Theodizee und Gotteskrieger

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Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben.
Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit.
Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt.
Amadeu Inácio de Almeida Prado

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Das Thema Theodizee  ist für eine tiefsinnige Stunde am Kamin immer gut und wenn man bedenkt, was zur Stunde alles in der Welt an Greueltaten, auch im Namen Gottes geschieht, dann darf man kein schlechtes Gewissen haben sondern man sollte sich glücklich schätzen, am warmen Kamin über ein solches Thema sich Gedanken machen zu können und nicht einem feindlichen Artilleriefeuer ausgesetzt zu sein.

Wie schon gesagt, man muß nicht unbedingt bis zum Holocaust zurückgehen, es reicht schon der tägliche Blick ins Fernsehen oder in die Zeitung, um sich über die unendlich vielen Qualen, die Menschen, anderen Menschen, Tieren, kurz, allen fühlenden Wesen antun, zu informieren. Der kritische Geist fragt sich immer wieder, wo denn eigentlich der liebe Gott bei all diesen Greueltaten des Menschen sich versteckt hält, wenn er doch angeblich den Menschen nach seinem Bilde perfekt geschaffen hat (IntelligentDesign), sieht so Perfektion im Sinne Gottes aus?

Bevor mit Gottfried Wilhelm Leibniz die unmittelbare Diskussion um das Problem der Theodizee begann, gab es natürlich schon von der Bibel her, also vor allem dann im Christentum und dem Neuen Testament, die ständige Betonung des Teufels, des Kampfes gegen die Mächte der Finsternis. Durch diese Aufwertung des Teufels, als Gegenspieler Gottes, ist der liebe Gott natürlich fein raus aus der Sache, denn bis zum jüngsten Gericht, wenn dann die große Endabrechnung kommt, kann man alles, was an Übeln in der Welt ist, dem Teufel in die Schuhe schieben. Und auch das Problem der Ebenbildlichkeit des Menschen ist damit gerettet, denn wenn er nicht so tun, wie er im göttlichen Lichte tun sollte, dann ist er halt mal wieder vom Teufel besessen. Der Teufel verschafft dem lieben Gott eine reine Weste und der vom Teufel besessene, ab mit ihm auf einen der vielen Scheiterhaufen dieser Welt.

Aber wie es gerade in der abendländischen Kulturgeschichte ist, die Zweifler und Krittler geben halt einfach keine Ruhe, immer wieder wird nach dem Sinn gefragt, angesichts der Leiden, die Menschen durch Menschen auf diesem Planeten erfahren. Besonders prekär wird die Situation dann natürlich nach Ausschwitz. Dem Sinn nach kann man ja die Theodizee als eine Verrenkungsübung von Theologen begreifen, die versuchen, Gott nach und trotz Ausschwitz zu retten und dies obwohl der Glaube an einen gütigen, dem Menschen liebevoll zugewandten Gott nach der industriellen Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis, einem lächerlich, wenn nicht sogar menschenverachtend zynisch vorkommen müßte.

Dieser spannungsgeladene Zwiespalt, Gott trotz oder sogar aufgrund der Greueltaten in dieser Welt immer wieder zu rechtfertigen, läuft im Kern auf die sogenannte Theodizeefrage hinaus, also der Frage nach einem guten Gott im Angesicht des Bösen, was man nicht mehr einfach alles dem Teufel zuschieben kann.

Die Theodizeefrage läuft aber auch darauf hinaus, daß Gott mit diesem Universum – so wie es zur Stunde ist – nichts weiter zu tun hat und deshalb auch nicht angeklagt werden kann.

Die Frage ist, ob die Theodizee-Frage nicht den roten Teppich vor jedem Atheisten ausrollt, denn die Frage ist schon recht knackig gestellt, warum Gott eigentlich das Leiden zulässt, wenn er doch so allmächtig, allweise und allgütig ist, wie immer behauptet wird. Denn wenn diese Attribute, die man ihm von Alters her zuweist, stimmen würden, dann müßte er doch den festen Willen haben, alles Leiden aller ihm ebenbildlichen Geschöpfe zu  verhindern, besonders natürlich das Leiden, was durch die Gotteskrieger dieser Welt – welcher Coleur auch immer – in seinem Namen über die Welt gebracht wird, gerade da müßte er ja schon eingreifen und sich verwahren. Pustekuchen, keine Antwort aus dem OFF!  Ist es da nicht verständlich, daß der ein oder andere ins Zweifeln gerät.

Mein alter Freund Epikur hat die Götter ja vorallem deshalb geleugnet, weil er ihnen vorwarf ein faules, untätiges Gesindel zu sein, was sich nicht um die Leiden dieser Welt kümmern würde, und deshalb bräuchte man auch dieses Göttervölkchen nicht, was obendrein noch jede Menge Volksvermögen verschlingen würde. Auch Hiob hat ja bekanntlich seine liebe Not gehabt mit dem Glauben in Anbetracht der vielen Hiobsbotschaften, die Ihn ereilten. Da dem lieben Gott die Treue zu halten war schon eine besondere Tat, aber der wurde ja immerhin am Ende für seine Treue belohnt, was man ansonsten ja nicht so feststellen kann.

Der von mir hochgeschätze Philosoph und frühe Aufklärer Gottfried Wilhelm Leibniz hat ja in seinem zu Lebzeiten umfangreichsten, veröffentlichten Werk „Theodizee“ den Begriff geprägt und ist dabei ganz schön im Schlamm versackt.
Aus der Nummer ist er dann zu Lebzeiten auch kaum noch rausgekommen, noch Voltaire hat sich ja über die Leibniz’sche Welt als die beste aller möglichen Welt heftig lustig gemacht.
Die Argumentation von Leibniz lautete: Gottes unendliche Weisheit lasse ihn die beste unter allen möglichen Welten herausfinden, ich frage mich, hat er damals schon an die Existenz von Paralleluniversen gedacht, von denen er eines heraus sucht? In seiner Weisheit muß der liebe Gott dann ja auch Kriterien und Qualitätsmerkmale gehabt haben, warum er aus der unendlichen Zahl von Paralleluniversen gerade dieses hier ausgesucht hat und was ist denn dann mit den anderen Universen passiert, Fragen über Fragen wenig hilfreiche Antworten.
Vielleicht hat der liebe Gott ja nur verschiedene Pläne studiert und dann, ob seiner Weisheit entschieden, welches Universum er in seiner unendlichen Güte als Plan auswählt, um es dann in seiner Allmacht auch als die beste Welt hervorzubringen.

Dann hat er allerdings für die Umsetzung, wir sagen normal für die Schöpfung, einen scheiß Projektleiter eingesetzt,  was man sich ja heute angesichts der vielen schief laufenden Großprojekte sofort vorstellen kann. Jedenfalls der Projektleiter, der hat dann in der Realisation das Projekt in den Sand gesetzt, zumindest was den Menschen betrifft, der sich überhaupt nicht in den harmonischen Kreislauf der Natur einfügen will. Wir haben jetzt das Problem, ob wir Gott jetzt verantwortlich machen sollen, für den Scheiß den der Projektleiter gebaut hat oder ob wir einfach mit der Welt, wie sie nunmal geworden ist, Vorlieb nehmen, eben als die beste aller möglichen Welten. Was Perfekteres war eben nicht drinn.

Gier, Haß und Ignoranz sind eben auch Teil dieser Welt, haben dadurch – weil sie ein Teil der Welt sind – ihren Sinn und stehen neben dem Guten von Liebe und Mitgefühl. Beide Seiten, das Gute und das Böse sind nicht miteinander verrechenbar. Nach Leibniz zeigt sich ja gerade die Weisheit Gottes darin, daß er beide Wirkprinzipien zugelassen habe, ähnlich wie in  Asien, das Universum immer gleichzeitig von den beiden Wirkkräften YIN und YANG bestimmt wird. Das Prinzip des „Guten“ und das Prinzip des „Bösen“ durchdringen sich wechselseitig, das bedeutet aber nicht, daß man aus den beiden Prinzipien eine gemeinsame Rechnung machen kann, das man das Gute gegen das Böse und umgekehrt aufrechnen könnte.

Das Aufrechnen ist menschenverachtend, weil es die Opfer auflöst in einer quantitativen Betrachtungsweise,  die wir bis heute in jedem Fernsehbeitrag, über welchen mörderischen Konflikt auf der Welt er auch berichtet, beobachten können.

Kommen wir zurück zu Leibniz und seiner Welt-Theorie, die man auch als eine der zukunftsweisensten ansehen kann, wenn man nämlich die Monadenlehre von Leibniz hinzuzieht und die Monaden als Wirks in Superposition versteht, also als verursachendes Feld, daß in sich die Totalität aller Möglichkeiten birgt, dann kann man die Welt aus mesokosmischer Sicht tatsächlich als die beste aller möglichen Welten verstehen, denn die Welt steht demnach immer auf dem avanciertesten Standpunkt ihrer Möglichkeiten. Das Weltverständnis, daß hier dahintersteckt ist eine Welt, die immer auf Tour ist, die sich entwickelt und niemals selbstgefällig stehen bleibt.

Nun die Tatsache bleibt wohl bestehen, Veränderung hin oder her, solange es Menschen gibt, gibt es auch ihre Götter, denn es ist eine anthropologische Konstante,  daß Menschen eines Gottes bzw. vieler Götter (für jede Gelegenheit einen anderen!) bedürfen, und Sie bedürfen der Rituale und Religionen, die von Amts wegen, den Umgang mit den Gottheiten regeln. Solange es aber Götter gibt, fragt sich der kritische Geist, in welchem Verhältnis diese Götter zu den Greueltaten der Menschen auf diesem schönen, blauen Heimatplaneten stehen.

Denker, wie der Rabbiner und Philosoph Richard Rubenstein haben das Problem der Bedürftigkeit des Menschen nach einer Metaebene, nach einer transzendentalen Gottheit, nach einer Sinnkategorie, jenseits des bloßen Seins in der Formel „Das Heilige Nichts“ verpackt. Rubinstein schreibt in seinem viel diskutierten Buch „Nach Ausschwitz“ von 1966: „Wenn ich sage, daß wir zur Zeit des Gottestodes leben, so meine ich damit, daß das Band, welches Gott und den Menschen, Himmel und Erde miteinander verband, gerissen ist. Wir befinden uns in einem kalten, stummen und gefühllosen Kosmos, und keine größere Macht jenseits unserer eigenen steht uns bei. Was kann nach Ausschwitz ein Jude anderes über Gott sagen?“

Die Fragen der Theodizee liegen klar auf der Hand, wenn es einen allweisen Gott gibt, der gleichzeitig auch noch allgütig und allmächtig ist, dann könnte es das Böse in der Welt gar nicht geben, bzw. ist es den Opfern gegenüber mehr als zynisch, wenn man sie als notwendige Opfer in den Heilsplan Gottes mit einbaut, wie es viele Theologen nach Ausschwitz tatsächlich getan haben, wonach die Shoah einer Art von Gottsurteil gleichkommt, um das Fehlverhalten der Juden in der Geschichte zu sühnen. Diese Betrachtungsweise ist unerträglich menschenverachtend, wobei ganz klar ist, die Shoah ist keine Ausnahmesituation. In der Kriegsgeschichte der Religionen kommt es bis zum heutigen Tag immer wieder zu solchen Argumentationen, wonach der Mord an Andersdenken oder Ungläubigen, als gerechter Sühneakt des Herrn begriffen wird.

Sehr viele Theologen, auch im Nachgang zu Darwins eigenem Denkansatz, ziehen sich darauf zurück, daß Gott irgendwann mal so vor 13 Milliarden Jahren die Bowlingkugel Universum perfekt angeschoben hat und dann seiner Wege gegangen ist, nach dem Motto, was daraus wird ist nicht mehr mein Bier, dieser theologische Ansatz paßt dann auch ganz gut zu der Vorstellung wie wir uns mühsam über Millionen von Jahren aus Sternenstaub in der Evolution entwickelt haben.

Nach dieser Vorstellung läßt sich das Universum oder auch nur unser Heimatplanet im Grunde wie ein Startup verstehen, eine Ausgründung von rotierendem Sternenstaub, der man ein paar funktionsfähige Zellen als Startkapital in die Hand gedrückt hat, nach dem Motto:  Mach was drauß…

Was drauß gemacht, das haben wir ja zweifellos, fragt sich nur, ob wir Kriterien entwickeln können, nach denen wir dann auch beurteilen können, ob wir was Gutes oder was Schlechtes draus gemacht haben, da wäre jetzt der Herr und Meister vom Anfang der Geschichte als Gutachter gefragt, aber der meldet sich einfach nicht mehr. Statt dessen gib’s inzwischen jede Menge Statthalter auf Erden, die sich zu Gutachtern aufschwingen, aber wie das eben bei Gutachten so ist, jedes Gutachten behauptet etwas anderes.

Nehmen wir nur mal die Geschichte Jesu, die einen behaupten, daß der Sinn der Kreuzigung, in der der alte Herr seinen Sohn opfert, dazu gedacht ist, die Menschheit von der Sünde zu erlösen. Ohne Kreuzigung keine christliche Heilslehre, kein neues Testament, kein Evangelium. Jesus macht mit seinem Kreuzestod den Weg frei für jeden, der den Bund mit Gott wieder erneuern möchte. Durch seinen Kreuzestod erneuert er den Bund der Mensch mit Gott (waagrechter Kreuzbalken= das Irdische und senkrechter Balken = das Göttliche). Als Sohn Gottes hat er sich geopfert für die gottlosen Sünder und hat damit eine Versöhnung zwischen Gott und Mensch möglich gemacht. So weit – so gut.

Jetzt kommen aber die anderen Gutachter, natürlich auch gläubige Christen und verfolgen die Juden über bald 2.000 Jahre wegen der Kreuzigung Jesu auf Golgatha. Sogar oft die selben Christen, die freudig dem ersten Gutachter zustimmen würden, verfolgen nun aufgrund des selben Ereignisses die Juden (die ja bekanntlich immer noch auf ihren Messias warten) über diese ganze Zeitstrecke hinweg immer wieder. Sie werden von den frommen Christen enteignet, ghettoisiert, verbrannt, gerädert, gevierteilt, geschlagen und massenhaft z.B. in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet und zwar – man kann es gar nicht oft genug wiederholen – auf der Grundlage eines Ereignisses, dem die Mörder und Häscher ihre eigene Religion zu verdanken haben, einem von Gott gewollten Ereignis, ohne das es gar kein Christentum geben würde!

Die beiden Interpretationen von Golgatha stehen unüberbrückbar nebeneinander, entweder ist Golgatha ein göttlicher Erlösungspakt oder er ist ein jüdisches Verbrechen, bei dem der Messias ermordet wurde und es gilt nun in der ganzen darauffolgenden Geschichte ihn zu rächen.

Aber zurück zur Schöpfungs-Story: Wenn der liebe Gott sich nicht beim Start des Universum unauffällig durch die Hintertür verabschiedet hat und jetzt einfach nicht mehr anwesend ist, man folglich auch in keinen Dialog mehr mit Ihm treten, dann ist die Sache einfach, dann hat’s der liebe Gott gut gemeint, indem er alles am Start perfekt eingerichtet hat und nur der Mensch der Döddel, der hat’s verbockt und in der Evolution aus was ursprünglich gut Gemeintem, etwas Schlechtes gemacht.

Für uns aufgeklärte, glaubenslose Humanisten ist das „sacrificium intellectus“ der katholischen Kirche genauso wie von jeder weltlichen Macht niemals hinnehmbar, wir müssen einfach immer nachfragen, denn in einer fundamental demokratischen Gesellschaft, für die die Meinungsfreiheit eines der höchsten Güter ist, kann niemand verlangen, daß man seinen kritischen Verstand quasi an der Garderobe abgibt und sich ganz einer anderen Lehrmeinung, einem Dogma unterordnet. Das ist einfach undenkbar überdies hoch gefährlich, weil es jeder Art von Totalitarismus Tür und Tor öffnet, und deshalb rundweg abzulehnen ist und zwar egal, welchen Inhalts das Dogma  ist.

Den aufgeklärten Diktator gibt es genauso wenig, wie das meinungsfrei, demokratische Dogma, es seie denn, wie manche es versuchen, man erhebt die Freiheit des Individuums selbst zum Dogma, was rein logisch aber nicht möglich ist.

Wobei gerade das Interessante dabei ist, in welch unterschiedlichen, säkularisierten Gestalten das „sacrificium intellectus“ heute daher kommt. Die Dogmen der Werbung, die den Konsumenten auf eine sehr subtile, unterbewußte Art zu einem hörigen Gläubigen machen, schrecken vor keiner Schandtat zurück.

Die Gemeinschaft der Weltkonsumenten, die keinen Gott neben sich duldet, als den Konsum, die zu konsumierende Ware, vom neuen hightech Fernseher bis zur Kreuzfahrt, hat ganz klaren religiösen Charakter. Wer nicht an Wachstum und Konsum glaubt, der wird zum verdächtigen Häretiker der Kirche des postmodernen Kapitalismus und muß verdammt werden.

Zwar werden heute die Ketzer nicht mehr verbrannt, aber Sie werden aus der Weltgemeinschaft der glückseeligen Konsumenten ausgeschlossen und müssen fern der fröhlich feiernden Massen, in der Ecke stehen und sich schämen.

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