Ein Bollwerk gegen den Populismus

»Verstehen beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod.« (VZ, S.110)

Wer sich heute darüber beschwert, dass der Populismus auf dem Vormarsch ist, der sollte zu allererst nach den Ursachen fragen, egal ob einem dann das Gericht schmeckt oder nicht. Ich kann nicht auf der einen Seite den kritik- und willenlosen Konsumenten wollen, der mir noch den letzten sinnfreien Müll abkauft und andererseits ein Bollwerk gegen den Populismus verlangen. Man sollte es wagen, ohne ideologische Spielchen und Scheuklappen, nach den Ursachen des Populismus zu fragen und die bleiben immer gleich, egal ob 1933 oder 2017. Hilfreich scheint es mir zu sein, sich bei diesem Fragen nach wie vor von den politischen Überlegungen Hannah Arendts leiten zu lassen.

Die Ursachen des Populismus werden von den Bedürfnissen all jener Menschen begründet, die sich lieber in der Oberflächlichkeit einrichten, als nach tieferen, detaillierten und komplexen Wahrheiten zu fragen.

Diese Bedürfnisse sind sehr stark, zum einen, weil der Satz Georg Steiners „vom Denken, das traurig macht“, nach wie vor stimmt und in einer durchgestylten Spaßgesellschaft der Ritter von der traurige Gestalt einfach nicht so gut kommt, mögen seine Motive und Anliegen noch so ehrenwert sein.

Zum anderen, weil der Rückfall in ‚vorgeschichtliche‘ – also sprachlose – Zeit immer als Möglichkeit bleibt. Es mag richtig sein, dass der von tierischen oder menschlichen Feinden gejagte ‚Homo irgendwas‘ sich schnell und einfach orientieren musste, um entscheiden zu können, ob sich ein Freund oder ein Feind nähert, also ob Bleiben, Fliehen oder Kämpfen die angesagte Reaktion wäre, aber haben wir uns parallel zur Entwicklung unseres Neocortex nicht auch eine sich verfeinernde Kulturgeschichte geleistet?

Es macht im Jahr 2017 keinen Sinn mehr, wenn man im Angesicht des mordend um die Welt ziehenden ‚Homo sapiens sapiens‘ immer wieder auf seine schwere Kindheit vor 50.000, vor 20.000 oder vor 30 Jahren verweist. Nach so vielen tausend Jahren Kulturgeschichte könnte man ja auch mal auf die Idee kommen, statt zu fliehen oder zu kämpfen einfach mal ein freundliches Gespräch zu führen.

Die Macht der Kommunikation ist eine einfache aber nichtsdestotrotz eine sehr wirkmächtige Alternative zum Kämpfen oder Fliehen. Wer spricht – tötet nicht und beginnt – vielleicht – sich auch für sein Gegenüber zu interessieren und wer sich für seine Mitmenschen ernsthaft interessiert, der tötet sie auch nicht mehr so schnell, als wenn sie nur als anonyme Masse ihm gegenüber stehen. Der »Verwaltungsmassenmord« (EJ, S.17) ist jedenfalls, wie der Name es treffend beschreibt, nur an der anonymen Masse zu vollziehen, nicht am Individuum.

Und außerdem gilt der Grundsatz: „Wer nachfragt macht sich schon weniger schuldig – ohne sich gleich mutig ans Messer zu liefern.“ (Hannah Arendt in einem Gespräch mit Hans-Peter Dürr, von mir paraphrasiert)

Ohne Sprechen – kein Denken. Das einzige nachhaltige Bollwerk gegen den Populismus ist das Denken, das kritische, vorurteilsfreie Denken, das man nicht einfach ein und ausschaltet, so wie es Anderen gerade am besten gefällt. Mal kritischer, antifaschistischer, multikulti Denker, mal kritikloser, oberflächlicher Konsum-Mensch, so funktioniert das nicht! Das kritische Denken ist eine Lebenshaltung, kein Konsumartikel, man kann es nicht nach Wunsch von zumeist ‚ökonomischen Interessen‘ mal an, mal abschalten!

So wie Freiheit kein Geschenkartikel oder Prämie für ausgestandene Leiden ist, sondern jeden Tag im Widerspruch neu zu erringen bleibt, so ist es auch mit dem Denken, das die Freiheit liebt, in dem es jeden Tag den Widerspruch vollbringt.

So wie es keinen guten und keinen schlechten Krieg gibt, so gibt es auch keinen guten und schlechten Populismus. Populismus ist ein Strukturphänomen und kein Problem von ‚Rechts‘ oder ‚Links‘. In dem man aus eine differenzierten, komplexen Problemstellung eine einfache, binäre Schwarz-Weiß-Struktur macht, die jedem einfachen, dualen Freund-Feind-Verhältnis zugrunde liegt und wodurch ein eindeutiger Sündenbock, z.B. die Juden, die Ausländer, nur konstituiert werden kann.

Das Nachfragen und der genaue Blick zerstört sofort das Bild des Sündenbocks, den es in seiner notwendigen Reinheit nicht geben kann aber geben muss, wenn er funktionieren soll, Ausnahmen sind bei Sündenböcken nicht vorgesehen, dann fallen sie sofort in sich zusammen.

Auch der populistische Umgang mit den politischen Überlegungen Hannah Arendts – immerhin einer der wichtigsten Denkerinnen der politischen Theorie des 20. Jahrhunderts – zeigt zweierlei, erstens die  populistische Oberflächlichkeit im Einsatz, bei derArbeit und zweitens die Aufdeckung der »Banalität des Bösen«. In der heftigen Kritik an Hannah Arendts Berichterstattung vom Eichmann-Prozess in Jerusalem sah man den Zusammenhang am Werk zwischen Dämonisierung und Glorifizierung. Der Absturz des religiös glorifizierten Nazi-Deutschlands, ein Volk – ein Führer, kann nur in die unendlichen Tiefen des Dämonischen gehen, keinesfalls in die Banalität des Alltäglichen!

Nicht umsonst hat sich die Kritik vor allem an der angeblich verharmlosenden Formulierung der »Banalität des Bösen« und an der »Gedankenlosigkeit« (LG, S.14), die Hannah Arendt Eichmann zugeschrieben hatte, entzündet. Das populistische an der Kritik war wiederum das sogenannte ‚gesunde Volksempfinden‘, das ins Feld führte, was unmittelbar auf der Hand – also an der Oberfläche – zu liegen schien, dass es sich, ob der Größe der Verbrechen der Nazis, nur um eine Befehlskette handeln konnte, die von einem kleinen psychisch kranken, von Dämonen besessenen Führungskaders ausgegangen war und dem die Mehrzahl der Deutschen in ‚ordentlicher‘ Pflichterfüllung Gehorsam leisteten.

Während Hannah Arendt im Nachgang zu Kants Interpretation des »radikal Bösen«, als dem kalkulierten Wunsch, gegen das tief in der Moral und der erzeugenden Vernunft liegende Sittengesetz zu verstoßen (Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, KW, Bd.7, S.665ff), in den Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft zunächst das »radikal Bösen« für geeignet hielt, den geplanten »Verwaltungsmassenmordes« an den Juden zu charakterisieren, hat sie durch den Eichmann-Prozess ihre Meinung geändert.

Hannah Arendts großes Verdienst war es, dass sie die unheilvolle Interpretation der umfassenden, grausamen Vernichtungsmaschinerie der Nazis, als eines metaphysisch, dämonischen, abgrundtief bösen Geschehens, überwand und am Beispiel Eichmanns zeigte, dass es keine zwingende Korrelation zwischen der Größe des Verbrechens und der Größe der Täter geben muss und das die Größe des Verbrechens nicht auf eine starke und tiefe Verwurzelung der Täter-Motive hinweist sondern ganz einfach auf eine sehr reale, sehr banale Wirklichkeit hinweist.

In einem Brief an Gershom Scholem führt sie aus, dass das Denken naturgemäß versucht, sich in der Tiefe zu verwurzeln und sich dort auszubreiten. Dem gegenüber geht die Oberflächlichkeit des Böses nie an die Wurzeln der Dinge, wie ein Pilz breitet sich das Böse über die Welt aus. »Das Böse [kann] immer nur extrem [sein], aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. Es kann die ganze Welt verwüsten, gerade weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiterwuchert.« (BWS, S.38)

Die Rede von der Banalität des Böses ist eben gerade keine der Verharmlosung sondern der radikalen Analyse, die eine weit gefährlichere Dimension aufzeigt, als das Gerede von der dämonischen Einmaligkeit des Vernichtungsgeschehens. Die Verführungskraft des oberflächlichen, dualen ‚Raunens‘ liegt weniger in einzelnen Lehrsätzen als in ihrem zukunftssichernden Gestus und in ihrer Ausbeutung des menschlichen Verlangens nach Sicherheit und Sinn.

Das Gefährliche sind nicht abgrundtief böse Menschen, mit denen sollte eine funktionierende Justiz in einem demokratischen Staat fertig werden, sondern die »Gedankenlosigkeit« der Massen. Die Zuflucht von Vielen zu Klischees, die die Aufgabe haben, die Menschen vor der Wirklichkeit abzuschirmen und ihnen eine ideologisch – heute meist nur noch ökonomisch – motivierte Sichtweise zu unterschieben.

Das Hängen an konventionellen, standardisierten Ausdrucks- und Verhaltensweisen gibt Sicherheit, solange diese die Masse und die Macht im Staat repräsentieren, sobald die Staatsmacht zusammenbricht, bricht auch die Sicherheit und die Verhaltensweise der Massen zusammen und jedem Einzelnen wird es unerklärlich, wie er so blind seien konnte. So geschehen in Deutschland nach 1945. Von 100 auf 0 in einem Tag – das war Deutschland zur STUNDE NULL.

Die Masse muss aber nicht immer mit der Macht des Staates zusammengehen, die Macht der Masse kann sich auch gegen den Staat wenden, wenn dieser zu differenziertes Denken, das dem offensichtlichen, ‚gesunden Volksempfinden‘ zuwiderläuft, von seinen Bürgern einfordert, dann treten Populisten auf, die einfache Erklärungsmodelle anbieten, mit denen man sich wieder auskennt, wieder Sicherheit gewinnt und Sündenböcke benennen kann.

Das Gegenteil kann natürlich auch geschehen, wenn von der Politik eine Oberflächlichkeit an den Tag gelegt wird, die nach dem Empfinden der Massen nichts mehr mit den täglich erfahrbaren Fakten zu tun hat, dann können Massen radikal werden, im Sinne von, an die Wurzeln der Gesellschaft gehen.

Wenn das kritische Denken im großen Stil praktiziert wird und es zu Revolutionen kommt, ist der Umschlag in den Populismus natürlich immer eine große Gefahr, dann frisst die Revolution Ihre Kinder, denn der Populismus arbeitet mit sehr einfachen, sofort eingängigen Erklärungsmustern und Vorurteilen. Besonders in unsicheren, revolutionären Umbruchzeiten, wie auch der unseren, die vielen Menschen Angst bereiten, ist er sehr erfolgreich und bekommt genügend Rückhalt. Dann wird eine verfeinerte, komplexe Analyse für viele zum Alptraum des intellektuellen Geschwätzes. Und immer wieder ist dabei zu bedenken, die Verbrechen der Nazis haben eben “keine teuflisch-dämonische Tiefe” sondern ’nur‘ eine banale Oberflächlichkeit zur Ursache, die sich mit Widersprüchen und Differenzierungen nicht beschäftigen will (ebenso wenig wie zu Zeiten Stalinistischer Säuberungen, in denen der Weg freigefegt werden sollte, zum einfachen Automatismus eines sich entwickelnden Sozialismusses).

Die pauschale, begriffliche Zuweisung von besorgten und verängstigten Bürgern als „rechtes, rassistisches Pack“ bekräftigt strukturell, wogegen sie eigentlich angehen will. Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, dann geht das nur noch, in dem wir immer wieder das kritische Denken lernen und den ewigen Zweifel üben.

Gerade in unseren Internetzeiten, in denen die Oberflächlichkeit in allen Farben herrlich blüht, ist denken, fragen, nachdenken mehr als jemals zuvor angebracht. Nichts sollte ohne einen notwendigen Faktencheck hingenommen werden, alles muss auf den Prüfstand einer objektiven Analyse, dann hat die Banalität des Bösen, dann hat der Populismus keine Chance uns zu verführen.

Auch sollten wir uns das Recht zu kritischem Nachfragen, das Recht verstehen zu wollen, das Recht zu denken nicht durch die vehemente Forderung nach einem positiven Gegenentwurf nehmen lassen. Auch nicht durch den internalisierten –  inzwischen vorauseilenden – Maulkorb, wonach der mit seiner Kritik auf ewig zu schweigen habe, der nicht zugleich mit seiner Kritik Alternativ-Vorschläge vorzubringen hat.

Ich möchte keinen aktuellen Blick auf die verschiedenen derzeitigen  Schauplätze des Populismus werfen, das ist ja gerade das Faszinierende an der menschlichen Vernunft, das wir vielmehr wahrnehmen und verstehen, als wir verbalisieren können. Deshalb geht es mir in erster Linie um die grundsätzliche Lebenshaltung des kritischen Denkens, die zur Sprache befördert, was gerne ungesagt bleiben würde, um den Prozess der ideologischen Konstruktion nicht zu stören. Das Böse als Oberflächenphänomen ist überall am Werk und der Teufel, der es in die Welt bringt, ist nur die Visualisierung der Bequemlichkeit im Denken, von der wir alle permanent versucht werden.

Man kann von keinem Mensch verlangen, das er 24 Stunden auf der Höhe seiner mentalen Fähigkeiten handelt, also vor allem kommuniziert, auch kann man von niemandem verlangen, dass er den Helden spielt und sich sehenden Auges ans Messer liefert. Aber was man schon verlangen kann, dass man sich immer wieder um Verstehen und Einsichten bemüht, dass man sich zu Fehleinschätzungen und -urteilen bekennt und diese revidiert oder höflich nachfragt, wenn man offensichtliche Widersprüche entdeckt, egal ob bei sich selbst, bei Freund oder Feind. Besser wäre es sowieso hier nur noch vom Mitmenschen zu sprechen.

Hannah Arendt hat in ihrer leidenschaftlichen und unerbittlich sachlichen Art bei der Beantwortung einer schriftlichen Interviewanfrage auf perfekte Weise zusammengefaßt, was ich meine. Am 19. September 1963 erhielt sie einen Brief von Samuel Grafton  mit der Bitte, ihm die beiliegenden 13 Fragen zu beantworten, um in die hitzige Debatte um ihr Buch über den Eichmann-Prozess etwas mehr Klarheit zu bringen. Schon am 20. September schrieb sie Grafton unter anderem zurück:

“Das Böse ist ein Oberflächenphänomen. Wir widerstehen dem Bösen nur dann, wenn wir nachdenklich bleiben. Das heißt, indem wir eine andere Dimension erreichen, als die des täglichen Lebens. Je oberflächlicher jemand ist, desto eher wird er sich dem Bösen ergeben. Das ist die Banalität des Bösen. Ein Anzeichen für eine solche Oberflächlichkeit ist der Gebrauch von Klischees.” (JW, S.479f)


Von Hannah Arendt zitierte Schriften:

BWS => Briefwechsel Hannah Arendt/Gershom Scholem, Frankfurt 2010

JW => The Jewish Writings. Edited by Jerome Kohn and Ron H. Feldman, Schocken 2007

LG => Vom Leben des Geistes, Das Denken, München 1998.

VZ => Hannah Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Übungen im politischen Denken I. Hg. von Ursula Ludz, München 1994.

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