Klaus Modicks Novelle „Moos“

Moos

Hier ist er wieder, der zentrale Gedanke:

„Ich habe mich ins Moos verliebt, und da ich spüre, wie diese Liebe erwidert wird, sehne ich den Moment herbei, ohne ihn künstlich beschleunigen zu wollen, da meine wachsende Fähigkeit, Metamorphosen einzugehen, übergehen wird in die reine, nicht mehr deutungsbedürftige Identität.“ (S.103)

„Stell dir vor, in der Botanik steht einer auf und sagt, man könne über die Flora des Ammerlands bessere Beobachtungen und Aufschlüsse gewinnen, wenn man statt eines Mikroskops irgendein verschwärmtes Naturgedicht über die Veilchen im Frühjahr oder was weiß ich heranzieht. (…) Mit traumwandlerischer Sicherheit hatte er eine Saite angerissen, die in mir seit Monaten in immer stärkere Schwingungen geraten war.“ (S.79f)

„Das Leben braucht ständig Rückgriffe, verweigert sich aber dem Rückschritt, auch wenn es ihn häufig simuliert. Sowenig die Regression des Mooses ein wirklicher Rückschritt ist, sowenig wird der Greis, der kindisch denkt, wieder zum Kind, sowenig wird der Wissenschaftler, über dessen Denken Bilder wachsen, zum Maler oder, wenn seine Begriffe von einer Art Poesie angegriffen werden, zum Dichter.
So reflektiert das Moos uralte Tendenzen seiner Vorfahren. Aber wirkliche Regressionen sind der Evolution unbekannt; die Regression des Mooses ist eine simulierte, die sein Überleben gesichert hat.“ (S.90)

„Ich kam nach hier. Nun bin ich im hier. Jetzt und immer. Wenn ich mit dem Moos in die letzte Landschaft geschwommen sein werde, an den Ort der bewegten Ruhe, dann wird der See auch wieder See sein, der Wald wieder Wald, das Moos einfach Moos. Und sonst gar nichts. Ich werde Wald sein, See sein, Moos.“ (S. 119)

„Unter dem grauenhaften Terminus >Leucobryum glaucum< wird die Schönheit des Weißmooses, der Ordenskissen, unter wissenschaftlicher Kontrolle gehalten. (…) Die Vernichtung des Namens durch den Begriff, des lebendigen Ausdrucks durch den Terminus, hat die Entfremdung des Menschen von der ihn umgebenden Natur beschleunigt und besiegelt.“ (S. 122 + 35f.)

Ich danke dem dreiundsiebzigjährigen Botanikprofessor Lukas Ohlburg!

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