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Der Stechmersheimer Altar

Gekreuzigt seist Du Maria

Der Stechmersheimer Flügelaltar von 1835 gilt in Kunstkreisen als früher und gelungener Versuch die Scheinheiligkeit der bürgerlich, christlichen Ideologien im Kunstwerk zu entlarven.

Bereits als der Altar 1835 in der Kapelle “Maria hilf” in Stechmersheim feierlich aufgestellt und enthüllt wurde, kam es zu massiven Protesten und erheblichen Handgreiflichkeiten zwischen Gegnern und Befürwortern des Altars. Der Künstler wurde aus der Stadt verjagt und seine Initialen auf dem zentralen Altarbild entfernt. Seitdem gilt der Künstler des Bildes als unbekannt.

In der Regel wird der Altar nicht geöffnet – nur die Susannenbruderschaft kommt mehrmals im Jahr in der Kapelle zusammen, um in einem festgelegten Ritual der Kreuzigung Maria Magdalenas zu gedenken. Der Sage nach soll ja Maria Magdalene die angetraute Ehefrau von Jesus von Nazareth gewesen sein und sich nach seinem Tod zu Schiff nach Südfrankreich abgesetzt haben. Dort habe sie zunächst in Ruhe gelebt und Ihren Sohn geboren, schließlich sei sie dann aber von zwei übereifrigen Aposteln, die Ihre frühere Nähe zum Herrn und ihre immerwährend verlockende Schönheit im Beisein des Herrn nicht ertragen konnten, aufgespürt worden und als Verbrecherin denunziert worden. Zuletzt sei sie dann in einem kleinen Ort in den Bergen zwischen Frankreich und Italien gekreuzigt worden. Von Ihrem Sohn, den Sie noch unter dem Herzen trug, als ihr Ehemann aus Gier, Haß und Verblendung heraus ermordet wurde, fehlt allerdings seit damals jede Spur.

Gekreuzigt seist Du Maria-geschlossenDie Susannenbruderschaft hat sich bereits im 19. Jahrhundert aus der Einsicht in die heuchlerische Doppelmoral des erstarkenden Bürgertums gegründet.  Ihr zentrales symbolisches Kunstwerk ist jenes berühmte Bild von Albrecht Altdorfer “Susanna und die beiden Alten”, das er 1526 gemalt hat. Von hierher wird die Legende verständlich, daß der Altar von dieser Bruderschaft beauftragt und bezahlt wurde, da sowohl die Außenseiten, wie die beiden Innenseiten der Flügel mit Szenen bemalt sind, die stark an das Bild von Albrecht Altdorfer erinnern.Die Geschichte der Susanna im Bade aus dem Buch Daniel ist ein fester Topos in der Kunstgeschichte und läßt sich mit dem zentralen Satz der Susannenbruderschaft am besten umreißen: “Da regte sich in ihnen die Begierde nach ihr. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege und ihre Augen gingen in die Irre.” (Dan 13,9)

Beinahe 100 Jahre vor Freud thematisiert der Altar in hervorragender Weise das zentrale Problem patriarchalisch organisierter Gesellschaften, in denen die Triebfedern unterschiedlichster oft menschenverachtender Aktivitäten der Haß gegenüber der eigenen aber auch gleichzeitig die Gier nach der eigenen Trieberfüllung ist, die symbolische Kreuzigung dieses archetypischen Urtriebs letztlich aber auch nicht weiterhilft. Das hohe Maß der Verachtung von Frauen durch Männer auf diesem Planeten erklärt sich eindeutig aus dem beinahe hilflosen Ausgeliefertsein des Mannes gegenüber seiner Triebstruktur. Kein Bild könnte den alten Klassiker von Herbert Marcus “Triebstruktur und Gesellschaft” besser bebildern als dieser Altar und das 150 Jahre vor der kritischen Theorie. Insofern paßt der Altar aber auch nirgendwo besser hin, als in eine kleine Kapelle, die vor der Reformation katholisch war und nach der Reformation evangelisch wurde…