihliches Zusammenleben mit anderen Lebensformen in mitten des globalen Ökosystems vollkommen unmöglich, zumal wir nicht bereit sind, die Standards, die wir bei unserem Lebensstil inzwischen ansetzen, wieder zu reduzieren und diese andererseits auch nicht für uns alleine reklamieren können. Hier tickt eine Zeitbombe der Gerechtigkeit!

These 6 Der allgemeine Untergang sozialistischer Wirtschaftssysteme bedeutet nicht im gleichen Maße ein Ja zur umwelt-zerstörenden, anarchischen Kraft globaler, kapitalistischer Wirtschaftsordnungen.
Wachstum, Konsum, Verfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Marktwert dürfen nicht länger die ultima ratio jeder politisch-gesellschaftlichen Entscheidung sein. Wir brauchen einen allgemein gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens- und Moral-Codex dessen oberstes Entscheidungskriterium die Harmonie von Mensch und Natur ist – wollen wir nicht den Ast, auf dem wir sitzen, absägen.

These 7 Wir müssen aus dem Teufelskreis ausbrechen, indem ein hoher Lebensstandard ausschließlich durch die Akkumulation materieller Wert bestimmt wird und nicht durch Fortschritte in einem geistig reichen Leben.Von Ismen und Ideologien müssen wir uns befreien.

These 8 Vor allem müssen wir uns von unserem Selbstbild als „Krone der Schöpfung“ befreien und uns in Demut angesichts der Unermeßlichkeit von Natur&Kosmos üben. Das Universum, in dem auch wir leben, besteht wohl primär aus Energie und geistiger Struktur. Gerade mal mit 5% dieses Universums pflegen wir regelmäßigen, bewußten Umgang in Form der Materie, von der wir uns einbilden, sie ansatzweise zu begreifen. 95% unseres Universums können wir nicht mal ansatzweise begreifen oder Theorien, die wir darüber entwickeln, mit naturwissenschaftlich korrekten Methoden nachprüfen, sollte es nicht angesichts dieser schlichten Tatsachen selbstverständlich sein, daß wir uns gegenüber der außermenschlichen Welt in der wir leben dürfen, etwas zurücknehmen und uns in Demut statt im Zerstören üben?

These 9 Wer die Thesen 1 bis 8 anerkennt, erkennt auch an, daß das Primat bei der Tat liegt, daß er sich also für die Thesen 1 bis 8 aktiv in Wort und Tat und seiner Lebensführung einsetzt, ungeachtet der Erfolgsaussichten, die sich aus seinem Handeln ergeben und ungeachtet der These, daß wir uns niemals einbilden können, daß wir richtig leben können, in der falschen Welt. Je mehr wir uns von unseren Grundlagen entfernen und entfremden, je mehr wird diese Welt zu einer „falschen“ Welt.  – aber immer nur auf uns bezogen.