Warum wir das Bild vom Waldorganismus brauchen!

Der Paradigmenwechsel weg von einer mechanistischen Sichtweise auf den Wald, die Waldwirtschaft und die quantitativ „nachhaltige“ Holzernte hin zu einem (über-)lebenswichtigen „Waldorganismus“ ist seit Jahrzehnten überfällig!

Selbstorganisation ist das große Schlagwort, das man mit dem Thema Organismus verbindet! Das die Erde und ihre Biosphäre, als die Gesamtheit aller Organismen, selbst als Organismus, als ein Lebewesen betrachtet werden kann, geht auf die Mikrobiologin Lynn Margulis und den Chemiker, Biophysiker und Mediziner James Lovelock zurück, die diese Sichtweise Mitte der 1960er-Jahre entwickelt haben.
Leider wurden die Organismusthesen von James Lovelock vor allem in der Eso-Szene und der New-Age-Bewegung sehr stark unter dem Begriff „Gaia“ rezipiert, was zu vielen Ressentiments von Seiten der Wissenschaft geführt hat, jenseits der inhaltlichen Debatten.

James Lovelock selbst hat vor diesem Hintergrund ganz Eindeutiges formuliert: „Wenn ich von einem lebendigen Planeten spreche, soll das keinen animistischen Beiklang haben; ich denke nicht an eine empfindungsfähige Erde oder an Steine, die sich nach eigenem Willen und eigener Zielsetzung bewegen. Ich denke mir alles, was die Erde tun mag, etwa die Klimasteuerung, als automatisch, nicht als Willensakt; vor allem denke ich mir nichts davon als außerhalb der strengen Grenzen der Naturwissenschaften ablaufend.“
Ich bin der Meinung, daß es dringend an der Zeit ist, die oberflächlichen Betrachtungsweisen hinter sich zu lassen und sich wissenschaftlich dem Organismusgedanken vollständig zu öffnen.

Die Organismus-These geht davon aus, das die Erde als Ganzes, sowie ihre Subsysteme in der Lage sind, durch ihre Fähigkeiten zur Selbstorganisation, Bedingungen zu schaffen und zu erhalten, die Leben und Evolution komplexerer Organismen ermöglichen. Der Erd-Organismus wird als ein dynamisches System verstanden, das unterschiedlich auf entsprechende Umwelteinflüsse reagiert und diese aber auch – gemessen auf einer langen Zeitachse – wiederum so stimuliert, daß ein stabiles Gleichgewicht der Biosphäre entsteht.

Alle Organismen, wozu natürlich auch der Waldorganismus gehört, bilden gemeinsam in Symbiose einen größeren Organismus, den wir Erde nennen.

Die beiden spektakulären Beispiele, die für den Organismus Erde sprechen, sind zum einen, daß der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre trotz der vielen Einflußfaktoren wohl seit Jahrmillionen konstant ist (siehe „fossile Luft“ aus Eisbohrkernen) und zweitens, daß der Salzgehalt der Meere seit Jahrmillionen nicht mehr gestiegen ist und konstant bei 3,5 % liegt, obwohl vom Land weiterhin beträchtliche Mengen an Mineralien gelöst und ins Meer verfrachtet werden.

Ich würde deshalb behaupten, daß sich in einem dialektischen, evolutionären Prozeß der lebendige Organismus “Erde” solange entwickelt hat, bis er volle selbstorganisierende Funktionalität erreichte und dadurch die kambrische Explosion starten konnte. Als kambrische Explosion wird das fast gleichzeitige, erstmalige Vorkommen von Vertretern fast aller heutigen Tierstämme in einem geologisch kurzen Zeitraum von 5 bis 10 Millionen Jahren zu Beginn des Kambriums vor etwa 543 Millionen Jahren bezeichnet. Die grundlegenden Körperbaupläne vieler mehrzelliger Tierstämme, die seitdem die Erde bevölkern, sind in Gesteinen dieser Epoche erstmals eindeutig überliefert.

Wir sehen auf jeden Fall, daß hinsichtlich der Funktionalität des Organismus Erde/Wald nichts schnell geht. Hinsichtlich der durch den Menschen verursachten Schäden an der Biosphäre ergeben sich die zentralen Probleme durch die Ungleichzeitigkeiten der Geschwindigkeit, also die exponentielle Zunahme der Belastung der Umwelt durch den Menchen (z.B. CO²) und der Langfristigkeit der Selbstheilungs- und Regulationsprozesse durch den Organismus Erde.

Ein Waldboden-Organismus ist schnell zerstört – seine Regeneration kann viele, viele Menschenleben dauern, das müssen wir immer bedenken, wenn wir gedankenlos handeln.

Solange wir nicht verstehen, dass sich der Wald wie ein lebendiger Organismus verhält und dieser Organismus wiederum in einem komplexen, perfekt eingepaßten Wechselspiel Teil eines noch wesentlich größeren Organismusses ist, „wird es uns an der Bereitschaft mangeln, unsere Lebensweise zu ändern und anzuerkennen, dass wir die Erde zu unserem größten Gegner gemacht haben.“ (James Lovelock)

Wenn wir konsequent die Organismus-These in ihrer Komplexität weiterverfolgen wollen, dann bedarf es auf jeden Fall einer tiefenökosophischen Sichtweise. Während die rein ökologischen Fragestellungen sich darauf beschränken, Ökosysteme zu beschreiben und auf die durch den Menschen hervorgerufenen Schäden hinzuweisen,  geht die tiefenökosophische Sichtweise erheblich weiter, indem sie – aufgrund ihrer ganzheitlichen Betrachtungsweise – nach den gesellschaftlichen Bedingungen und Werten fragt, die bestimmte Ökosysteme erhält oder zerstört.

CO2 und MethanWenn wir uns die vorstehende Grafik ansehen, wird deutlich, wie wichtig eine tiefenökosophische Sichtweise auf die Umweltproblematik ist, denn trotz der wissenschaftlich, ökologischen Ergebnissen, die seit der Klimakonferenz von Rio 1992 für alle Länder mehr als deutlich auf dem Tisch liegen, hat sich die CO² und Methangas Emission in den letzten Jahre massiv erhöht, von den Vorgaben aus Rio oder später aus dem Kyoto-Protokoll ist absolut nichts zu sehen. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem. Die Grafik zeigt, wie tief unsere Verantwortungsethik im Keller liegt!

Vor diesem Hintergrund sind für die Reflexionen zum Thema „Wald-Organismus“ zwei tiefenökosophische Aspekte von großer Bedeutung.

1. Aspekt: Der norwegische Philosoph Arne Naess hat in den 70er Jahren gefordert, Philosophie und Ökologie, als die zwei Aspekte eines Lebenszusammenhang, miteinander zu verbinden. Für diese Verbindung, die man als ökologische Lebensweisheit umschreiben könnte, hat er erstmals den Begriff „Tiefenökologie“ geprägt, woraus mit der Zeit der Begriff „Tiefenökosophie“ entstanden ist. Wobei der Wortbestandteil „Tiefe“ auf die Grundsätzlichkeit der Fragestellungen hindeutet, also „wie können wir gut leben, ohne unsere grundsätzlichen ökologischen Grundlagen zu zerstören?“

In der Tiefenökosophie sind Gesellschafts- und Naturwissenschaften nicht mehr von einander geschieden, sondern arbeiten gemeinsam an und für den Organismus „Erde“. In diesem Zusammenhang hat Arne Naess 8 Punkte formuliert, wovon uns im Moment vor allem der Punkt 1 interessiert:

„Das Wohlsein und Sich-entfalten-Können des menschlichen und des nichtmenschlichen Lebens auf der Erde haben einen Wert in sich selbst. Dieser Eigenwert ist unabhängig von der Nützlichkeit der Natur für menschliche Zwecke.“

Hier geht es also um den Gedanke der Unversehrtheit des „nicht- menschlich“ Lebendigen, die wir durch konsequente Schutzmaßnahmen sicherstellen müssen, jenseits aller Nützlichkeitskeitserwägungen für menschliche Zwecke.
Wohlgemerkt Schutzmaßnahme gegen unser eigenes, ständiges Eingreifen in die seit Jahrmillionen entwickelten waldkybernetischen Selbstoptimierungsprozesse des Organismus Wald. Denn der Waldorganismus, das Ökosystem Wald ist nicht in erster Linie dazu da, uns Menschen als Anbaufläche und Ressourcenlieferant zu dienen, sondern als lebenswichtiger Teil eines größeren Organismus, der in einem unaufhörlichen Selbstregulierungsprozeß dafür sorgt, dass das Klima und die Chemie auf diesem Planeten so erhalten wird, dass Leben weiterhin möglich ist.

2. Aspekt: Womit man beim zweiten Aspekt ist, dem Funktionswert, nämlich der Einsicht, daß es deshalb notwendig ist, vom Organismus ‚Wald‘ zu sprechen, um den systemischen, ganzheitlichen Charakter des komplexen Ökosystems ‚Wald‘ in den Blick zu bekommen, bei dem ALLE Teile notwendig sind, um den Gesamtorganismus und seine Funktionen zu erhalten. Alle Teile arbeiten mit allen anderen Teilen zusammen und deshalb kommt jede unsachgemäße Waldnutzung einer Verletzung oder Zerstörung des Organismus gleich, weil alle Teile, wie Organe in einem menschlichen Körper von lebenswichtiger Bedeutung sind.

Schon Alfred Möller hat 1922 in seinem Buch „Der Dauerwaldgedanke“ über seine Erfolge im Umgang mit dem Organismus ‚Wald‘ berichtet, dabei hat er für die Waldwirtschaft fünf Ziele benannt, die bei der Bewirtschaftung streng zu beachten seien:

1. Gleichgewichtszustand aller dem Wald eigentümlichen Glieder, d. h. … Einzelbaumnutzung und weitgehender Verzicht auf biologisch/ökologische Schädigungen des Systems.

2. Gesundheit und Tätigkeit des Bodens, d. h. Schutz und Pflege der Bodenlebewelt.

3. Mischbestockung.

4. Ungleichaltrigkeit und

5. einen überall zur Holzwerterzeugung genügenden lebenden Holzvorrat.

In Zeite des Klimawandels und der biologischen Nachhaltigkeits-Debatten kommt dem Dauermischwald, der auf Einzelstammnutzung mit sanften Holzerntetechniken beruht, die den biologischen Organismus ‚Wald‘ nicht schädigen, hohe Bedeutung zu. Biologischer Strukturreichtum in biologisch reiferen Mischwäldern mit hohem Nischenreichtum sollten eigentlich als das Modell anzusehen sein, das den Auswirkungen des Klimawandels durch Vielfalt der Baumspezies, genetische Vielfalt, Naturverjüngung, Waldbinnenklima am besten begegnet.

Was diesen Dauermischwald jedoch erst richtig möglich macht, ist ein biologisch intakter Waldboden-Organismus, der sich über Jahrhunderte entwickelt hat und der eines pfleglichen Umgangs bedarf.
Im Unterschied zu den Bäumen ist der Waldboden-Organismus ein wesentlich längerfristiges Naturgut mit Milliarden von Kleinstlebewesen, die es zu schützen gilt, ebenfalls unter den beiden bereits genannten Aspekten des Eigenwerts und des Funktionswerts für den Gesamtorganismus ‚Wald‘. Standfestigkeit bei zunehmenden Windgeschwindigkeiten, stabiles, elastisches Holz bei Naßschnee und vieles mehr sind von einem gesunden Waldboden-Organismus abhängig, der resiliente Wälder ermöglicht, aber lange Jahrhunderte der Regeneration benötigt, wenn er durch ungeeignete Erntetechniken mißhandelt wird.

Beim Waldboden-Organismus hat man wieder die Situation, daß sich die eigentliche Problematik erst durch genaue Wahrnehmung und Analyse ergibt und der unmittelbare, ungeschulte Eindruck für die menschlichen Sinnesorgane nicht dramatisch ist, auch wenn die Wahrheit ganz anders aussieht. Nur so ist es zu erklären, daß es auch heute immer noch Menschen gibt, die im Zusammenhang mit der Beschädigung des Waldboden-Organismus von einem ästhetisch-kosmetischen Problem sprechen, das sich spätestens nach der ersten Wiederbegrünung erledigt hat.
Das entspricht in etwa der Aussage, daß der Reaktorunfall in Tschernobyl gar nicht so schlimm seien könne, da daß Obst und Gemüse rund um Tschernobyl doch bereits im Folgejahr wieder wunderbar gewachsen sei oder um ein aktuelleres Beispiel zu nehmen, daß die Auswirkungen der in Fukushima ins Meer entlassene Radioaktivität durch Verdünnung und Verteilung zu vernachlässigen seien und keinerlei Gefährdungen für lokale Ökosysteme oder gar aus dem Pazifik gewonnene Lebensmittel zu befürchten seien.

Die seit Jahren auf allen Klimakonferenzen weltweit geforderte Maximalgrenze von 2°, die bei der Erwärmung (seit der Industrialisierung) auf keinen Fall zu überschreiten sei, ist keine beliebige Grenze, sondern ein extrem lebensbedrohliche. 2° hören sich nicht besonders tragisch an, wenn man aber an die verheerenden Konsequenzen, die sich daraus ergeben denkt oder sich nur schlicht und einfach die Tatsache vor Augen hält, daß die durchschnittliche Temperaturveränderung seit der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren bis zum Beginn der industriellen Revolution gerade mal 3° betragen hat, dann werden die Dimensionen schon deutlicher.

KlimaänderungDie Grafik zeigt, daß der Wert in den letzten 5 Millionen Jahren niemals mehr als 2° über dem Referenzwert von 1950 lag. Wissenschaftlich ernstzunehmende Hochrechnungen ergeben einen möglichen Wertanstieg bis zu 5° bis zum Ende des Jahrhunderts, es spielt überhaupt keine Rolle, ob es jetzt 1°, 2° oder 5° in den nächsten 50 Jahren werden, es ist in jedem Fall ein trauriger Rekord, den der Mensch durch sein unverantwortliches Handeln hier aufstellt. Vorallem wird aus dieser Grafik deutlich, wie dringend wir einen intakten Waldorganismus brauchen, der wesentlichen Einfluß auf die Temperatur und die CO² Bilanz hat und das betrifft nicht nur die Bäume auch die „CO² Abpump-Kapazität“ des Waldbodens sinkt deutlich, wenn der Waldboden durch unsachgemäße Holzernte entsprechend verdichtet wird.

Über Jahrmillionen hat der Organismus Erde durch unendlich viele evolutionäre Prozesse den Menschen möglich gemacht, niemand wird in Abrede stellen wollen, daß der Mensch ein hochkomplexes, fein aufeinander abgestimmtes Ökosystem ist, ein Organismus, der durch viele Selbstoptimierungsprozesse in der Lage ist, mit den unterschiedlichsten klimatischen Verhältnissen fertig zu werden.

Seltsamerweise können sich nachwievor nur wenige Menschen beim Organismus Erde oder z.B. bei seinen Unterorganismen ‚Wald‘ oder ‚Ozean‘ ähnliche Selbstoptimierungsprozesse vorstellen, wie sie in ähnlicher Weise beim Menschen vonstatten gingen und jeden Tag gehen.

Ein wesentlicher Grund weshalb der Organismusgedanke in der Jetztzeit nachwievor so schwer Fuß faßt, liegt – wie schon erwähnt –  in der Ungleichzeitigkeit der Zeitachsen.

Die für unser Leben relevante Zeitachse ist selbstverständlich unser eigenes durchschnittliches Menschenleben von circa 80 Jahren, Großeltern, Eltern, Kinder und Enkel vergrößern unser Vorstellungsvermögen noch etwas, wenngleich Sozialwissenschaftler eine immer stärker zunehmende Gegenwartsbezogenheit, ja geradezu eine vollständige Zukunftsvergessenheit konstatieren.

Prozesse, die in diesem zeitlichen Rahmen von rund 80 Jahren ablaufen, sind für uns nachvollziehbar, längerfristige Prozesse, besonders wenn sie über tausende von Jahren ablaufen, sind für uns nicht mehr vorstellbar, deshalb werden sie auch niemals zur Grundlage unseres Handelns. Wir handeln bestenfalls bezogen auf einen von uns überschaubaren Horizont, alles andere ist für uns nicht relevant, geht uns nichts an.

Aus diesem Grund werden auch immer sehr gerne kurzfristig apokalyptische Szenarieren zur Handlungsmotivation herangezogen, wenn auch oft unbewußt, weil nur dann, wenn der Weltuntergang unmittelbar – wie der Tod – vor der Tür steht, bequemt man sich mal etwas zu tun. Die Minimalforderung für die Apokalypse sind untrügliche Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs an die man glauben kann, kommt jedoch ein anderer Wunderprediger daher, heute sind das meistens Wissenschaftler von einer anderen Universität mit einer anderen Studie und können den Massen glaubhaft machen, daß von Weltuntergang überhaupt nicht die Rede sein kann, lehnen wir uns augenblicklich entspannt zurück.

James Lovelock hat für diese Verhaltensweise eine wunderbare Formulierung gefunden: „Unsere Zukunft gleicht der von Passagieren auf einem kleinen Vergnügungsdampfer, die unbesorgt oberhalb der Niagarafälle herumfahren und nicht wissen, dass die Maschinen bald versagen werden.“

Der Umstand, daß der Begriff Wald-Organismus immer häufiger in den Diskussionen auftaucht, weist allerdings darauf hin, daß der systemisch, holistische Ansatz heute viel stärker in den wissenschaftlichen Fokus gerückt ist, als vor 100 Jahren.
Das liegt an der Abbildbarkeit von komplexen Prozeßen mit sehr vielen verschiedenen Parametern durch die modernen Computertechnologien (siehe auch Daisyworld von James Lovelock). Zum einen hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt, daß eine strikte Vereinfachung von Prozessen für das Verständnis des Gesamtprozesses nicht zielführend ist und das ein Wald-Organismus grundsätzlich als ein emergentes System anzusehen ist, in dem das Ganze weit mehr ist, als die Summe seiner Teile.

Die Organismusthese ist deshalb kein „verblasener Scheiß von irgendwelchen esoterischen Spinnern“  sondern durch seinen systemtheoretischen, ganzheitlichen Ansatz auf dem avanciertesten Stand der modernen Wissenschaft. Moderne Computersimulationen sind von ihren Rechnerkapazitäten her heute in der Lage beinahe unendlich viele Parameter in Simulationen zu berücksichtigen. Einfache kybernetische Modelle der 50er Jahre sind längst Schnee von gestern, heute ist die Wissenschaft in der Lage aufgrund der mathematischen Möglichkeiten der Chaos- und komplexen Systemtheorien  emergente, selbstorganisierende Organismus-Simulationen zu realisieren, die schon sehr, sehr nahe an der Wirklichkeit liegen.

Auch der Wald- und der Waldboden-Organismus können als emergente Systeme verstanden werden, die einerseits eine eigenständige, also lebendige Reproduktionsfähigkeit durch die unterschiedlichsten Stoffwechselprozesse besitzen und andererseits alle Fähigkeiten zur perfekten Selbstorganisation aufweist. Damit sind alle Kriterien erfüllt, um im Zusammenhang mit dem Wald von einem Organismus zu sprechen im Gegensatz zu einem Mechanismus.

Der systemtheoretische Ansatz vom Organismus bildet aufgrund seiner selbstorganisierenden, biologischen Rückkopplungsprozesse weit besser die Vorgänge im Wald und seinem Boden ab, als die alten Mechanismus-Theorien, die immer im eindimensionalen Aktions-Reaktions-Schema verfangen bleiben. Unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf Außenbedingungen, wie z.B. den Klimawandel, die sich durch Abfolgen von Rückkopplungsprozessen ergeben, führen dazu, daß der Waldorganismus immer versucht sich im Gleichgewicht zu halten, diese Beobachtungen kann die alte Mechanismus-Theorie nicht abbilden.

Der Unterschied zu Prozessen in menschlichen und tierischen Organismen ist oft vor allem das Problem der Zeiträume. Noch ein sehr wichtiges Beispiel für die Organismustheorie ist die Eis-Albedo-Rückkopplung in der Arktis. Über Jahrtausende hat sie sich entwickelt und zu einer gleichbleibenden durchschnittlichen Temperatur auf unserem Heimatplaneten erheblich beigetragen. Durch die hohen Treibhausgas-Emissionen ist in den letzten 35 Jahren das Grönlandeis um 40% abgeschmolzen. Das hat nicht nur im Eis gebundenes CO² und Methangas freigesetzt, sondern auch die Eis-Albedo-Rückkopplung in erheblichem Maße beeinträchtigt. Nun sind zur Zeit die Albedo-Effekte zwei bis dreimal schlechter, als dies durch die Erwärmung theoretisch hochgerechnet wurde, woraus man erkennen kann, daß einfache Aktions-Reaktions-Schemata ein für alle Mal ausgedient haben, weil sie den Organismus Erde – als nichtlineares, dynamisches System – nicht adäquat beschreiben können.

Was aber auch an diesem einen Beispiel deutlich wird, wie gravierend die durch den Menschen und seine Lebensweise hervorgerufenen Veränderungen sind und wie wichtig es ist, sich immer wieder klar zu machen, daß wir Menschen ein Organismus unter vielen sind und das wir nicht das Recht haben, den Gesamtorganismus bzw. die anderen Teilorganismen – wie den Wald und seinen Boden – zu zerstören oder erheblich zu schädigen.

Die Chaostheorie bzw. die komplexe Systemtheorie, die einen wichtigen Teil der Organismustheorie ausmachen, haben längst gezeigt, das kleine Impulse, kleine Veränderungen, kleine Schädigungen riesige Veränderungen nach sich ziehen können, so ist der Organismus Wald zwar einerseits ein gutmütiges, träges System, was viele Freveltaten verzeiht und kompensiert, aber verlassen kann man sich nicht darauf, auch beim Waldorganismus kann es den Tropfen geben, der das berühmte Faß zum überlaufen bringt, ein schonender Umgang mit dem Waldorganismus ist deshalb jedem angeraten.

Und noch etwas anderes sollte durch die wissenschaftlichen Untersuchungen klargeworden sein, der Organismus Erde ist entwicklungsgeschichtlich weitaus längerfristig angelegt, wie der Organismus Mensch, der es bisher mal gerade auf rund 150.000 Jahre gebracht hat. Der Mensch sollte eigentlich dankbar und froh sein, daß er auf so einem wunderbaren Planeten leben darf, statt dem Planeten ständig – aufgrund von kurzfristigem Gewinnstreben und Aktienkursen – den Krieg zu erklären und ihn für ALLE Kreaturen – einschließlich ihm selbst – zur Hölle zu machen.

In Zeiträumen von mehreren hunderttausend Jahren wird der Organismus Erde die Schäden, die der Mensch angerichtet hat, wieder ausgeglichen haben, aber der Mensch selbst, wird dann nicht mehr Teil dieses wunderbaren Organismusses sein, können wir das wirklich wollen?

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